Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.ihm als Abfall vom wahren Glauben erscheinen mußte, und Das Ebengesagte sprach sich besonders in einigen schrift¬ ihm als Abfall vom wahren Glauben erſcheinen mußte, und Das Ebengeſagte ſprach ſich beſonders in einigen ſchrift¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0058" n="50"/> ihm als Abfall vom wahren Glauben erſcheinen mußte, und<lb/> da ſeine Selbſtanklagen noch geſchaͤrft wurden durch bittere<lb/> Vorwuͤrfe uͤber ſeinen Religionswechſel von hieſigen Freunden<lb/> und von Verwandten in der Heimath, ſo ließ er ſich weder<lb/> durch Liebkoſungen einiger Gemeindemitglieder, welche ſich ihn<lb/> gern erhalten wollten, noch durch Anſpielungen in den Ver¬<lb/> ſammlungen auf ihn als einen abtruͤnnigen Judas laͤnger irre<lb/> machen, ſondern riß ſich entſchieden und auf immer von ihnen<lb/> los. Das Bibelleſen war ihm ſchon zum Beduͤrfniß gewor¬<lb/> den, und mit ſich in ſeinen religioͤſen Begriffen uneins, hielt<lb/> er eine eifrige Fortſetzung deſſelben fuͤr ſeine dringendſte Pflicht,<lb/> um durch fortgeſetztes Forſchen in der Schrift zur wahren Got¬<lb/> teserkenntniß und zum richtigen Urtheil uͤber ſeine bisherigen,<lb/> von ihm verkannten Irrthuͤmer zu gelangen. Zwar vernach¬<lb/> laͤſſigte er ſeine Erwerbsthaͤtigkeit noch nicht, aber ſein Sinn<lb/> hatte ſich doch ſchon den Weltverhaͤltniſſen zu ſehr entfremdet,<lb/> als daß die Reflexion uͤber dieſelben ihn noch gegen den all¬<lb/> maͤhlig aufkeimenden Wahn haͤtte ſchuͤtzen koͤnnen. Denn es<lb/> fehlte ſeinem Geiſte ſchon durchaus jene Klarheit, welche das<lb/> Licht der religioͤſen Wahrheiten haͤtte ungetruͤbt in ſich aufneh¬<lb/> men koͤnnen; ſein von Zweifeln und inneren Widerſpruͤchen<lb/> zerriſſenes Denken war zur folgerichtigen Entwickelung jener<lb/> Wahrheiten zu uͤbereinſtimmenden praktiſchen Begriffen voͤllig<lb/> unfaͤhig geworden.</p><lb/> <p>Das Ebengeſagte ſprach ſich beſonders in einigen ſchrift¬<lb/> lichen Aufſaͤtzen aus, welche W. waͤhrend der letzten Monate<lb/> vor dem Ausbruche ſeines Wahnſinns verfaßte. Nicht zufrie¬<lb/> den, den Inhalt der Bibel durch unablaͤſſiges Leſen derſelben<lb/> ſich anzueignen, wollte er ihn auch zu beſtimmten Begriffen<lb/> auspraͤgen, und er benutzte deshalb mannigfache aͤußere Ver¬<lb/> anlaſſungen, welche ſein religioͤſes Intereſſe erregend, ihn zu<lb/> verſchiedenartigen, oft ſehr ausfuͤhrlichen Betrachtungen daruͤber<lb/> herausforderten. Insbeſondere machte die Ausſtellung des hei¬<lb/> ligen Rocks in Trier einen ſo tiefen Eindruck auf ihn, daß<lb/> er als Schriftſteller dagegen auftreten, und nicht blos Artikel<lb/> in Zeitungen einruͤcken laſſen, ſondern auch ſelbſtſtaͤndige Schrif¬<lb/> ten daruͤber in Druck geben wollte. Eben ſo empoͤrte es ihn<lb/> tief, als die Nachricht von dem Attentat auf Se. Majeſtaͤt den<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [50/0058]
ihm als Abfall vom wahren Glauben erſcheinen mußte, und
da ſeine Selbſtanklagen noch geſchaͤrft wurden durch bittere
Vorwuͤrfe uͤber ſeinen Religionswechſel von hieſigen Freunden
und von Verwandten in der Heimath, ſo ließ er ſich weder
durch Liebkoſungen einiger Gemeindemitglieder, welche ſich ihn
gern erhalten wollten, noch durch Anſpielungen in den Ver¬
ſammlungen auf ihn als einen abtruͤnnigen Judas laͤnger irre
machen, ſondern riß ſich entſchieden und auf immer von ihnen
los. Das Bibelleſen war ihm ſchon zum Beduͤrfniß gewor¬
den, und mit ſich in ſeinen religioͤſen Begriffen uneins, hielt
er eine eifrige Fortſetzung deſſelben fuͤr ſeine dringendſte Pflicht,
um durch fortgeſetztes Forſchen in der Schrift zur wahren Got¬
teserkenntniß und zum richtigen Urtheil uͤber ſeine bisherigen,
von ihm verkannten Irrthuͤmer zu gelangen. Zwar vernach¬
laͤſſigte er ſeine Erwerbsthaͤtigkeit noch nicht, aber ſein Sinn
hatte ſich doch ſchon den Weltverhaͤltniſſen zu ſehr entfremdet,
als daß die Reflexion uͤber dieſelben ihn noch gegen den all¬
maͤhlig aufkeimenden Wahn haͤtte ſchuͤtzen koͤnnen. Denn es
fehlte ſeinem Geiſte ſchon durchaus jene Klarheit, welche das
Licht der religioͤſen Wahrheiten haͤtte ungetruͤbt in ſich aufneh¬
men koͤnnen; ſein von Zweifeln und inneren Widerſpruͤchen
zerriſſenes Denken war zur folgerichtigen Entwickelung jener
Wahrheiten zu uͤbereinſtimmenden praktiſchen Begriffen voͤllig
unfaͤhig geworden.
Das Ebengeſagte ſprach ſich beſonders in einigen ſchrift¬
lichen Aufſaͤtzen aus, welche W. waͤhrend der letzten Monate
vor dem Ausbruche ſeines Wahnſinns verfaßte. Nicht zufrie¬
den, den Inhalt der Bibel durch unablaͤſſiges Leſen derſelben
ſich anzueignen, wollte er ihn auch zu beſtimmten Begriffen
auspraͤgen, und er benutzte deshalb mannigfache aͤußere Ver¬
anlaſſungen, welche ſein religioͤſes Intereſſe erregend, ihn zu
verſchiedenartigen, oft ſehr ausfuͤhrlichen Betrachtungen daruͤber
herausforderten. Insbeſondere machte die Ausſtellung des hei¬
ligen Rocks in Trier einen ſo tiefen Eindruck auf ihn, daß
er als Schriftſteller dagegen auftreten, und nicht blos Artikel
in Zeitungen einruͤcken laſſen, ſondern auch ſelbſtſtaͤndige Schrif¬
ten daruͤber in Druck geben wollte. Eben ſo empoͤrte es ihn
tief, als die Nachricht von dem Attentat auf Se. Majeſtaͤt den
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |