Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Erkenntnis dieser ständig wachsenden Ge-
fahr, der festgestellte Geburtenrückgang und die
damit verknüpfte Entvölkerungsfurcht werden
vielleicht endlich das bewirken, was Gerechtigkeit
und Humanität bisher schmerzlich vermissen ließen.

Nächst der sozialen und erziehlichen Hülfe, die,
wie bereits in den betreffenden Abschnitten gezeigt
wurde, eintreten muß, sind vor allen Dingen gesetz-
liche Maßnahmen notwendig, um die Rechtlosig-
keit beider aufzuheben. So ist es beispielsweise
eine große Ungerechtigkeit, daß die Unterhaltungs-
pflicht des Vaters nach dem Stande der Mutter
und nur bis zum 16. Lebensjahr des Kindes geht.
Warum soll sie sich nicht analog der den ehelichen
Kindern gegenüber nach dem Stande des Vaters
richten und dem Kinde mindestens eine volle
Berufsausbildung ermöglichen, die seinen Fähig-
keiten entspricht? Wenn ein Kutscher die
Tochter seines Brotherrn verführt, wird es
ihm doch nicht möglich sein, ihr Kind nach
ihrem Stande zu unterhalten. Wenn aber um-
gekehrt ein Dienstherr seine Übermacht dazu be-
nützt, um sein Dienstmädchen zu umgarnen
und sich zu eigen zu machen, dann ist nicht einzu-
sehen, warum er sein Kind nicht nach seinem
Stande unterhalten soll. Was gegenwärtig an Ali-
menten geleistet wird, übersteigt fast nie den Be-
trag von 20 Mark monatlich. Es ist auch "nach

Die Erkenntnis dieser ständig wachsenden Ge-
fahr, der festgestellte Geburtenrückgang und die
damit verknüpfte Entvölkerungsfurcht werden
vielleicht endlich das bewirken, was Gerechtigkeit
und Humanität bisher schmerzlich vermissen ließen.

Nächst der sozialen und erziehlichen Hülfe, die,
wie bereits in den betreffenden Abschnitten gezeigt
wurde, eintreten muß, sind vor allen Dingen gesetz-
liche Maßnahmen notwendig, um die Rechtlosig-
keit beider aufzuheben. So ist es beispielsweise
eine große Ungerechtigkeit, daß die Unterhaltungs-
pflicht des Vaters nach dem Stande der Mutter
und nur bis zum 16. Lebensjahr des Kindes geht.
Warum soll sie sich nicht analog der den ehelichen
Kindern gegenüber nach dem Stande des Vaters
richten und dem Kinde mindestens eine volle
Berufsausbildung ermöglichen, die seinen Fähig-
keiten entspricht? Wenn ein Kutscher die
Tochter seines Brotherrn verführt, wird es
ihm doch nicht möglich sein, ihr Kind nach
ihrem Stande zu unterhalten. Wenn aber um-
gekehrt ein Dienstherr seine Übermacht dazu be-
nützt, um sein Dienstmädchen zu umgarnen
und sich zu eigen zu machen, dann ist nicht einzu-
sehen, warum er sein Kind nicht nach seinem
Stande unterhalten soll. Was gegenwärtig an Ali-
menten geleistet wird, übersteigt fast nie den Be-
trag von 20 Mark monatlich. Es ist auch „nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0304" n="300"/>
          <p>Die Erkenntnis dieser ständig wachsenden Ge-<lb/>
fahr, der festgestellte Geburtenrückgang und die<lb/>
damit verknüpfte Entvölkerungsfurcht werden<lb/>
vielleicht endlich das bewirken, was Gerechtigkeit<lb/>
und Humanität bisher schmerzlich vermissen ließen.</p><lb/>
          <p>Nächst der sozialen und erziehlichen Hülfe, die,<lb/>
wie bereits in den betreffenden Abschnitten gezeigt<lb/>
wurde, eintreten muß, sind vor allen Dingen gesetz-<lb/>
liche Maßnahmen notwendig, um die Rechtlosig-<lb/>
keit beider aufzuheben. So ist es beispielsweise<lb/>
eine große Ungerechtigkeit, daß die Unterhaltungs-<lb/>
pflicht des Vaters nach dem Stande der Mutter<lb/>
und nur bis zum 16. Lebensjahr des Kindes geht.<lb/>
Warum soll sie sich nicht analog der den ehelichen<lb/>
Kindern gegenüber nach dem Stande des Vaters<lb/>
richten und dem Kinde mindestens eine volle<lb/>
Berufsausbildung ermöglichen, die seinen Fähig-<lb/>
keiten entspricht? Wenn ein Kutscher die<lb/>
Tochter seines Brotherrn verführt, wird es<lb/>
ihm doch nicht möglich sein, ihr Kind nach<lb/>
ihrem Stande zu unterhalten. Wenn aber um-<lb/>
gekehrt ein Dienstherr seine Übermacht dazu be-<lb/>
nützt, um sein Dienstmädchen zu umgarnen<lb/>
und sich zu eigen zu machen, dann ist nicht einzu-<lb/>
sehen, warum er sein Kind nicht nach seinem<lb/>
Stande unterhalten soll. Was gegenwärtig an Ali-<lb/>
menten geleistet wird, übersteigt fast nie den Be-<lb/>
trag von 20 Mark monatlich. Es ist auch &#x201E;nach<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0304] Die Erkenntnis dieser ständig wachsenden Ge- fahr, der festgestellte Geburtenrückgang und die damit verknüpfte Entvölkerungsfurcht werden vielleicht endlich das bewirken, was Gerechtigkeit und Humanität bisher schmerzlich vermissen ließen. Nächst der sozialen und erziehlichen Hülfe, die, wie bereits in den betreffenden Abschnitten gezeigt wurde, eintreten muß, sind vor allen Dingen gesetz- liche Maßnahmen notwendig, um die Rechtlosig- keit beider aufzuheben. So ist es beispielsweise eine große Ungerechtigkeit, daß die Unterhaltungs- pflicht des Vaters nach dem Stande der Mutter und nur bis zum 16. Lebensjahr des Kindes geht. Warum soll sie sich nicht analog der den ehelichen Kindern gegenüber nach dem Stande des Vaters richten und dem Kinde mindestens eine volle Berufsausbildung ermöglichen, die seinen Fähig- keiten entspricht? Wenn ein Kutscher die Tochter seines Brotherrn verführt, wird es ihm doch nicht möglich sein, ihr Kind nach ihrem Stande zu unterhalten. Wenn aber um- gekehrt ein Dienstherr seine Übermacht dazu be- nützt, um sein Dienstmädchen zu umgarnen und sich zu eigen zu machen, dann ist nicht einzu- sehen, warum er sein Kind nicht nach seinem Stande unterhalten soll. Was gegenwärtig an Ali- menten geleistet wird, übersteigt fast nie den Be- trag von 20 Mark monatlich. Es ist auch „nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-12-07T10:34:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-12-07T10:34:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/304
Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/304>, abgerufen am 25.11.2024.