seiner äußerst leidenschaftlichen Spannung eine bestimmte Rich¬ tung zu geben, zu welcher seine dünkelvolle Selbstüberschätzung ihn schon von selbst hindrängte.
Denn nur allzugeneigt, seinem Ich die mannigfachsten eingebildeten Vorzüge beizulegen, mußte er sich ihrer im reli¬ giösen Elemente dadurch bewußt zu werden streben, daß er sich geradezu Attribute der Gottheit beilegte. Er blieb deshalb nicht dabei stehen, daß er jede Beschäftigung und fernere An¬ wendung von Heilmitteln hartnäckig zurückwies, weil er sein eigener Arzt sei, und am besten wisse, was ihm fehle, son¬ dern er sprach auch unumwunden aus, er sei von Gott dazu berufen, die Welt zu beglücken, der Retter und Helfer der Unglücklichen bei so vielen Ungerechtigkeiten auf Erden zu wer¬ den. Seine Phantasie, von der Disciplin des Verstandes durch Leidenschaften losgerissen, an andere Interessen gekettet, kannte maaßlos ausschweifend keine Grenze ihrer Dichtungen mehr, weshalb er sich bald für einen berufenen Apostel, ja für den auferstandenen Christus selbst erklärte. Um sich in dieser hoch¬ müthigen Meinung von sich zu bestärken, setzte er die Lectüre der Bibel eifrig fort, und gerieth in die heftigste Entrüstung, wenn man ihm dieselbe entzog, oder auch außerdem mit sei¬ nen hochfliegenden Träumen in Widerspruch gerieth. Sein Wahn schien indeß anfangs mehrmals auf einige Wochen ganz zurückzutreten, wo er dann nur gleichsam verstohlen gegen ge¬ naue Bekannte über seinen Beruf zum Propheten sprach. In fremder Gesellschaft beobachtete er den gemessensten Anstand, so daß Niemand ihm sein Seelenleiden anmerkte. Dieser täu¬ schende Anschein von Besserung verbunden mit dem Umstande, daß er sich längere Zeit bei entfernt wohnenden Verwandten aufhielt, verzögerte seine Aufnahme in die Irrenabtheilung, welche erst durch neue Ausbrüche von tobsüchtiger Heftigkeit gebieterisch gefordert wurde.
Inzwischen trat seine Liebe zu dem verstorbenen Mäd¬ chen, welche er schon früher in einem so hohen Grade geäu¬ ßert hatte, daß er mehrere Nächte im heftigsten Schmerze auf ihrem Grabe zubrachte, jetzt in ihrer ganzen Stärke hervor, und forderte seinen Wahn, mit göttlicher Macht ausgestattet zu sein, zu dem Wunder ihrer Wiedererweckung aus dem Tode
ſeiner aͤußerſt leidenſchaftlichen Spannung eine beſtimmte Rich¬ tung zu geben, zu welcher ſeine duͤnkelvolle Selbſtuͤberſchaͤtzung ihn ſchon von ſelbſt hindraͤngte.
Denn nur allzugeneigt, ſeinem Ich die mannigfachſten eingebildeten Vorzuͤge beizulegen, mußte er ſich ihrer im reli¬ gioͤſen Elemente dadurch bewußt zu werden ſtreben, daß er ſich geradezu Attribute der Gottheit beilegte. Er blieb deshalb nicht dabei ſtehen, daß er jede Beſchaͤftigung und fernere An¬ wendung von Heilmitteln hartnaͤckig zuruͤckwies, weil er ſein eigener Arzt ſei, und am beſten wiſſe, was ihm fehle, ſon¬ dern er ſprach auch unumwunden aus, er ſei von Gott dazu berufen, die Welt zu begluͤcken, der Retter und Helfer der Ungluͤcklichen bei ſo vielen Ungerechtigkeiten auf Erden zu wer¬ den. Seine Phantaſie, von der Disciplin des Verſtandes durch Leidenſchaften losgeriſſen, an andere Intereſſen gekettet, kannte maaßlos ausſchweifend keine Grenze ihrer Dichtungen mehr, weshalb er ſich bald fuͤr einen berufenen Apoſtel, ja fuͤr den auferſtandenen Chriſtus ſelbſt erklaͤrte. Um ſich in dieſer hoch¬ muͤthigen Meinung von ſich zu beſtaͤrken, ſetzte er die Lectuͤre der Bibel eifrig fort, und gerieth in die heftigſte Entruͤſtung, wenn man ihm dieſelbe entzog, oder auch außerdem mit ſei¬ nen hochfliegenden Traͤumen in Widerſpruch gerieth. Sein Wahn ſchien indeß anfangs mehrmals auf einige Wochen ganz zuruͤckzutreten, wo er dann nur gleichſam verſtohlen gegen ge¬ naue Bekannte uͤber ſeinen Beruf zum Propheten ſprach. In fremder Geſellſchaft beobachtete er den gemeſſenſten Anſtand, ſo daß Niemand ihm ſein Seelenleiden anmerkte. Dieſer taͤu¬ ſchende Anſchein von Beſſerung verbunden mit dem Umſtande, daß er ſich laͤngere Zeit bei entfernt wohnenden Verwandten aufhielt, verzoͤgerte ſeine Aufnahme in die Irrenabtheilung, welche erſt durch neue Ausbruͤche von tobſuͤchtiger Heftigkeit gebieteriſch gefordert wurde.
