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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Tage unter Necken, Abstoßen, Anziehen, Suchen, Vermeiden weiter. Es war eine von den Ehen, die nicht unter dem Segen des Spruchs: Und er soll dein Herr sein! geschlossen sind.

Eine unbändige Eifersucht ergriff sie, als unvorsichtig hingeworfene Worte Gustavs sie im Allgemeinen von dem Abenteuer zu Ems unterrichteten. Er hatte eine sonderbar-strenge Meinung von der Pflicht der Ehegatten, einander Alles anzuvertrauen, und legte durch eine Tugend, die Niemand von ihm verlangte, den Grund zu den nachherigen Verwickelungen. Oder wirkte ein weniger reines Motiv? So viel ist gewiß, daß er von Sidonien zu sprechen anfing, als Adolphine einmal besonders kalt und grillenhaft sich betragen hatte. -- Sie wurde durch sein Geständniß sehr aufgeregt. In ihren Gedanken machte sie sich jene geheimnißvolle Schöne, die wahrlich keine gefährliche Nebenbuhlerin mehr war, zur fürchterlichsten Feindin, sie sah die Gestalt wachend und träumend vor sich, sie hätte dieses Gespenst gern vernichtet, zu dem, ihr unbewußt, ihre Leidenschaft für Gustav sich zusammengeballt hatte. Aber ihr Stolz verrieth nichts, auch jetzt ward der Spott zum Deckmantel einer Qual, die sie sich so ganz ohne Noth selbst schuf. Welch ein Triumph für sie, als sie mit dem Ringe den Schlüssel zu der Geschichte erhielt! Nun war die Rivalin entlarvt, vernichtet, es stand bei ihr, in dem Herzen ihres Gatten an die Stelle der von ihr erträumten Empfindung Zorn und Verachtung zu pflanzen. Sie kannte sich nicht vor

Tage unter Necken, Abstoßen, Anziehen, Suchen, Vermeiden weiter. Es war eine von den Ehen, die nicht unter dem Segen des Spruchs: Und er soll dein Herr sein! geschlossen sind.

Eine unbändige Eifersucht ergriff sie, als unvorsichtig hingeworfene Worte Gustavs sie im Allgemeinen von dem Abenteuer zu Ems unterrichteten. Er hatte eine sonderbar-strenge Meinung von der Pflicht der Ehegatten, einander Alles anzuvertrauen, und legte durch eine Tugend, die Niemand von ihm verlangte, den Grund zu den nachherigen Verwickelungen. Oder wirkte ein weniger reines Motiv? So viel ist gewiß, daß er von Sidonien zu sprechen anfing, als Adolphine einmal besonders kalt und grillenhaft sich betragen hatte. — Sie wurde durch sein Geständniß sehr aufgeregt. In ihren Gedanken machte sie sich jene geheimnißvolle Schöne, die wahrlich keine gefährliche Nebenbuhlerin mehr war, zur fürchterlichsten Feindin, sie sah die Gestalt wachend und träumend vor sich, sie hätte dieses Gespenst gern vernichtet, zu dem, ihr unbewußt, ihre Leidenschaft für Gustav sich zusammengeballt hatte. Aber ihr Stolz verrieth nichts, auch jetzt ward der Spott zum Deckmantel einer Qual, die sie sich so ganz ohne Noth selbst schuf. Welch ein Triumph für sie, als sie mit dem Ringe den Schlüssel zu der Geschichte erhielt! Nun war die Rivalin entlarvt, vernichtet, es stand bei ihr, in dem Herzen ihres Gatten an die Stelle der von ihr erträumten Empfindung Zorn und Verachtung zu pflanzen. Sie kannte sich nicht vor

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[0116] Tage unter Necken, Abstoßen, Anziehen, Suchen, Vermeiden weiter. Es war eine von den Ehen, die nicht unter dem Segen des Spruchs: Und er soll dein Herr sein! geschlossen sind. Eine unbändige Eifersucht ergriff sie, als unvorsichtig hingeworfene Worte Gustavs sie im Allgemeinen von dem Abenteuer zu Ems unterrichteten. Er hatte eine sonderbar-strenge Meinung von der Pflicht der Ehegatten, einander Alles anzuvertrauen, und legte durch eine Tugend, die Niemand von ihm verlangte, den Grund zu den nachherigen Verwickelungen. Oder wirkte ein weniger reines Motiv? So viel ist gewiß, daß er von Sidonien zu sprechen anfing, als Adolphine einmal besonders kalt und grillenhaft sich betragen hatte. — Sie wurde durch sein Geständniß sehr aufgeregt. In ihren Gedanken machte sie sich jene geheimnißvolle Schöne, die wahrlich keine gefährliche Nebenbuhlerin mehr war, zur fürchterlichsten Feindin, sie sah die Gestalt wachend und träumend vor sich, sie hätte dieses Gespenst gern vernichtet, zu dem, ihr unbewußt, ihre Leidenschaft für Gustav sich zusammengeballt hatte. Aber ihr Stolz verrieth nichts, auch jetzt ward der Spott zum Deckmantel einer Qual, die sie sich so ganz ohne Noth selbst schuf. Welch ein Triumph für sie, als sie mit dem Ringe den Schlüssel zu der Geschichte erhielt! Nun war die Rivalin entlarvt, vernichtet, es stand bei ihr, in dem Herzen ihres Gatten an die Stelle der von ihr erträumten Empfindung Zorn und Verachtung zu pflanzen. Sie kannte sich nicht vor

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/116>, abgerufen am 17.05.2024.