Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.seiner äußerst leidenschaftlichen Spannung eine bestimmte Rich¬ Denn nur allzugeneigt, seinem Ich die mannigfachsten Inzwischen trat seine Liebe zu dem verstorbenen Mäd¬ ſeiner aͤußerſt leidenſchaftlichen Spannung eine beſtimmte Rich¬ Denn nur allzugeneigt, ſeinem Ich die mannigfachſten Inzwiſchen trat ſeine Liebe zu dem verſtorbenen Maͤd¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0175" n="167"/> ſeiner aͤußerſt leidenſchaftlichen Spannung eine beſtimmte Rich¬<lb/> tung zu geben, zu welcher ſeine duͤnkelvolle Selbſtuͤberſchaͤtzung<lb/> ihn ſchon von ſelbſt hindraͤngte.</p><lb/> <p>Denn nur allzugeneigt, ſeinem Ich die mannigfachſten<lb/> eingebildeten Vorzuͤge beizulegen, mußte er ſich ihrer im reli¬<lb/> gioͤſen Elemente dadurch bewußt zu werden ſtreben, daß er<lb/> ſich geradezu Attribute der Gottheit beilegte. Er blieb deshalb<lb/> nicht dabei ſtehen, daß er jede Beſchaͤftigung und fernere An¬<lb/> wendung von Heilmitteln hartnaͤckig zuruͤckwies, weil er ſein<lb/> eigener Arzt ſei, und am beſten wiſſe, was ihm fehle, ſon¬<lb/> dern er ſprach auch unumwunden aus, er ſei von Gott dazu<lb/> berufen, die Welt zu begluͤcken, der Retter und Helfer der<lb/> Ungluͤcklichen bei ſo vielen Ungerechtigkeiten auf Erden zu wer¬<lb/> den. Seine Phantaſie, von der Disciplin des Verſtandes durch<lb/> Leidenſchaften losgeriſſen, an andere Intereſſen gekettet, kannte<lb/> maaßlos ausſchweifend keine Grenze ihrer Dichtungen mehr,<lb/> weshalb er ſich bald fuͤr einen berufenen Apoſtel, ja fuͤr den<lb/> auferſtandenen Chriſtus ſelbſt erklaͤrte. Um ſich in dieſer hoch¬<lb/> muͤthigen Meinung von ſich zu beſtaͤrken, ſetzte er die Lectuͤre<lb/> der Bibel eifrig fort, und gerieth in die heftigſte Entruͤſtung,<lb/> wenn man ihm dieſelbe entzog, oder auch außerdem mit ſei¬<lb/> nen hochfliegenden Traͤumen in Widerſpruch gerieth. Sein<lb/> Wahn ſchien indeß anfangs mehrmals auf einige Wochen ganz<lb/> zuruͤckzutreten, wo er dann nur gleichſam verſtohlen gegen ge¬<lb/> naue Bekannte uͤber ſeinen Beruf zum Propheten ſprach. In<lb/> fremder Geſellſchaft beobachtete er den gemeſſenſten Anſtand,<lb/> ſo daß Niemand ihm ſein Seelenleiden anmerkte. Dieſer taͤu¬<lb/> ſchende Anſchein von Beſſerung verbunden mit dem Umſtande,<lb/> daß er ſich laͤngere Zeit bei entfernt wohnenden Verwandten<lb/> aufhielt, verzoͤgerte ſeine Aufnahme in die Irrenabtheilung,<lb/> welche erſt durch neue Ausbruͤche von tobſuͤchtiger Heftigkeit<lb/> gebieteriſch gefordert wurde.</p><lb/> <p>Inzwiſchen trat ſeine Liebe zu dem verſtorbenen Maͤd¬<lb/> chen, welche er ſchon fruͤher in einem ſo hohen Grade geaͤu¬<lb/> ßert hatte, daß er mehrere Naͤchte im heftigſten Schmerze auf<lb/> ihrem Grabe zubrachte, jetzt in ihrer ganzen Staͤrke hervor,<lb/> und forderte ſeinen Wahn, mit goͤttlicher Macht ausgeſtattet<lb/> zu ſein, zu dem Wunder ihrer Wiedererweckung aus dem Tode<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [167/0175]
ſeiner aͤußerſt leidenſchaftlichen Spannung eine beſtimmte Rich¬
tung zu geben, zu welcher ſeine duͤnkelvolle Selbſtuͤberſchaͤtzung
ihn ſchon von ſelbſt hindraͤngte.
Denn nur allzugeneigt, ſeinem Ich die mannigfachſten
eingebildeten Vorzuͤge beizulegen, mußte er ſich ihrer im reli¬
gioͤſen Elemente dadurch bewußt zu werden ſtreben, daß er
ſich geradezu Attribute der Gottheit beilegte. Er blieb deshalb
nicht dabei ſtehen, daß er jede Beſchaͤftigung und fernere An¬
wendung von Heilmitteln hartnaͤckig zuruͤckwies, weil er ſein
eigener Arzt ſei, und am beſten wiſſe, was ihm fehle, ſon¬
dern er ſprach auch unumwunden aus, er ſei von Gott dazu
berufen, die Welt zu begluͤcken, der Retter und Helfer der
Ungluͤcklichen bei ſo vielen Ungerechtigkeiten auf Erden zu wer¬
den. Seine Phantaſie, von der Disciplin des Verſtandes durch
Leidenſchaften losgeriſſen, an andere Intereſſen gekettet, kannte
maaßlos ausſchweifend keine Grenze ihrer Dichtungen mehr,
weshalb er ſich bald fuͤr einen berufenen Apoſtel, ja fuͤr den
auferſtandenen Chriſtus ſelbſt erklaͤrte. Um ſich in dieſer hoch¬
muͤthigen Meinung von ſich zu beſtaͤrken, ſetzte er die Lectuͤre
der Bibel eifrig fort, und gerieth in die heftigſte Entruͤſtung,
wenn man ihm dieſelbe entzog, oder auch außerdem mit ſei¬
nen hochfliegenden Traͤumen in Widerſpruch gerieth. Sein
Wahn ſchien indeß anfangs mehrmals auf einige Wochen ganz
zuruͤckzutreten, wo er dann nur gleichſam verſtohlen gegen ge¬
naue Bekannte uͤber ſeinen Beruf zum Propheten ſprach. In
fremder Geſellſchaft beobachtete er den gemeſſenſten Anſtand,
ſo daß Niemand ihm ſein Seelenleiden anmerkte. Dieſer taͤu¬
ſchende Anſchein von Beſſerung verbunden mit dem Umſtande,
daß er ſich laͤngere Zeit bei entfernt wohnenden Verwandten
aufhielt, verzoͤgerte ſeine Aufnahme in die Irrenabtheilung,
welche erſt durch neue Ausbruͤche von tobſuͤchtiger Heftigkeit
gebieteriſch gefordert wurde.
Inzwiſchen trat ſeine Liebe zu dem verſtorbenen Maͤd¬
chen, welche er ſchon fruͤher in einem ſo hohen Grade geaͤu¬
ßert hatte, daß er mehrere Naͤchte im heftigſten Schmerze auf
ihrem Grabe zubrachte, jetzt in ihrer ganzen Staͤrke hervor,
und forderte ſeinen Wahn, mit goͤttlicher Macht ausgeſtattet
zu ſein, zu dem Wunder ihrer Wiedererweckung aus dem Tode
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