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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Dies erzählte der Amtmann, und daß Jener vor wenigen Stunden die Unachtsamkeit eines Wärters zur Flucht benutzt habe. Er fügte hinzu, daß er immer an der Wirklichkeit des Wahnsinns gezweifelt habe, und sagte viel von den künstlichen Mitteln, die von ihm angewendet worden seien, um auf den Grund zu dringen; was Gustav nur halb verstand. Heute aber sei er gewiß geworden, schloß der Amtmann; wer, vom Pferde geschlagen, mit halbzerschmettertem Schenkel verrückt bleibe, der sei aufrichtig verrückt. Ein Glück für den Schelm, rief er aus, daß Sie mit Ihrem wilden Pferde ihm gerade in den Weg kommen mußten! Wir können ihn nun mit gutem Gewissen ans Irrenhaus abgeben.

Sie sprechen ein sonderbares Glück aus, versetzte Gustav, und doch haben Sie wohl Recht. Die Kirchen und Klöster haben aufgehört, Freistätten zu sein, und das Tollhaus ist an ihre Stelle getreten. -- Uebrigens, dächte ich, mußte der erste Blick lehren, daß der Mensch ohne Verstand sei, und ich hätte um diesen Punkt keine weitläuftige Untersuchung angestellt.

Mein Herr, Sie sind nicht Criminalist, antwortete der Amtmann mit einem Blicke, der, wie es schien, den unbefugten Urtheiler in seine Schranken zurückweisen sollte. -- Indessen waren sie aus dem Hohlwege gekommen, eine sanfte Baumebene lag vor ihnen, in kurzer Entfernung zeigte sich ein großes fleckenartiges Dorf. Gustav fragte nach dem Namen. Es ist mein Wohnort, versetzte der Amtmann, und nannte den Namen. Großer Gott!

Dies erzählte der Amtmann, und daß Jener vor wenigen Stunden die Unachtsamkeit eines Wärters zur Flucht benutzt habe. Er fügte hinzu, daß er immer an der Wirklichkeit des Wahnsinns gezweifelt habe, und sagte viel von den künstlichen Mitteln, die von ihm angewendet worden seien, um auf den Grund zu dringen; was Gustav nur halb verstand. Heute aber sei er gewiß geworden, schloß der Amtmann; wer, vom Pferde geschlagen, mit halbzerschmettertem Schenkel verrückt bleibe, der sei aufrichtig verrückt. Ein Glück für den Schelm, rief er aus, daß Sie mit Ihrem wilden Pferde ihm gerade in den Weg kommen mußten! Wir können ihn nun mit gutem Gewissen ans Irrenhaus abgeben.

Sie sprechen ein sonderbares Glück aus, versetzte Gustav, und doch haben Sie wohl Recht. Die Kirchen und Klöster haben aufgehört, Freistätten zu sein, und das Tollhaus ist an ihre Stelle getreten. — Uebrigens, dächte ich, mußte der erste Blick lehren, daß der Mensch ohne Verstand sei, und ich hätte um diesen Punkt keine weitläuftige Untersuchung angestellt.

Mein Herr, Sie sind nicht Criminalist, antwortete der Amtmann mit einem Blicke, der, wie es schien, den unbefugten Urtheiler in seine Schranken zurückweisen sollte. — Indessen waren sie aus dem Hohlwege gekommen, eine sanfte Baumebene lag vor ihnen, in kurzer Entfernung zeigte sich ein großes fleckenartiges Dorf. Gustav fragte nach dem Namen. Es ist mein Wohnort, versetzte der Amtmann, und nannte den Namen. Großer Gott!

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[0127] Dies erzählte der Amtmann, und daß Jener vor wenigen Stunden die Unachtsamkeit eines Wärters zur Flucht benutzt habe. Er fügte hinzu, daß er immer an der Wirklichkeit des Wahnsinns gezweifelt habe, und sagte viel von den künstlichen Mitteln, die von ihm angewendet worden seien, um auf den Grund zu dringen; was Gustav nur halb verstand. Heute aber sei er gewiß geworden, schloß der Amtmann; wer, vom Pferde geschlagen, mit halbzerschmettertem Schenkel verrückt bleibe, der sei aufrichtig verrückt. Ein Glück für den Schelm, rief er aus, daß Sie mit Ihrem wilden Pferde ihm gerade in den Weg kommen mußten! Wir können ihn nun mit gutem Gewissen ans Irrenhaus abgeben. Sie sprechen ein sonderbares Glück aus, versetzte Gustav, und doch haben Sie wohl Recht. Die Kirchen und Klöster haben aufgehört, Freistätten zu sein, und das Tollhaus ist an ihre Stelle getreten. — Uebrigens, dächte ich, mußte der erste Blick lehren, daß der Mensch ohne Verstand sei, und ich hätte um diesen Punkt keine weitläuftige Untersuchung angestellt. Mein Herr, Sie sind nicht Criminalist, antwortete der Amtmann mit einem Blicke, der, wie es schien, den unbefugten Urtheiler in seine Schranken zurückweisen sollte. — Indessen waren sie aus dem Hohlwege gekommen, eine sanfte Baumebene lag vor ihnen, in kurzer Entfernung zeigte sich ein großes fleckenartiges Dorf. Gustav fragte nach dem Namen. Es ist mein Wohnort, versetzte der Amtmann, und nannte den Namen. Großer Gott!

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/127>, abgerufen am 18.05.2024.