immer mehr und mehr, und es blieb zuletzt keine Hoffnung zu ihrer jemaligen Vereinigung. Das Judenthum und Chri¬ stenthum glichen zwei aus einem Mittelpunkte entgegengesetz¬ ten Richtungen, und wir müssen sagen, daß das Christen¬ thum, oder wie man es zu einer gewissen Zeit das Antichri¬ stenthum nennen konnte, dem Heidenthum viel ähnlicher war, wie das Judenthum, denn weder das Heidenthum noch Ju¬ denthum wühlten viehischer Weise, wie das Christenthum, in ihren eigenen Eingeweiden. O wer weiß, wie weit das Fe¬ gefeuer des Antichristenthums allen Glauben verscheucht und um sich gefressen hätte, wenn nicht der Herr dem höllischen Treiben des bösen Princips mittelst einer neuen Offenbarung Grenzen gesetzt hätte. Aber der Herr hatte noch andere Schaafe aus einem anderen Stalle, führte sie her, und sie hörten seine Stimme, damit ein Hirt und eine Heerde werde. Gott berief solche Schaafe durch den Engel Gabriel mittelst des Propheten Mohamed, und stellte sie, vielleicht zur Wiederver¬ einigung aller Gläubigen, zwischen den Aberglauben der Chri¬ sten und den Unglauben der Juden; kurz gesagt, er stiftete durch Mohamed eine neue Kirche, worin die Menschen Gott im Geiste und in der Wahrheit dienen sollten."
Mohamed wird nun wider die Schmähsucht, welche an ihm Flecken aufsucht, um seine Prophetenwürde in Zweifel zu ziehen, mit der Bemerkung gerechtfertigt: "Kein großer Mann, der nicht durch große Leidenschaften groß wird. Mohamed, der die größten Staatsveränderungen und die späteren Jahr¬ hunderte durch übernatürliche Ursachen geschafft und geformt hat, dessen Früchte gut, edel und rein sind, ist ein wahr¬ haftiger Prophet des Herrn, und seine Religion göttlicher Natur und göttlichen Ursprungs. Ganz im Sinne der christ¬ lichen Lehre, nach dem Ausspruche: wer wissen will, ob meine Lehre von Gott sei, der thue den Willen meines himmli¬ schen Vaters, und alsdann wird er erkennen, daß meine Lehre von Gott sei -- verlangte auch Mohamed von den Menschen den Glauben zur Seeligkeit, keinesweges aber den blinden Köder oder einen Aberglauben, welcher mit dem Un¬ glauben gleich gefährlich ist. Nun aber, wo der Un- und Aber¬ glaube in lauter Götzendienst ausgeartet war, zerwarf er die
immer mehr und mehr, und es blieb zuletzt keine Hoffnung zu ihrer jemaligen Vereinigung. Das Judenthum und Chri¬ ſtenthum glichen zwei aus einem Mittelpunkte entgegengeſetz¬ ten Richtungen, und wir muͤſſen ſagen, daß das Chriſten¬ thum, oder wie man es zu einer gewiſſen Zeit das Antichri¬ ſtenthum nennen konnte, dem Heidenthum viel aͤhnlicher war, wie das Judenthum, denn weder das Heidenthum noch Ju¬ denthum wuͤhlten viehiſcher Weiſe, wie das Chriſtenthum, in ihren eigenen Eingeweiden. O wer weiß, wie weit das Fe¬ gefeuer des Antichriſtenthums allen Glauben verſcheucht und um ſich gefreſſen haͤtte, wenn nicht der Herr dem hoͤlliſchen Treiben des boͤſen Princips mittelſt einer neuen Offenbarung Grenzen geſetzt haͤtte. Aber der Herr hatte noch andere Schaafe aus einem anderen Stalle, fuͤhrte ſie her, und ſie hoͤrten ſeine Stimme, damit ein Hirt und eine Heerde werde. Gott berief ſolche Schaafe durch den Engel Gabriel mittelſt des Propheten Mohamed, und ſtellte ſie, vielleicht zur Wiederver¬ einigung aller Glaͤubigen, zwiſchen den Aberglauben der Chri¬ ſten und den Unglauben der Juden; kurz geſagt, er ſtiftete durch Mohamed eine neue Kirche, worin die Menſchen Gott im Geiſte und in der Wahrheit dienen ſollten.”