Inzwiſchen trat ſeine Liebe zu dem verſtorbenen Maͤd¬ chen, welche er ſchon fruͤher in einem ſo hohen Grade geaͤu¬ ßert hatte, daß er mehrere Naͤchte im heftigſten Schmerze auf ihrem Grabe zubrachte, jetzt in ihrer ganzen Staͤrke hervor, und forderte ſeinen Wahn, mit goͤttlicher Macht ausgeſtattet zu ſein, zu dem Wunder ihrer Wiedererweckung aus dem Tode
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0175"n="167"/>ſeiner aͤußerſt leidenſchaftlichen Spannung eine beſtimmte Rich¬<lb/>
tung zu geben, zu welcher ſeine duͤnkelvolle Selbſtuͤberſchaͤtzung<lb/>
ihn ſchon von ſelbſt hindraͤngte.</p><lb/><p>Denn nur allzugeneigt, ſeinem Ich die mannigfachſten<lb/>
eingebildeten Vorzuͤge beizulegen, mußte er ſich ihrer im reli¬<lb/>
gioͤſen Elemente dadurch bewußt zu werden ſtreben, daß er<lb/>ſich geradezu Attribute der Gottheit beilegte. Er blieb deshalb<lb/>
nicht dabei ſtehen, daß er jede Beſchaͤftigung und fernere An¬<lb/>
wendung von Heilmitteln hartnaͤckig zuruͤckwies, weil er ſein<lb/>
eigener Arzt ſei, und am beſten wiſſe, was ihm fehle, ſon¬<lb/>
dern er ſprach auch unumwunden aus, er ſei von Gott dazu<lb/>
berufen, die Welt zu begluͤcken, der Retter und Helfer der<lb/>
Ungluͤcklichen bei ſo vielen Ungerechtigkeiten auf Erden zu wer¬<lb/>
den. Seine Phantaſie, von der Disciplin des Verſtandes durch<lb/>
Leidenſchaften losgeriſſen, an andere Intereſſen gekettet, kannte<lb/>
maaßlos ausſchweifend keine Grenze ihrer Dichtungen mehr,<lb/>
weshalb er ſich bald fuͤr einen berufenen Apoſtel, ja fuͤr den<lb/>
auferſtandenen Chriſtus ſelbſt erklaͤrte. Um ſich in dieſer hoch¬<lb/>
muͤthigen Meinung von ſich zu beſtaͤrken, ſetzte er die Lectuͤre<lb/>
der Bibel eifrig fort, und gerieth in die heftigſte Entruͤſtung,<lb/>
wenn man ihm dieſelbe entzog, oder auch außerdem mit ſei¬<lb/>
nen hochfliegenden Traͤumen in Widerſpruch gerieth. Sein<lb/>
Wahn ſchien indeß anfangs mehrmals auf einige Wochen ganz<lb/>
zuruͤckzutreten, wo er dann nur gleichſam verſtohlen gegen ge¬<lb/>
naue Bekannte uͤber ſeinen Beruf zum Propheten ſprach. In<lb/>
fremder Geſellſchaft beobachtete er den gemeſſenſten Anſtand,<lb/>ſo daß Niemand ihm ſein Seelenleiden anmerkte. Dieſer taͤu¬<lb/>ſchende Anſchein von Beſſerung verbunden mit dem Umſtande,<lb/>
daß er ſich laͤngere Zeit bei entfernt wohnenden Verwandten<lb/>
aufhielt, verzoͤgerte ſeine Aufnahme in die Irrenabtheilung,<lb/>
welche erſt durch neue Ausbruͤche von tobſuͤchtiger Heftigkeit<lb/>
gebieteriſch gefordert wurde.</p><lb/><p>Inzwiſchen trat ſeine Liebe zu dem verſtorbenen Maͤd¬<lb/>
chen, welche er ſchon fruͤher in einem ſo hohen Grade geaͤu¬<lb/>
ßert hatte, daß er mehrere Naͤchte im heftigſten Schmerze auf<lb/>
