Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

Ossian, sondern Macpherson hieße. Nur Spötter,
wie Voltaire und Andre, können auf Kleinigkeiten
der Art ein großes Gewicht legen; wir Christen
wissen schon, wornach wir uns zu richten haben.

Die Verfasser jener geschichtlichen Bücher er-
zählen, was als allgemeine Volkssage von den Ju-
den geglaubt ward, ohne deshalb die Zuverläßigkeit
dieser Sagen zu verbürgen, so wie ich -- meines
Orts, -- für die Wahrheit der Erzählungen von
der Lilith und von Abrahams Esel, auf welchem
der Messias dereinst mit Jsraels Kindern durchs
Meer reuten wird, gleichfalls nicht einstehen möchte.
Ueberdies erwäge man den Geist der Sprache, in
welcher jene Schriftsteller ihre Nachrichten empfien-
gen und niederschrieben. Alle Morgenländer lieben
das Bildliche und Wundervolle, und sprechen selbst
von den alltäglichsten Dingen in hyperbolischen Re-
densarten. Die hebräische Sprache ist fast noch
ärmer an Worten, als die Juden an Begriffen sind.
Jhre Zeitwörter haben nur zwei Zeitbestimmungen:
die Gegenwart und Zukunft. Alle übrigen Arten
der bedingten und unbedingten Zeitbestimmung muß
man errathen. Mit dem Jndikativ und Konjunk-
tiv, mit dem Jmperfekt und Plusquamperfekt zer-
bricht sich der Hebräer nicht den Kopf. Ein einzi-
ges Wort seiner Sprache hat oft fünfzig verschie-
dene, zum Theil einander widersprechende Bedeu-
tungen. Welcher Uebersetzer des alten Testaments
kann unter diesen Umständen für die Richtigkeit und

Oſſian, ſondern Macpherſon hieße. Nur Spoͤtter,
wie Voltaire und Andre, koͤnnen auf Kleinigkeiten
der Art ein großes Gewicht legen; wir Chriſten
wiſſen ſchon, wornach wir uns zu richten haben.

