Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.kranke behaupten, man habe die Zeitungen umgedruckt, um sie Eben weil sie in hartnäckiger Selbsttäuschung die Ueber¬ kranke behaupten, man habe die Zeitungen umgedruckt, um ſie Eben weil ſie in hartnaͤckiger Selbſttaͤuſchung die Ueber¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0099" n="91"/> kranke behaupten, man habe die Zeitungen umgedruckt, um ſie<lb/> zu taͤuſchen. Ja ein von mir behandelter gemuͤthskranker Arzt<lb/> behauptete hartnaͤckig, alle ſeine mediziniſchen Buͤcher ſeien von<lb/> ſeinen Feinden umgedruckt worden, um ihn voͤllig irre zu<lb/> leiten.</p><lb/> <p>Eben weil ſie in hartnaͤckiger Selbſttaͤuſchung die Ueber¬<lb/> zeugung feſthielt, der Verſtorbene werde wiederkehren, gelangte<lb/> ſie ſchon nach einigen Wochen wieder zu einer theilweiſen Ruhe<lb/> und ſelbſt Freudigkeit. Unablaͤſſig mit ihrem Liebeswahn be¬<lb/> ſchaͤftigt, nahm ſie denſelben ſogar in ihre naͤchtlichen Traͤume<lb/> hinuͤber, aus denen ihre Gefuͤhle neue Nahrung ſchoͤpften. Etwa<lb/> 3 Wochen nach der erhaltenen Todesnachricht erſchien ihr der<lb/> Verſtorbene im Traume ganz verhuͤllt mit einem grauen Man¬<lb/> tel, um ſeine Verwandten zu uͤberraſchen, welche ihn aber mit<lb/> der Erklaͤrung abwieſen, er ſei es nicht. In einem zweiten<lb/> Traume erblickte ſie ihn, mit Stricken gebunden, ſie mit ſtar¬<lb/> ren Augen anſchauend, und mit lahmen Schritten umherwan¬<lb/> kend, wobei die Anweſenden bemerkten, er werde nicht lange<lb/> mehr leben. Im dritten Traume ſah ſie ihn am ganzen Leibe<lb/> braun, wie mit Blut unterlaufen; ſie ſprach zu ihm, daß ſie<lb/> ihm die Kraͤnze zeigen wolle, welche ſie geholt habe, worauf<lb/> er erwiederte, ſie muͤſſe zuvor nach Tyrol zu ihm kommen.<lb/> Zugleich kam es ihr vor, als ob er ſie aus der Kuͤche abho¬<lb/> len wolle, woruͤber ſie in Ohnmacht fiel, von ihm aber mit<lb/> den Worten getroͤſtet wurde: „Geniren Sie ſich nicht, Sie<lb/> ſind ja bei mir geweſen, mit mir uͤber die Felſen gegangen.”<lb/> Hierbei erwachte ſie, ſah um ſich, glaubte ihn erblicken zu<lb/> muͤſſen, und fand namentlich in dieſem Traume die Beſtaͤti¬<lb/> gung dafuͤr, daß er nicht geſtorben ſei. Uebrigens hatte ſie<lb/> die Kraͤnze, welche ſie ihm im Traume zeigen wollte, wirk¬<lb/> lich bei einem Gaͤrtner beſtellt, um ſie ihm bei ſeiner als nahe<lb/> geglaubten Ankunft zum Empfang zu reichen. Es waren vier<lb/> Kraͤnze, welche aus Vergißmeinnicht, Roſen, Myrthen und<lb/> weißen Blumen gewunden uͤber ihre Bedeutung keinen Zweifel<lb/> uͤbrig laſſen; ſie hatte fuͤr dieſelben 1½ Thaler bezahlt, und<lb/> erhielt ſie eine Woche hindurch friſch im Waſſer, ließ ſie aber<lb/> alsdann vertrocknen, als ſie vergeblich auf ſeine Ankunft ge¬<lb/> harrt hatte. Zugleich glaubte ſie, von ihrer bereits vor zwanzig<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [91/0099]
kranke behaupten, man habe die Zeitungen umgedruckt, um ſie
zu taͤuſchen. Ja ein von mir behandelter gemuͤthskranker Arzt
behauptete hartnaͤckig, alle ſeine mediziniſchen Buͤcher ſeien von
ſeinen Feinden umgedruckt worden, um ihn voͤllig irre zu
leiten.
Eben weil ſie in hartnaͤckiger Selbſttaͤuſchung die Ueber¬
zeugung feſthielt, der Verſtorbene werde wiederkehren, gelangte
ſie ſchon nach einigen Wochen wieder zu einer theilweiſen Ruhe
und ſelbſt Freudigkeit. Unablaͤſſig mit ihrem Liebeswahn be¬
ſchaͤftigt, nahm ſie denſelben ſogar in ihre naͤchtlichen Traͤume
hinuͤber, aus denen ihre Gefuͤhle neue Nahrung ſchoͤpften. Etwa
3 Wochen nach der erhaltenen Todesnachricht erſchien ihr der
Verſtorbene im Traume ganz verhuͤllt mit einem grauen Man¬
tel, um ſeine Verwandten zu uͤberraſchen, welche ihn aber mit
der Erklaͤrung abwieſen, er ſei es nicht. In einem zweiten
Traume erblickte ſie ihn, mit Stricken gebunden, ſie mit ſtar¬
ren Augen anſchauend, und mit lahmen Schritten umherwan¬
kend, wobei die Anweſenden bemerkten, er werde nicht lange
mehr leben. Im dritten Traume ſah ſie ihn am ganzen Leibe
braun, wie mit Blut unterlaufen; ſie ſprach zu ihm, daß ſie
ihm die Kraͤnze zeigen wolle, welche ſie geholt habe, worauf
er erwiederte, ſie muͤſſe zuvor nach Tyrol zu ihm kommen.
Zugleich kam es ihr vor, als ob er ſie aus der Kuͤche abho¬
len wolle, woruͤber ſie in Ohnmacht fiel, von ihm aber mit
den Worten getroͤſtet wurde: „Geniren Sie ſich nicht, Sie
ſind ja bei mir geweſen, mit mir uͤber die Felſen gegangen.”
Hierbei erwachte ſie, ſah um ſich, glaubte ihn erblicken zu
muͤſſen, und fand namentlich in dieſem Traume die Beſtaͤti¬
gung dafuͤr, daß er nicht geſtorben ſei. Uebrigens hatte ſie
die Kraͤnze, welche ſie ihm im Traume zeigen wollte, wirk¬
lich bei einem Gaͤrtner beſtellt, um ſie ihm bei ſeiner als nahe
geglaubten Ankunft zum Empfang zu reichen. Es waren vier
Kraͤnze, welche aus Vergißmeinnicht, Roſen, Myrthen und
weißen Blumen gewunden uͤber ihre Bedeutung keinen Zweifel
uͤbrig laſſen; ſie hatte fuͤr dieſelben 1½ Thaler bezahlt, und
erhielt ſie eine Woche hindurch friſch im Waſſer, ließ ſie aber
alsdann vertrocknen, als ſie vergeblich auf ſeine Ankunft ge¬
harrt hatte. Zugleich glaubte ſie, von ihrer bereits vor zwanzig
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