Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.König ihm bekannt wurde, weil seine streng religiöse Denk¬ In die heftigste Aufregung wurde aber W. versetzt, als 4 *
Koͤnig ihm bekannt wurde, weil ſeine ſtreng religioͤſe Denk¬ In die heftigſte Aufregung wurde aber W. verſetzt, als 4 *
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0059" n="51"/> Koͤnig ihm bekannt wurde, weil ſeine ſtreng religioͤſe Denk¬<lb/> weiſe die Groͤße des Frevels hinreichend begriff. Er machte<lb/> ſeinem Gefuͤhle in einer Reihe von Gedichten Luft, wie er denn<lb/> auch bei anderen Gelegenheiten, z. B. beim Jahreswechſel Ge¬<lb/> dichte verfertigte, denen meiſtens ſchon aller innere Gedanken¬<lb/> zuſammenhang fehlte. Wer wollte die Geſinnung des W. nicht<lb/> loben, welcher nach deutlichen Vorſtellungen rang, nachdem<lb/> er im unſeeligen Zwieſpalt ſeines religioͤſen Gefuͤhls die Klarheit<lb/> und Ordnung ſeiner Begriffe verloren hatte; wer ihn nicht<lb/> aufrichtig beklagen, daß er daruͤber ſeinen naͤchſten Beruf<lb/> gaͤnzlich vergaß, fuͤr die Wohlfahrt ſeiner Familie zu ſorgen?<lb/> Denn ſchon war es dahin gekommen, daß er ſeinen Erwerb<lb/> vernachlaͤſſigte, um die meiſte Zeit dem Abfaſſen von Aufſaͤtzen<lb/> zu widmen, und wenn es ihm damit nicht gelingen wollte,<lb/> viele Kapitel aus der Bibel bis tief in die Nacht abzuſchrei¬<lb/> ben. Er lebte in der Taͤuſchung, welche ſo oft der unklaren,<lb/> aber leidenſchaftlich aufgeregten Koͤpfe ſich bemaͤchtigt, daß das<lb/> Ungewohnte lebhafte Aufſprudeln ſelbſt der verworrenſten Vor¬<lb/> ſtellungen ſchon die Befaͤhigung anzeige, uͤber die großen und<lb/> allgemeinen Angelegenheiten ein Wort mitzureden. Daher wollte<lb/> er ſeine Aufſaͤtze, welche er groͤßtentheils von einem ihm ver¬<lb/> ſchuldeten Schreiber corrigiren und mundiren ließ, drucken laſſen.<lb/> Vergebens ſtellte ihm ſeine Frau vor, daß ihm alle Erforder¬<lb/> niſſe eines Schriftſtellers abgingen, und daß er fuͤr die Sei¬<lb/> nigen, namentlich fuͤr den bald faͤlligen Miethzins ſorgen ſolle.<lb/> Anſtatt ihn zur Beſinnung zu bringen, floͤßte ſie ihm einen<lb/> heftigen Haß gegen ſich ein, ſo daß er oft es ausſprach, er<lb/> Wolle ſie verſtoßen, ungeachtet ſie ihn kuͤmmerlich mit Hand¬<lb/> arbeiten ernaͤhren mußte.</p><lb/> <p>In die heftigſte Aufregung wurde aber W. verſetzt, als<lb/> etwa 6 Wochen vor ſeiner Aufnahme in die Charité ein Wie¬<lb/> dertaͤufer nochmals den Verſuch machte, ihn zur Ruͤckkehr zu<lb/> der verlaſſenen Secte zu bewegen. Es kam dabei zu einem<lb/> erbitterten Streit, indem jener die Behauptung ausgeſprochen<lb/> haben ſoll, daß die Vorſteher jener Secte die Schluͤſſel zum<lb/> Himmelreich fuͤhren, worauf W. mit der groͤßten Entruͤſtung<lb/> erwiederte, daß Chriſtus allein dieſe Schluͤſſel habe. Dieſer<lb/> Streit veranlaßte ihn, einen heftigen Brief an den Vorſtand<lb/> <fw place="bottom" type="sig">4 *<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [51/0059]
Koͤnig ihm bekannt wurde, weil ſeine ſtreng religioͤſe Denk¬
weiſe die Groͤße des Frevels hinreichend begriff. Er machte
ſeinem Gefuͤhle in einer Reihe von Gedichten Luft, wie er denn
auch bei anderen Gelegenheiten, z. B. beim Jahreswechſel Ge¬
dichte verfertigte, denen meiſtens ſchon aller innere Gedanken¬
zuſammenhang fehlte. Wer wollte die Geſinnung des W. nicht
loben, welcher nach deutlichen Vorſtellungen rang, nachdem
er im unſeeligen Zwieſpalt ſeines religioͤſen Gefuͤhls die Klarheit
und Ordnung ſeiner Begriffe verloren hatte; wer ihn nicht
aufrichtig beklagen, daß er daruͤber ſeinen naͤchſten Beruf
gaͤnzlich vergaß, fuͤr die Wohlfahrt ſeiner Familie zu ſorgen?
Denn ſchon war es dahin gekommen, daß er ſeinen Erwerb
vernachlaͤſſigte, um die meiſte Zeit dem Abfaſſen von Aufſaͤtzen
zu widmen, und wenn es ihm damit nicht gelingen wollte,
viele Kapitel aus der Bibel bis tief in die Nacht abzuſchrei¬
ben. Er lebte in der Taͤuſchung, welche ſo oft der unklaren,
aber leidenſchaftlich aufgeregten Koͤpfe ſich bemaͤchtigt, daß das
Ungewohnte lebhafte Aufſprudeln ſelbſt der verworrenſten Vor¬
ſtellungen ſchon die Befaͤhigung anzeige, uͤber die großen und
allgemeinen Angelegenheiten ein Wort mitzureden. Daher wollte
er ſeine Aufſaͤtze, welche er groͤßtentheils von einem ihm ver¬
ſchuldeten Schreiber corrigiren und mundiren ließ, drucken laſſen.
Vergebens ſtellte ihm ſeine Frau vor, daß ihm alle Erforder¬
niſſe eines Schriftſtellers abgingen, und daß er fuͤr die Sei¬
nigen, namentlich fuͤr den bald faͤlligen Miethzins ſorgen ſolle.
Anſtatt ihn zur Beſinnung zu bringen, floͤßte ſie ihm einen
heftigen Haß gegen ſich ein, ſo daß er oft es ausſprach, er
Wolle ſie verſtoßen, ungeachtet ſie ihn kuͤmmerlich mit Hand¬
arbeiten ernaͤhren mußte.
In die heftigſte Aufregung wurde aber W. verſetzt, als
etwa 6 Wochen vor ſeiner Aufnahme in die Charité ein Wie¬
dertaͤufer nochmals den Verſuch machte, ihn zur Ruͤckkehr zu
der verlaſſenen Secte zu bewegen. Es kam dabei zu einem
erbitterten Streit, indem jener die Behauptung ausgeſprochen
haben ſoll, daß die Vorſteher jener Secte die Schluͤſſel zum
Himmelreich fuͤhren, worauf W. mit der groͤßten Entruͤſtung
erwiederte, daß Chriſtus allein dieſe Schluͤſſel habe. Dieſer
Streit veranlaßte ihn, einen heftigen Brief an den Vorſtand
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