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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und that an ihn einige Fragen über seinen Unfall. Der aber machte sein unbescheidnes Zeichen dem Amtmann ins Gesicht und schrie das Wort, welches ihm allein von der Sprache übrig geblieben zu sein schien. Der Amtmann sagte: Ich nehme alle Umstehenden zu Zeugen, daß der Joachim sein verwirrtes Benehmen auch in dieser Verfassung noch beibehalten hat. Sie, mein Herr, muß ich über den Vorfall vernehmen. Ich hoffe, der Joachim ist gerettet, kein Arzt wird ihm jetzt die Tollheit absprechen. Die Bauern luden den Wahnsinnigen auf eine Bahre. Gustav schritt mit dem Amtmann, das Roß am Zügel führend, voran.

Unterwegs erfuhr er von seinem Begleiter, der gern zu reden schien, die Geschichte des Unglücklichen. Er war ein Brudermörder. Er lebte mit dem Erschlagnen ruhig und friedlich zusammen, als auf einmal, man wußte nicht wie und wodurch, in ihm der Argwohn erwachte, Jener halte es mit seiner Frau. In einem Anstoß der Eifersucht wurde das schreckliche Verbrechen begangen. Man hielt ihn schon damals für irrsinnig, während der Untersuchung stellte er sich ganz so dar. Seine Seele schien bis auf die Vorstellung verletzter Treue alle übrigen eingebüßt zu haben. Er saß Tage lang, ohne ein Wort zu sprechen, starr auf Einen Fleck blickend, und nur, wenn man ihn gewaltsam aufrüttelte, wiederholte er, bis ihm die Stimme versagte, den Ruf, den auch Gustav so oft aus seinem Munde vernommen hatte.

und that an ihn einige Fragen über seinen Unfall. Der aber machte sein unbescheidnes Zeichen dem Amtmann ins Gesicht und schrie das Wort, welches ihm allein von der Sprache übrig geblieben zu sein schien. Der Amtmann sagte: Ich nehme alle Umstehenden zu Zeugen, daß der Joachim sein verwirrtes Benehmen auch in dieser Verfassung noch beibehalten hat. Sie, mein Herr, muß ich über den Vorfall vernehmen. Ich hoffe, der Joachim ist gerettet, kein Arzt wird ihm jetzt die Tollheit absprechen. Die Bauern luden den Wahnsinnigen auf eine Bahre. Gustav schritt mit dem Amtmann, das Roß am Zügel führend, voran.

Unterwegs erfuhr er von seinem Begleiter, der gern zu reden schien, die Geschichte des Unglücklichen. Er war ein Brudermörder. Er lebte mit dem Erschlagnen ruhig und friedlich zusammen, als auf einmal, man wußte nicht wie und wodurch, in ihm der Argwohn erwachte, Jener halte es mit seiner Frau. In einem Anstoß der Eifersucht wurde das schreckliche Verbrechen begangen. Man hielt ihn schon damals für irrsinnig, während der Untersuchung stellte er sich ganz so dar. Seine Seele schien bis auf die Vorstellung verletzter Treue alle übrigen eingebüßt zu haben. Er saß Tage lang, ohne ein Wort zu sprechen, starr auf Einen Fleck blickend, und nur, wenn man ihn gewaltsam aufrüttelte, wiederholte er, bis ihm die Stimme versagte, den Ruf, den auch Gustav so oft aus seinem Munde vernommen hatte.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/126>, abgerufen am 17.05.2024.