Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite

Dinger, die vom Leben und seinen Gefahren nichts
wußten, oft aus einem unglücklichen Milieu stam-
mend, das, jeden sittlichen Einflusses bar, sie ge-
radezu dazu prädestinierte die Beute des Erstbesten
zu werden, der ihr die im Elternhause entbehrte
Liebe und Wärme in ihr bisher so kaltes Leben
zu bringen schien, all die vertrauenden jungen
Wesen, die ihren Erlöser zu finden geglaubt hatten
und nun in die tiefste Verlassenheit und Verzweif-
lung zurückgeschleudert wurden, sind wirklich sie
die Schuldigen? Verdienen sie die allgemeine Ver-
urteilung, oder diejenigen, die ihr Vertrauen miß-
brauchten, die es nicht scheuten, zwei Leben aufs
Spiel zu setzen, dem Verderben zu weihen, um sich
vorübergehende sexuelle Befriedigung zu ver-
schaffen?

Und diese zweiten Leben, die armen, unschul-
digen Kinder, die solchen Verhältnissen ent-
stammen, sind sie vielleicht schuld an ihrem unwill-
kommenen Dasein, daß man es sie so bös entgelten
läßt? Zu Parias der Gesellschaft läßt man sie her-
anwachsen, ohne Pflege, ohne Erziehung, ohne
Rechte.

Jst es da ein Wunder, daß sie sich, wenn er-
wachsen, an dieser erbarmungslosen Gesellschaft
rächen, indem sie als ein Heer von Verbrechern,
Alkoholikern und Geisteskranken zu ihren gefähr-
lichsten Feinden werden?

Dinger, die vom Leben und seinen Gefahren nichts
wußten, oft aus einem unglücklichen Milieu stam-
mend, das, jeden sittlichen Einflusses bar, sie ge-
radezu dazu prädestinierte die Beute des Erstbesten
zu werden, der ihr die im Elternhause entbehrte
Liebe und Wärme in ihr bisher so kaltes Leben
zu bringen schien, all die vertrauenden jungen
Wesen, die ihren Erlöser zu finden geglaubt hatten
und nun in die tiefste Verlassenheit und Verzweif-
lung zurückgeschleudert wurden, sind wirklich sie
die Schuldigen? Verdienen sie die allgemeine Ver-
urteilung, oder diejenigen, die ihr Vertrauen miß-
brauchten, die es nicht scheuten, zwei Leben aufs
Spiel zu setzen, dem Verderben zu weihen, um sich
vorübergehende sexuelle Befriedigung zu ver-
schaffen?

Und diese zweiten Leben, die armen, unschul-
digen Kinder, die solchen Verhältnissen ent-
stammen, sind sie vielleicht schuld an ihrem unwill-
kommenen Dasein, daß man es sie so bös entgelten
läßt? Zu Parias der Gesellschaft läßt man sie her-
anwachsen, ohne Pflege, ohne Erziehung, ohne
Rechte.

Jst es da ein Wunder, daß sie sich, wenn er-
wachsen, an dieser erbarmungslosen Gesellschaft
rächen, indem sie als ein Heer von Verbrechern,
Alkoholikern und Geisteskranken zu ihren gefähr-
lichsten Feinden werden?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0303" n="299"/>
Dinger, die vom Leben und seinen Gefahren nichts<lb/>
wußten, oft aus einem unglücklichen Milieu stam-<lb/>
mend, das, jeden sittlichen Einflusses bar, sie ge-<lb/>
radezu dazu prädestinierte die Beute des Erstbesten<lb/>
zu werden, der ihr die im Elternhause entbehrte<lb/>
Liebe und Wärme in ihr bisher so kaltes Leben<lb/>
zu bringen schien, all die vertrauenden jungen<lb/>
Wesen, die ihren Erlöser zu finden geglaubt hatten<lb/>
und nun in die tiefste Verlassenheit und Verzweif-<lb/>
lung zurückgeschleudert wurden, sind wirklich sie<lb/>
die Schuldigen? Verdienen sie die allgemeine Ver-<lb/>
urteilung, oder diejenigen, die ihr Vertrauen miß-<lb/>
brauchten, die es nicht scheuten, zwei Leben aufs<lb/>
Spiel zu setzen, dem Verderben zu weihen, um sich<lb/>
vorübergehende sexuelle Befriedigung zu ver-<lb/>
schaffen?</p><lb/>
          <p>Und diese zweiten Leben, die armen, unschul-<lb/>
digen Kinder, die solchen Verhältnissen ent-<lb/>
stammen, sind sie vielleicht schuld an ihrem unwill-<lb/>
kommenen Dasein, daß man es sie so bös entgelten<lb/>
läßt? Zu Parias der Gesellschaft läßt man sie her-<lb/>
anwachsen, ohne Pflege, ohne Erziehung, ohne<lb/>
Rechte.</p><lb/>
          <p>Jst es da ein Wunder, daß sie sich, wenn er-<lb/>
wachsen, an dieser erbarmungslosen Gesellschaft<lb/>
rächen, indem sie als ein Heer von Verbrechern,<lb/>
Alkoholikern und Geisteskranken zu ihren gefähr-<lb/>
lichsten Feinden werden?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0303] Dinger, die vom Leben und seinen Gefahren nichts wußten, oft aus einem unglücklichen Milieu stam- mend, das, jeden sittlichen Einflusses bar, sie ge- radezu dazu prädestinierte die Beute des Erstbesten zu werden, der ihr die im Elternhause entbehrte Liebe und Wärme in ihr bisher so kaltes Leben zu bringen schien, all die vertrauenden jungen Wesen, die ihren Erlöser zu finden geglaubt hatten und nun in die tiefste Verlassenheit und Verzweif- lung zurückgeschleudert wurden, sind wirklich sie die Schuldigen? Verdienen sie die allgemeine Ver- urteilung, oder diejenigen, die ihr Vertrauen miß- brauchten, die es nicht scheuten, zwei Leben aufs Spiel zu setzen, dem Verderben zu weihen, um sich vorübergehende sexuelle Befriedigung zu ver- schaffen? Und diese zweiten Leben, die armen, unschul- digen Kinder, die solchen Verhältnissen ent- stammen, sind sie vielleicht schuld an ihrem unwill- kommenen Dasein, daß man es sie so bös entgelten läßt? Zu Parias der Gesellschaft läßt man sie her- anwachsen, ohne Pflege, ohne Erziehung, ohne Rechte. Jst es da ein Wunder, daß sie sich, wenn er- wachsen, an dieser erbarmungslosen Gesellschaft rächen, indem sie als ein Heer von Verbrechern, Alkoholikern und Geisteskranken zu ihren gefähr- lichsten Feinden werden?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-12-07T10:34:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-12-07T10:34:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/303
Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/303>, abgerufen am 23.11.2024.