Die Verfaſſer jener geſchichtlichen Buͤcher er-
zaͤhlen, was als allgemeine Volksſage von den Ju-
den geglaubt ward, ohne deshalb die Zuverlaͤßigkeit
dieſer Sagen zu verbuͤrgen, ſo wie ich — meines
Orts, — fuͤr die Wahrheit der Erzaͤhlungen von
der Lilith und von Abrahams Eſel, auf welchem
der Meſſias dereinſt mit Jſraels Kindern durchs
Meer reuten wird, gleichfalls nicht einſtehen moͤchte.
Ueberdies erwaͤge man den Geiſt der Sprache, in
welcher jene Schriftſteller ihre Nachrichten empfien-
gen und niederſchrieben. Alle Morgenlaͤnder lieben
das Bildliche und Wundervolle, und ſprechen ſelbſt
von den alltaͤglichſten Dingen in hyperboliſchen Re-
densarten. Die hebraͤiſche Sprache iſt faſt noch
aͤrmer an Worten, als die Juden an Begriffen ſind.
Jhre Zeitwoͤrter haben nur zwei Zeitbeſtimmungen:
die Gegenwart und Zukunft. Alle uͤbrigen Arten
der bedingten und unbedingten Zeitbeſtimmung muß
man errathen. Mit dem Jndikativ und Konjunk-
tiv, mit dem Jmperfekt und Plusquamperfekt zer-
bricht ſich der Hebraͤer nicht den Kopf. Ein einzi-
ges Wort ſeiner Sprache hat oft fuͤnfzig verſchie-
dene, zum Theil einander widerſprechende Bedeu-
tungen. Welcher Ueberſetzer des alten Teſtaments
kann unter dieſen Umſtaͤnden fuͤr die Richtigkeit und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0336" n="302"/>
O&#x017F;&#x017F;ian, &#x017F;ondern Macpher&#x017F;on hieße. Nur Spo&#x0364;tter,<lb/>
wie Voltaire und Andre, ko&#x0364;nnen auf Kleinigkeiten<lb/>
der Art ein großes Gewicht legen; wir Chri&#x017F;ten<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chon, wornach wir uns zu richten haben.</p><lb/>
        <p>Die Verfa&#x017F;&#x017F;er jener ge&#x017F;chichtlichen Bu&#x0364;cher er-<lb/>
za&#x0364;hlen, was als allgemeine Volks&#x017F;age von den Ju-<lb/>
den geglaubt ward, ohne deshalb die Zuverla&#x0364;ßigkeit<lb/>
die&#x017F;er Sagen zu verbu&#x0364;rgen, &#x017F;o wie ich &#x2014; meines<lb/>
Orts, &#x2014; fu&#x0364;r die Wahrheit der Erza&#x0364;hlungen von<lb/>
der Lilith und von Abrahams E&#x017F;el, auf welchem<lb/>
der Me&#x017F;&#x017F;ias derein&#x017F;t mit J&#x017F;raels Kindern durchs<lb/>
Meer reuten wird, gleichfalls nicht ein&#x017F;tehen mo&#x0364;chte.<lb/>
Ueberdies erwa&#x0364;ge man den Gei&#x017F;t der Sprache, in<lb/>
welcher jene Schrift&#x017F;teller ihre Nachrichten empfien-<lb/>
gen und nieder&#x017F;chrieben. Alle Morgenla&#x0364;nder lieben<lb/>
das Bildliche und Wundervolle, und &#x017F;prechen &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
von den allta&#x0364;glich&#x017F;ten Dingen in hyperboli&#x017F;chen Re-<lb/>
densarten. Die hebra&#x0364;i&#x017F;che Sprache i&#x017F;t fa&#x017F;t noch<lb/>
a&#x0364;rmer an Worten, als die Juden an Begriffen &#x017F;ind.<lb/>
Jhre Zeitwo&#x0364;rter haben nur zwei Zeitbe&#x017F;timmungen:<lb/>
die Gegenwart und Zukunft. Alle u&#x0364;brigen Arten<lb/>
der bedingten und unbedingten Zeitbe&#x017F;timmung muß<lb/>
man errathen. Mit dem Jndikativ und Konjunk-<lb/>
tiv, mit dem Jmperfekt und Plusquamperfekt zer-<lb/>
bricht &#x017F;ich der Hebra&#x0364;er nicht den Kopf. Ein einzi-<lb/>
ges Wort &#x017F;einer Sprache hat oft fu&#x0364;nfzig ver&#x017F;chie-<lb/>
dene, zum Theil einander wider&#x017F;prechende Bedeu-<lb/>
tungen. Welcher Ueber&#x017F;etzer des alten Te&#x017F;taments<lb/>
kann unter die&#x017F;en Um&#x017F;ta&#x0364;nden fu&#x0364;r die Richtigkeit und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0336] Oſſian, ſondern Macpherſon hieße. Nur Spoͤtter, wie Voltaire und Andre, koͤnnen auf Kleinigkeiten der Art ein großes Gewicht legen; wir Chriſten wiſſen ſchon, wornach wir uns zu richten haben. Die Verfaſſer jener geſchichtlichen Buͤcher er- zaͤhlen, was als allgemeine Volksſage von den Ju- den geglaubt ward, ohne deshalb die Zuverlaͤßigkeit dieſer Sagen zu verbuͤrgen, ſo wie ich — meines Orts, — fuͤr die Wahrheit der Erzaͤhlungen von der Lilith und von Abrahams Eſel, auf welchem der Meſſias dereinſt mit Jſraels Kindern durchs Meer reuten wird, gleichfalls nicht einſtehen moͤchte. Ueberdies erwaͤge man den Geiſt der Sprache, in welcher jene Schriftſteller ihre Nachrichten empfien- gen und niederſchrieben. Alle Morgenlaͤnder lieben das Bildliche und Wundervolle, und ſprechen ſelbſt von den alltaͤglichſten Dingen in hyperboliſchen Re- densarten. Die hebraͤiſche Sprache iſt faſt noch aͤrmer an Worten, als die Juden an Begriffen ſind. Jhre Zeitwoͤrter haben nur zwei Zeitbeſtimmungen: die Gegenwart und Zukunft. Alle uͤbrigen Arten der bedingten und unbedingten Zeitbeſtimmung muß man errathen. Mit dem Jndikativ und Konjunk- tiv, mit dem Jmperfekt und Plusquamperfekt zer- bricht ſich der Hebraͤer nicht den Kopf. Ein einzi- ges Wort ſeiner Sprache hat oft fuͤnfzig verſchie- dene, zum Theil einander widerſprechende Bedeu- tungen. Welcher Ueberſetzer des alten Teſtaments kann unter dieſen Umſtaͤnden fuͤr die Richtigkeit und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/336
Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/336>, abgerufen am 14.05.2024.