Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.würde, da die nun folgenden Gestalten ihr nicht mehr kör¬ Dies Gaukelspiel der Phantasie, von welchem gewiß eine wuͤrde, da die nun folgenden Geſtalten ihr nicht mehr koͤr¬ Dies Gaukelſpiel der Phantaſie, von welchem gewiß eine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0150" n="142"/> wuͤrde, da die nun folgenden Geſtalten ihr nicht mehr koͤr¬<lb/> perlich plaſtiſch, ſondern nur als Schatten erſchienen. Zuerſt<lb/> ſah ſie Maͤnner, wie auf einer Schaubuͤhne mit Couliſſen,<lb/> dann gallopirten Schaaren von Reutern wie zum Faſtnacht¬<lb/> ſpiel maskirt ins Zimmer, hierauf eine Dame in grauem Man¬<lb/> tel gleichſam als Buͤßerin, da ſie unter einem Stuhl nieder¬<lb/> kauern mußte, und die uͤber denſelben fortlaufenden Kraͤhen<lb/> zaͤhlte, waͤhrend ein Herr gleichfalls in grauem Mantel und<lb/> einem koͤniglichen zweizipfeligen Hute, und ein Greis in glei¬<lb/> chem Mantel ſich daneben ſtellte. Spaͤter wurde ein Kreis<lb/> von Buͤrgern geſchloſſen, in welchem ein Officier hineingallo¬<lb/> pirte; darauf oͤffnete ſich ein viereckiges Grab von gruͤnem<lb/> Raſen umgeben, aus welchem Maͤnner ſich erhoben, um durch<lb/> die Fenſter eines Saals zu ſteigen, in welchem ſie einen lau¬<lb/> ten Jubel anſtimmten. Unter ihnen befanden ſich zwei ſchon<lb/> geſtorbene alte Jungfern, fruͤhere Beſitzerinnen jenes Saales,<lb/> bei deren Anblick die G. ſich fragte, ob ſie im Grabe nicht<lb/> Ruhe haͤtten, und daher auf die Erde zuruͤckgekehrt waͤren?</p><lb/> <p>Dies Gaukelſpiel der Phantaſie, von welchem gewiß eine<lb/> Menge von Bildern aus ihrem Gedaͤchtniß verſchwunden iſt,<lb/> nahm hierauf eine beſtimmtere Bedeutung an, inſofern nun<lb/> eine wirkliche religioͤſe Beziehung hervortrat, und ſeitdem blei¬<lb/> bend geworden iſt. Als ſie naͤmlich einmal mehrere Pferde<lb/> ſah, hielt ſie dieſelben fuͤr verwuͤnſchte Menſchen, von denen ſie<lb/> in Zaubermaͤhrchen geleſen hatte, beſonders kamen ihr zwei praͤch¬<lb/> tig aufgeſchirrte Roſſe als Grafen und Fuͤrſten vor. Hierbei ent¬<lb/> wickelte ſich in ihr die Vorſtellung, daß alle Menſchen zur Strafe<lb/> ihrer Suͤnden in Thiere verwandelt werden muͤßten, um der<lb/> Buße, welche Chriſtus fuͤr ſie gethan, Genuͤge zu leiſten. Erſt hier¬<lb/> auf koͤnne ihre Verwandlung in Engel geſchehen, in welcher ſie<lb/> ihre Auferſtehung feierten, und welche die G. wahrzunehmen<lb/> glaubte. Sie ſah, wie unfoͤrmliche Schatten in Moos verhuͤllt,<lb/> und in einem Teich von Silberwaſſer gelegt wurden, um hier¬<lb/> auf zuerſt in graue, und dann in blaue Engel verwandelt zu<lb/> werden, welche zwar ſchon eine beſtimmte Geſtalt, aber noch kein<lb/> deutliches Geſicht hatten. Die blauen Engel nahmen endlich die<lb/> ganz unbekleidete Geſtalt der Fleiſchengel an, welche zur Erde<lb/> niederſchwebten, und die von Chriſtus in einem Hauſe eingeſperr¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [142/0150]
wuͤrde, da die nun folgenden Geſtalten ihr nicht mehr koͤr¬
perlich plaſtiſch, ſondern nur als Schatten erſchienen. Zuerſt
ſah ſie Maͤnner, wie auf einer Schaubuͤhne mit Couliſſen,
dann gallopirten Schaaren von Reutern wie zum Faſtnacht¬
ſpiel maskirt ins Zimmer, hierauf eine Dame in grauem Man¬
tel gleichſam als Buͤßerin, da ſie unter einem Stuhl nieder¬
kauern mußte, und die uͤber denſelben fortlaufenden Kraͤhen
zaͤhlte, waͤhrend ein Herr gleichfalls in grauem Mantel und
einem koͤniglichen zweizipfeligen Hute, und ein Greis in glei¬
chem Mantel ſich daneben ſtellte. Spaͤter wurde ein Kreis
von Buͤrgern geſchloſſen, in welchem ein Officier hineingallo¬
pirte; darauf oͤffnete ſich ein viereckiges Grab von gruͤnem
Raſen umgeben, aus welchem Maͤnner ſich erhoben, um durch
die Fenſter eines Saals zu ſteigen, in welchem ſie einen lau¬
ten Jubel anſtimmten. Unter ihnen befanden ſich zwei ſchon
geſtorbene alte Jungfern, fruͤhere Beſitzerinnen jenes Saales,
bei deren Anblick die G. ſich fragte, ob ſie im Grabe nicht
Ruhe haͤtten, und daher auf die Erde zuruͤckgekehrt waͤren?
Dies Gaukelſpiel der Phantaſie, von welchem gewiß eine
Menge von Bildern aus ihrem Gedaͤchtniß verſchwunden iſt,
nahm hierauf eine beſtimmtere Bedeutung an, inſofern nun
eine wirkliche religioͤſe Beziehung hervortrat, und ſeitdem blei¬
bend geworden iſt. Als ſie naͤmlich einmal mehrere Pferde
ſah, hielt ſie dieſelben fuͤr verwuͤnſchte Menſchen, von denen ſie
in Zaubermaͤhrchen geleſen hatte, beſonders kamen ihr zwei praͤch¬
tig aufgeſchirrte Roſſe als Grafen und Fuͤrſten vor. Hierbei ent¬
wickelte ſich in ihr die Vorſtellung, daß alle Menſchen zur Strafe
ihrer Suͤnden in Thiere verwandelt werden muͤßten, um der
Buße, welche Chriſtus fuͤr ſie gethan, Genuͤge zu leiſten. Erſt hier¬
auf koͤnne ihre Verwandlung in Engel geſchehen, in welcher ſie
ihre Auferſtehung feierten, und welche die G. wahrzunehmen
glaubte. Sie ſah, wie unfoͤrmliche Schatten in Moos verhuͤllt,
und in einem Teich von Silberwaſſer gelegt wurden, um hier¬
auf zuerſt in graue, und dann in blaue Engel verwandelt zu
werden, welche zwar ſchon eine beſtimmte Geſtalt, aber noch kein
deutliches Geſicht hatten. Die blauen Engel nahmen endlich die
ganz unbekleidete Geſtalt der Fleiſchengel an, welche zur Erde
niederſchwebten, und die von Chriſtus in einem Hauſe eingeſperr¬
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