Mohamed wird nun wider die Schmaͤhſucht, welche an ihm Flecken aufſucht, um ſeine Prophetenwuͤrde in Zweifel zu ziehen, mit der Bemerkung gerechtfertigt: „Kein großer Mann, der nicht durch große Leidenſchaften groß wird. Mohamed, der die groͤßten Staatsveraͤnderungen und die ſpaͤteren Jahr¬ hunderte durch uͤbernatuͤrliche Urſachen geſchafft und geformt hat, deſſen Fruͤchte gut, edel und rein ſind, iſt ein wahr¬ haftiger Prophet des Herrn, und ſeine Religion goͤttlicher Natur und goͤttlichen Urſprungs. Ganz im Sinne der chriſt¬ lichen Lehre, nach dem Ausſpruche: wer wiſſen will, ob meine Lehre von Gott ſei, der thue den Willen meines himmli¬ ſchen Vaters, und alsdann wird er erkennen, daß meine Lehre von Gott ſei — verlangte auch Mohamed von den Menſchen den Glauben zur Seeligkeit, keinesweges aber den blinden Koͤder oder einen Aberglauben, welcher mit dem Un¬ glauben gleich gefaͤhrlich iſt. Nun aber, wo der Un- und Aber¬ glaube in lauter Goͤtzendienſt ausgeartet war, zerwarf er die
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immer mehr und mehr, und es blieb zuletzt keine Hoffnung
zu ihrer jemaligen Vereinigung. Das Judenthum und Chri¬
ſtenthum glichen zwei aus einem Mittelpunkte entgegengeſetz¬
ten Richtungen, und wir muͤſſen ſagen, daß das Chriſten¬
thum, oder wie man es zu einer gewiſſen Zeit das Antichri¬
ſtenthum nennen konnte, dem Heidenthum viel aͤhnlicher war,
wie das Judenthum, denn weder das Heidenthum noch Ju¬
denthum wuͤhlten viehiſcher Weiſe, wie das Chriſtenthum, in
ihren eigenen Eingeweiden. O wer weiß, wie weit das Fe¬
gefeuer des Antichriſtenthums allen Glauben verſcheucht und
um ſich gefreſſen haͤtte, wenn nicht der Herr dem hoͤlliſchen
Treiben des boͤſen Princips mittelſt einer neuen Offenbarung
Grenzen geſetzt haͤtte. Aber der Herr hatte noch andere Schaafe
aus einem anderen Stalle, fuͤhrte ſie her, und ſie hoͤrten
ſeine Stimme, damit ein Hirt und eine Heerde werde. Gott
berief ſolche Schaafe durch den Engel Gabriel mittelſt des
Propheten Mohamed, und ſtellte ſie, vielleicht zur Wiederver¬
einigung aller Glaͤubigen, zwiſchen den Aberglauben der Chri¬
ſten und den Unglauben der Juden; kurz geſagt, er ſtiftete
durch Mohamed eine neue Kirche, worin die Menſchen Gott
im Geiſte und in der Wahrheit dienen ſollten.”
Mohamed wird nun wider die Schmaͤhſucht, welche an
ihm Flecken aufſucht, um ſeine Prophetenwuͤrde in Zweifel zu
ziehen, mit der Bemerkung gerechtfertigt: „Kein großer Mann,
der nicht durch große Leidenſchaften groß wird. Mohamed,
der die groͤßten Staatsveraͤnderungen und die ſpaͤteren Jahr¬
hunderte durch uͤbernatuͤrliche Urſachen geſchafft und geformt
hat, deſſen Fruͤchte gut, edel und rein ſind, iſt ein wahr¬
haftiger Prophet des Herrn, und ſeine Religion goͤttlicher
Natur und goͤttlichen Urſprungs. Ganz im Sinne der chriſt¬
lichen Lehre, nach dem Ausſpruche: wer wiſſen will, ob meine
Lehre von Gott ſei, der thue den Willen meines himmli¬
ſchen Vaters, und alsdann wird er erkennen, daß meine
Lehre von Gott ſei — verlangte auch Mohamed von den
Menſchen den Glauben zur Seeligkeit, keinesweges aber den
blinden Koͤder oder einen Aberglauben, welcher mit dem Un¬
glauben gleich gefaͤhrlich iſt. Nun aber, wo der Un- und Aber¬
glaube in lauter Goͤtzendienſt ausgeartet war, zerwarf er die
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/226>, abgerufen am 05.07.2024.
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