Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.stück. Wir haben bis eilf Uhr Zeit, versetzte er. Und gleich war er wieder tief in politischen und humanen Erörterungen. In seinem Kopfe kreuzen sich die verschiedenartigsten Gedanken. Eine unglaubliche Rührigkeit setzt ihn in unaufhörliche Bewegung. Er ist Mitglied von, Gott weiß, wie vielen Gesellschaften, er sammelt Gemälde, er nimmt an einer Dampfschifffahrts-Compagnie Theil und schreibt für mehrere Journale Correspondenz-Artikel. Das Alles erfuhr ich im Laufe einer von einem Punkte zu andern springenden Unterhaltung. Ich fragte ihn, ob er denn nicht gesonnen sei, sich zu verheirathen? Nein, erwiderte er mit Feuer, nur keine Fesseln, nur nicht Fußklötze, die jeden höhern Lebenszweck hindern! Der Mann -- ist er ein Mann -- bleibt Cölibatair, leider streben unsere Sitten entgegen, die vernünftigste Einrichtung, Gemeinschaft aller Weiber, einzuführen. Doch schweigen wir von solchen Kleinigkeiten, sieh' einmal, was ich da habe! -- Er brachte einen Plan der Stadt Köln hervor und sagte zu mir, daß es im Werke sei, sie zu verschönern. Dann müßt ihr ja die ganze Stadt abbrechen! rief ich. Nein, versetzte er ernsthaft, nicht die ganze Stadt, nur ein Theil, nur so die Hauptsache soll vor der Hand verändert werden. Man muß im Anfange mit Wenigem zufrieden sein, späterhin findet sich dann das Mehrere. -- Er breitete den Plan auf dem Tische aus und machte mir seine Verschönerungsvorschläge klar. Er hatte die Linien, welche er beobachtet wissen wollte, mit dem Bleistifte stück. Wir haben bis eilf Uhr Zeit, versetzte er. Und gleich war er wieder tief in politischen und humanen Erörterungen. In seinem Kopfe kreuzen sich die verschiedenartigsten Gedanken. Eine unglaubliche Rührigkeit setzt ihn in unaufhörliche Bewegung. Er ist Mitglied von, Gott weiß, wie vielen Gesellschaften, er sammelt Gemälde, er nimmt an einer Dampfschifffahrts-Compagnie Theil und schreibt für mehrere Journale Correspondenz-Artikel. Das Alles erfuhr ich im Laufe einer von einem Punkte zu andern springenden Unterhaltung. Ich fragte ihn, ob er denn nicht gesonnen sei, sich zu verheirathen? Nein, erwiderte er mit Feuer, nur keine Fesseln, nur nicht Fußklötze, die jeden höhern Lebenszweck hindern! Der Mann — ist er ein Mann — bleibt Cölibatair, leider streben unsere Sitten entgegen, die vernünftigste Einrichtung, Gemeinschaft aller Weiber, einzuführen. Doch schweigen wir von solchen Kleinigkeiten, sieh' einmal, was ich da habe! — Er brachte einen Plan der Stadt Köln hervor und sagte zu mir, daß es im Werke sei, sie zu verschönern. Dann müßt ihr ja die ganze Stadt abbrechen! rief ich. Nein, versetzte er ernsthaft, nicht die ganze Stadt, nur ein Theil, nur so die Hauptsache soll vor der Hand verändert werden. Man muß im Anfange mit Wenigem zufrieden sein, späterhin findet sich dann das Mehrere. — Er breitete den Plan auf dem Tische aus und machte mir seine Verschönerungsvorschläge klar. Er hatte die Linien, welche er beobachtet wissen wollte, mit dem Bleistifte <TEI> <text> <body> <div n="12"> <p><pb facs="#f0058"/> stück. Wir haben bis eilf Uhr Zeit, versetzte er. Und gleich war er wieder tief in politischen und humanen Erörterungen. In seinem Kopfe kreuzen sich die verschiedenartigsten Gedanken. Eine unglaubliche Rührigkeit setzt ihn in unaufhörliche Bewegung. Er ist Mitglied von, Gott weiß, wie vielen Gesellschaften, er sammelt Gemälde, er nimmt an einer Dampfschifffahrts-Compagnie Theil und schreibt für mehrere Journale Correspondenz-Artikel. Das Alles erfuhr ich im Laufe einer von einem Punkte zu andern springenden Unterhaltung. Ich fragte ihn, ob er denn nicht gesonnen sei, sich zu verheirathen? Nein, erwiderte er mit Feuer, nur keine Fesseln, nur nicht Fußklötze, die jeden höhern Lebenszweck hindern! Der Mann — ist er ein Mann — bleibt Cölibatair, leider streben unsere Sitten entgegen, die vernünftigste Einrichtung, Gemeinschaft aller Weiber, einzuführen. Doch schweigen wir von solchen Kleinigkeiten, sieh' einmal, was ich da habe! — Er brachte einen Plan der Stadt Köln hervor und sagte zu mir, daß es im Werke sei, sie zu verschönern. Dann müßt ihr ja die ganze Stadt abbrechen! rief ich. Nein, versetzte er ernsthaft, nicht die ganze Stadt, nur ein Theil, nur so die Hauptsache soll vor der Hand verändert werden. Man muß im Anfange mit Wenigem zufrieden sein, späterhin findet sich dann das Mehrere. — Er breitete den Plan auf dem Tische aus und machte mir seine Verschönerungsvorschläge klar. Er hatte die Linien, welche er beobachtet wissen wollte, mit dem Bleistifte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
stück. Wir haben bis eilf Uhr Zeit, versetzte er. Und gleich war er wieder tief in politischen und humanen Erörterungen. In seinem Kopfe kreuzen sich die verschiedenartigsten Gedanken. Eine unglaubliche Rührigkeit setzt ihn in unaufhörliche Bewegung. Er ist Mitglied von, Gott weiß, wie vielen Gesellschaften, er sammelt Gemälde, er nimmt an einer Dampfschifffahrts-Compagnie Theil und schreibt für mehrere Journale Correspondenz-Artikel. Das Alles erfuhr ich im Laufe einer von einem Punkte zu andern springenden Unterhaltung. Ich fragte ihn, ob er denn nicht gesonnen sei, sich zu verheirathen? Nein, erwiderte er mit Feuer, nur keine Fesseln, nur nicht Fußklötze, die jeden höhern Lebenszweck hindern! Der Mann — ist er ein Mann — bleibt Cölibatair, leider streben unsere Sitten entgegen, die vernünftigste Einrichtung, Gemeinschaft aller Weiber, einzuführen. Doch schweigen wir von solchen Kleinigkeiten, sieh' einmal, was ich da habe! — Er brachte einen Plan der Stadt Köln hervor und sagte zu mir, daß es im Werke sei, sie zu verschönern. Dann müßt ihr ja die ganze Stadt abbrechen! rief ich. Nein, versetzte er ernsthaft, nicht die ganze Stadt, nur ein Theil, nur so die Hauptsache soll vor der Hand verändert werden. Man muß im Anfange mit Wenigem zufrieden sein, späterhin findet sich dann das Mehrere. — Er breitete den Plan auf dem Tische aus und machte mir seine Verschönerungsvorschläge klar. Er hatte die Linien, welche er beobachtet wissen wollte, mit dem Bleistifte
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Zitationshilfe: | Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/58>, abgerufen am 16.02.2025. |