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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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um, der Mensch lag, von dem Hufschlage getroffen, blutend und wimmernd am Boden. Sobald Gustav sein wüthendes Thier etwas beruhigt hatte, schwang er sich herab und ging zum Verwundeten. Er bemühte sich um ihn, er sah, daß das Blut aus dem Schenkel hervordrang, er fragte ihn, ob er irgend anderswo getroffen sei? Statt aller Antwort blickte ihn der Mensch verwirrt mit starrem Auge an und wiederholte wohl zwanzigmal den Ruf: Hahnrei! -- In fahlangeleuchteter Enge war unser Freund so einige Minuten mit dem Menschen allein, aus dessen Zügen durch den Schmerz hindurch der Wahnsinn blickte. Endlich ließen sich Menschenstimmen vernehmen. Ein Trupp Bauern drängte sich durch den Hohlweg. Da liegt der Tolle, Herr Amtmann, rief Alles, sich nach einem Manne zurückwendend, der in anständiger Civilkleidung bedachtsam einherschreitend seinen Gerichtseingesessnen um einige Schritte nachgeblieben war. Der Amtmann und die Bauern kamen herzu, und Alles schrie vor Erstaunen wild durcheinander, als sie den Joachim, wie sie den Verwundeten nannten, bluten sahen. Mit wenigen geflügelten Worten hatte Gustav ihnen die Geschichte erzählt; sein schäumendes Pferd, welches, wild wie ein Tiger, daneben stand und in den Boden hieb, lieferte den Beweis. Plötzlich rief der Amtmann nicht ohne Würde: Stille! dieser Augenblick ist wichtig. Der Schmerz bannt alle Verstellung. Nicht besser kann ich ihn erforschen als jetzt. Er wandte sich zu dem Blutenden

um, der Mensch lag, von dem Hufschlage getroffen, blutend und wimmernd am Boden. Sobald Gustav sein wüthendes Thier etwas beruhigt hatte, schwang er sich herab und ging zum Verwundeten. Er bemühte sich um ihn, er sah, daß das Blut aus dem Schenkel hervordrang, er fragte ihn, ob er irgend anderswo getroffen sei? Statt aller Antwort blickte ihn der Mensch verwirrt mit starrem Auge an und wiederholte wohl zwanzigmal den Ruf: Hahnrei! — In fahlangeleuchteter Enge war unser Freund so einige Minuten mit dem Menschen allein, aus dessen Zügen durch den Schmerz hindurch der Wahnsinn blickte. Endlich ließen sich Menschenstimmen vernehmen. Ein Trupp Bauern drängte sich durch den Hohlweg. Da liegt der Tolle, Herr Amtmann, rief Alles, sich nach einem Manne zurückwendend, der in anständiger Civilkleidung bedachtsam einherschreitend seinen Gerichtseingesessnen um einige Schritte nachgeblieben war. Der Amtmann und die Bauern kamen herzu, und Alles schrie vor Erstaunen wild durcheinander, als sie den Joachim, wie sie den Verwundeten nannten, bluten sahen. Mit wenigen geflügelten Worten hatte Gustav ihnen die Geschichte erzählt; sein schäumendes Pferd, welches, wild wie ein Tiger, daneben stand und in den Boden hieb, lieferte den Beweis. Plötzlich rief der Amtmann nicht ohne Würde: Stille! dieser Augenblick ist wichtig. Der Schmerz bannt alle Verstellung. Nicht besser kann ich ihn erforschen als jetzt. Er wandte sich zu dem Blutenden

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[0125] um, der Mensch lag, von dem Hufschlage getroffen, blutend und wimmernd am Boden. Sobald Gustav sein wüthendes Thier etwas beruhigt hatte, schwang er sich herab und ging zum Verwundeten. Er bemühte sich um ihn, er sah, daß das Blut aus dem Schenkel hervordrang, er fragte ihn, ob er irgend anderswo getroffen sei? Statt aller Antwort blickte ihn der Mensch verwirrt mit starrem Auge an und wiederholte wohl zwanzigmal den Ruf: Hahnrei! — In fahlangeleuchteter Enge war unser Freund so einige Minuten mit dem Menschen allein, aus dessen Zügen durch den Schmerz hindurch der Wahnsinn blickte. Endlich ließen sich Menschenstimmen vernehmen. Ein Trupp Bauern drängte sich durch den Hohlweg. Da liegt der Tolle, Herr Amtmann, rief Alles, sich nach einem Manne zurückwendend, der in anständiger Civilkleidung bedachtsam einherschreitend seinen Gerichtseingesessnen um einige Schritte nachgeblieben war. Der Amtmann und die Bauern kamen herzu, und Alles schrie vor Erstaunen wild durcheinander, als sie den Joachim, wie sie den Verwundeten nannten, bluten sahen. Mit wenigen geflügelten Worten hatte Gustav ihnen die Geschichte erzählt; sein schäumendes Pferd, welches, wild wie ein Tiger, daneben stand und in den Boden hieb, lieferte den Beweis. Plötzlich rief der Amtmann nicht ohne Würde: Stille! dieser Augenblick ist wichtig. Der Schmerz bannt alle Verstellung. Nicht besser kann ich ihn erforschen als jetzt. Er wandte sich zu dem Blutenden

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/125>, abgerufen am 19.05.2024.