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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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über den Grundriß gezogen, sie bildeten lauter rechte Winkel und Quadrate und gingen meistens mit unerschrockener Kühnheit hinweg über die Curven, Trapeze und Trapezoiden, in welchen es der alten heiligen Stadt Köln gefallen hat, sich aufzuerbauen. Ich wollte ihm eben über diese geniale Idee etwas sagen, als die Hausklingel tönte. Gleich darauf trat ein Mann mit gescheiteltem Haar, im zugeknöpften Reise-Ueberrock ein. Es war Ernst, der Erwartete. Er wurde von mir mit herzlicher Freude, von Anselm aber mit ziemlich kühlem Willkommen begrüßt. Was mir an ihm, dem einst so leichtherzigen, leichtfertigen Vogel, auffiel, er sprach jetzt überaus gedehnt, leise, fast lispelnd. Indessen, wer ändert sich nicht im Laufe der rollenden Jahre? --

Kinder, sagte ich zu beiden Freunden, da wir Drei nach langer Zeit nun einmal so hübsch wieder zusammen sind, so laßt uns auch recht fröhlich sein, laßt uns die alten Geschichten wiederholen, die uns einst so lustig machten! --

Du bist ein Sanguiniker und denkst bloß an Sentimentalität und Genuß, fuhr Anselm ziemlich unfreundlich heraus. -- Habt ihr schon gehört, fragte Ernst, daß die Väter in Freiburg mit jedem Tage mehr Zöglinge bekommen? -- Bei diesen Worten schwoll Anselm's Gesicht, er spuckte giftig und warf einen äußerst grimmigen Blick auf Ernst. Dieser nahm lächelnd den Verschönerungsplan zur Hand und sagte, sich an mich wendend : Ich sehe, unser weltumstürzender Freund hat dich in die Lehre genommen. Nun, wie tief bist du denn

über den Grundriß gezogen, sie bildeten lauter rechte Winkel und Quadrate und gingen meistens mit unerschrockener Kühnheit hinweg über die Curven, Trapeze und Trapezoiden, in welchen es der alten heiligen Stadt Köln gefallen hat, sich aufzuerbauen. Ich wollte ihm eben über diese geniale Idee etwas sagen, als die Hausklingel tönte. Gleich darauf trat ein Mann mit gescheiteltem Haar, im zugeknöpften Reise-Ueberrock ein. Es war Ernst, der Erwartete. Er wurde von mir mit herzlicher Freude, von Anselm aber mit ziemlich kühlem Willkommen begrüßt. Was mir an ihm, dem einst so leichtherzigen, leichtfertigen Vogel, auffiel, er sprach jetzt überaus gedehnt, leise, fast lispelnd. Indessen, wer ändert sich nicht im Laufe der rollenden Jahre? —

Kinder, sagte ich zu beiden Freunden, da wir Drei nach langer Zeit nun einmal so hübsch wieder zusammen sind, so laßt uns auch recht fröhlich sein, laßt uns die alten Geschichten wiederholen, die uns einst so lustig machten! —

Du bist ein Sanguiniker und denkst bloß an Sentimentalität und Genuß, fuhr Anselm ziemlich unfreundlich heraus. — Habt ihr schon gehört, fragte Ernst, daß die Väter in Freiburg mit jedem Tage mehr Zöglinge bekommen? — Bei diesen Worten schwoll Anselm's Gesicht, er spuckte giftig und warf einen äußerst grimmigen Blick auf Ernst. Dieser nahm lächelnd den Verschönerungsplan zur Hand und sagte, sich an mich wendend : Ich sehe, unser weltumstürzender Freund hat dich in die Lehre genommen. Nun, wie tief bist du denn

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/59>, abgerufen am 24.11.2024.