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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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Dieser Mensch hatte eine Gabe zu fabuliren
und zu schwadroniren, wie ich sie noch nimmer bei
Jemand wahrgenommen habe. Er besaß einen
aristophanischen Witz, eine gaukelnde Einbildungs-
kraft und eine unerschöpfliche Laune, vor allem aber
eine Lust und Freude am Lügen, die wirklich auch
genial war. Keiner achtete ihn und doch war er
überall eingeführt; unsre geschlossenen Gesellschaften
thaten ihre Thüren vor ihm auf, unsre Familien-
Wein- und sonstigen Kränzchen flochten ihn sich
als Blume ein, denn du weißt wohl, daß, so
schwerfällig und abgesondert wir uns halten, es
doch noch von je alle Charlatane bei uns mit uns
durchgesetzt haben. Man hielt ihn für nichts Bes-
seres, als für ein Stück honnetten Gauners und
doch blickte man sehnsüchtig nach ihm aus, ließ er
einmal auf sich warten. Obgleich ich überzeugt bin,
daß er eigentlich schlechte Streiche nirgends begangen
hat, denn sonst würde er leiser, versteckter, künstlicher
aufgetreten seyn. Eine gewisse theoretische Unwahr-
haftigkeit war in ihm zur andern Natur geworden;
gegen die Gesetze wird er sich nicht verfehlt haben.

Du fragst: Wodurch fesselte er Euch denn?
Ja, wodurch? Durch tolle Mährchen, die er uns

Dieſer Menſch hatte eine Gabe zu fabuliren
und zu ſchwadroniren, wie ich ſie noch nimmer bei
Jemand wahrgenommen habe. Er beſaß einen
ariſtophaniſchen Witz, eine gaukelnde Einbildungs-
kraft und eine unerſchöpfliche Laune, vor allem aber
eine Luſt und Freude am Lügen, die wirklich auch
genial war. Keiner achtete ihn und doch war er
überall eingeführt; unſre geſchloſſenen Geſellſchaften
thaten ihre Thüren vor ihm auf, unſre Familien-
Wein- und ſonſtigen Kränzchen flochten ihn ſich
als Blume ein, denn du weißt wohl, daß, ſo
ſchwerfällig und abgeſondert wir uns halten, es
doch noch von je alle Charlatane bei uns mit uns
durchgeſetzt haben. Man hielt ihn für nichts Beſ-
ſeres, als für ein Stück honnetten Gauners und
doch blickte man ſehnſüchtig nach ihm aus, ließ er
einmal auf ſich warten. Obgleich ich überzeugt bin,
daß er eigentlich ſchlechte Streiche nirgends begangen
hat, denn ſonſt würde er leiſer, verſteckter, künſtlicher
aufgetreten ſeyn. Eine gewiſſe theoretiſche Unwahr-
haftigkeit war in ihm zur andern Natur geworden;
gegen die Geſetze wird er ſich nicht verfehlt haben.

Du fragſt: Wodurch feſſelte er Euch denn?
Ja, wodurch? Durch tolle Mährchen, die er uns

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[333/0341] Dieſer Menſch hatte eine Gabe zu fabuliren und zu ſchwadroniren, wie ich ſie noch nimmer bei Jemand wahrgenommen habe. Er beſaß einen ariſtophaniſchen Witz, eine gaukelnde Einbildungs- kraft und eine unerſchöpfliche Laune, vor allem aber eine Luſt und Freude am Lügen, die wirklich auch genial war. Keiner achtete ihn und doch war er überall eingeführt; unſre geſchloſſenen Geſellſchaften thaten ihre Thüren vor ihm auf, unſre Familien- Wein- und ſonſtigen Kränzchen flochten ihn ſich als Blume ein, denn du weißt wohl, daß, ſo ſchwerfällig und abgeſondert wir uns halten, es doch noch von je alle Charlatane bei uns mit uns durchgeſetzt haben. Man hielt ihn für nichts Beſ- ſeres, als für ein Stück honnetten Gauners und doch blickte man ſehnſüchtig nach ihm aus, ließ er einmal auf ſich warten. Obgleich ich überzeugt bin, daß er eigentlich ſchlechte Streiche nirgends begangen hat, denn ſonſt würde er leiſer, verſteckter, künſtlicher aufgetreten ſeyn. Eine gewiſſe theoretiſche Unwahr- haftigkeit war in ihm zur andern Natur geworden; gegen die Geſetze wird er ſich nicht verfehlt haben. Du fragſt: Wodurch feſſelte er Euch denn? Ja, wodurch? Durch tolle Mährchen, die er uns

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/341>, abgerufen am 17.09.2024.