ihrem Grabe zubrachte, jetzt in ihrer ganzen Staͤrke hervor,<lb/>
und forderte ſeinen Wahn, mit goͤttlicher Macht ausgeſtattet<lb/>
zu ſein, zu dem Wunder ihrer Wiedererweckung aus dem Tode<lb/></p></div></body></text></TEI>
[167/0175]
ſeiner aͤußerſt leidenſchaftlichen Spannung eine beſtimmte Rich¬
tung zu geben, zu welcher ſeine duͤnkelvolle Selbſtuͤberſchaͤtzung
ihn ſchon von ſelbſt hindraͤngte.
Denn nur allzugeneigt, ſeinem Ich die mannigfachſten
eingebildeten Vorzuͤge beizulegen, mußte er ſich ihrer im reli¬
gioͤſen Elemente dadurch bewußt zu werden ſtreben, daß er
ſich geradezu Attribute der Gottheit beilegte. Er blieb deshalb
nicht dabei ſtehen, daß er jede Beſchaͤftigung und fernere An¬
wendung von Heilmitteln hartnaͤckig zuruͤckwies, weil er ſein
eigener Arzt ſei, und am beſten wiſſe, was ihm fehle, ſon¬
dern er ſprach auch unumwunden aus, er ſei von Gott dazu
berufen, die Welt zu begluͤcken, der Retter und Helfer der
Ungluͤcklichen bei ſo vielen Ungerechtigkeiten auf Erden zu wer¬
den. Seine Phantaſie, von der Disciplin des Verſtandes durch
Leidenſchaften losgeriſſen, an andere Intereſſen gekettet, kannte
maaßlos ausſchweifend keine Grenze ihrer Dichtungen mehr,
weshalb er ſich bald fuͤr einen berufenen Apoſtel, ja fuͤr den
auferſtandenen Chriſtus ſelbſt erklaͤrte. Um ſich in dieſer hoch¬
muͤthigen Meinung von ſich zu beſtaͤrken, ſetzte er die Lectuͤre
der Bibel eifrig fort, und gerieth in die heftigſte Entruͤſtung,
wenn man ihm dieſelbe entzog, oder auch außerdem mit ſei¬
nen hochfliegenden Traͤumen in Widerſpruch gerieth. Sein
Wahn ſchien indeß anfangs mehrmals auf einige Wochen ganz
zuruͤckzutreten, wo er dann nur gleichſam verſtohlen gegen ge¬
naue Bekannte uͤber ſeinen Beruf zum Propheten ſprach. In
fremder Geſellſchaft beobachtete er den gemeſſenſten Anſtand,
ſo daß Niemand ihm ſein Seelenleiden anmerkte. Dieſer taͤu¬
ſchende Anſchein von Beſſerung verbunden mit dem Umſtande,
daß er ſich laͤngere Zeit bei entfernt wohnenden Verwandten
aufhielt, verzoͤgerte ſeine Aufnahme in die Irrenabtheilung,
welche erſt durch neue Ausbruͤche von tobſuͤchtiger Heftigkeit
gebieteriſch gefordert wurde.
Inzwiſchen trat ſeine Liebe zu dem verſtorbenen Maͤd¬
chen, welche er ſchon fruͤher in einem ſo hohen Grade geaͤu¬
ßert hatte, daß er mehrere Naͤchte im heftigſten Schmerze auf
ihrem Grabe zubrachte, jetzt in ihrer ganzen Staͤrke hervor,
und forderte ſeinen Wahn, mit goͤttlicher Macht ausgeſtattet
zu ſein, zu dem Wunder ihrer Wiedererweckung aus dem Tode
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/175>, abgerufen am 26.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.