Zu Anfange des sechsten Jahrhunderts, nach Andern aber weit später, verbanden sich viele ge- lehrte Juden zu einem, dem ersten Anscheine nach sehr kleinlichen, in der That aber äußerst wichti- gen und ruhmwürdigen Unternehmen. Sie beschlos- sen nämlich, nicht allein die ursprünglichen Lesear- ten des hebräischen Grundtextes vom alten Testa- ment wieder herzustellen, sondern auch, um den- selben vor künftigen Verfälschungen und Verunstal- tungen zu sichern, die Wörter, Sylben, Buchsta- ben und Accente jedes Kapitels, Abschnitts und Verses genau zu zählen und zu bestimmen. Sie legten die Ergebniße ihrer Bemühungen in einem Werke nieder, welches die Masora heißt, und einen Beweis von der ausdauernden Beharrlichkeit der Juden bei den geistlosesten Geschäften, beson- ders wo es aufs Zählen ankömmt, liefert. Zu wünschen wäre es, daß ein solcher Zaun des Ge- setzes, wie die Masora von den Juden genannt wird, von einem jeden kanonischen Buche der gauzen Bibel, gleich nach Vollendung desselben
Die Maſora und die Rabbinen.
Zu Anfange des ſechsten Jahrhunderts, nach Andern aber weit ſpaͤter, verbanden ſich viele ge- lehrte Juden zu einem, dem erſten Anſcheine nach ſehr kleinlichen, in der That aber aͤußerſt wichti- gen und ruhmwuͤrdigen Unternehmen. Sie beſchloſ- ſen naͤmlich, nicht allein die urſpruͤnglichen Leſear- ten des hebraͤiſchen Grundtextes vom alten Teſta- ment wieder herzuſtellen, ſondern auch, um den- ſelben vor kuͤnftigen Verfaͤlſchungen und Verunſtal- tungen zu ſichern, die Woͤrter, Sylben, Buchſta- ben und Accente jedes Kapitels, Abſchnitts und Verſes genau zu zaͤhlen und zu beſtimmen. Sie legten die Ergebniße ihrer Bemuͤhungen in einem Werke nieder, welches die Máſora heißt, und einen Beweis von der ausdauernden Beharrlichkeit der Juden bei den geiſtloſeſten Geſchaͤften, beſon- ders wo es aufs Zaͤhlen ankoͤmmt, liefert. Zu wuͤnſchen waͤre es, daß ein ſolcher Zaun des Ge- ſetzes, wie die Maſora von den Juden genannt wird, von einem jeden kanoniſchen Buche der gauzen Bibel, gleich nach Vollendung deſſelben
<TEI><text><body><pbfacs="#f0124"n="90"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Maſora und die Rabbinen.</hi></hi></head><lb/><p>Zu Anfange des ſechsten Jahrhunderts, nach<lb/>
Andern aber weit ſpaͤter, verbanden ſich viele ge-<lb/>
lehrte Juden zu einem, dem erſten Anſcheine nach<lb/>ſehr kleinlichen, in der That aber aͤußerſt wichti-<lb/>
gen und ruhmwuͤrdigen Unternehmen. Sie beſchloſ-<lb/>ſen naͤmlich, nicht allein die urſpruͤnglichen Leſear-<lb/>
ten des hebraͤiſchen Grundtextes vom alten Teſta-<lb/>
ment wieder herzuſtellen, ſondern auch, um den-<lb/>ſelben vor kuͤnftigen Verfaͤlſchungen und Verunſtal-<lb/>
tungen zu ſichern, die Woͤrter, Sylben, Buchſta-<lb/>
ben und Accente jedes Kapitels, Abſchnitts und<lb/>
Verſes genau zu zaͤhlen und zu beſtimmen. Sie<lb/>
legten die Ergebniße ihrer Bemuͤhungen in einem<lb/>
Werke nieder, welches die <hirendition="#g">Máſora</hi> heißt, und<lb/>
einen Beweis von der ausdauernden Beharrlichkeit<lb/>
der Juden bei den geiſtloſeſten Geſchaͤften, beſon-<lb/>
ders wo es aufs <hirendition="#g">Zaͤhlen</hi> ankoͤmmt, liefert. Zu<lb/>
wuͤnſchen waͤre es, daß ein ſolcher Zaun des Ge-<lb/>ſetzes, wie die Maſora von den Juden genannt<lb/>
wird, von einem <hirendition="#g">jeden</hi> kanoniſchen Buche der<lb/><hirendition="#g">gauzen</hi> Bibel, gleich nach Vollendung deſſelben<lb/></p></div></body></text></TEI>
[90/0124]
Die Maſora und die Rabbinen.
Zu Anfange des ſechsten Jahrhunderts, nach
Andern aber weit ſpaͤter, verbanden ſich viele ge-
lehrte Juden zu einem, dem erſten Anſcheine nach
ſehr kleinlichen, in der That aber aͤußerſt wichti-
gen und ruhmwuͤrdigen Unternehmen. Sie beſchloſ-
ſen naͤmlich, nicht allein die urſpruͤnglichen Leſear-
ten des hebraͤiſchen Grundtextes vom alten Teſta-
ment wieder herzuſtellen, ſondern auch, um den-
ſelben vor kuͤnftigen Verfaͤlſchungen und Verunſtal-
tungen zu ſichern, die Woͤrter, Sylben, Buchſta-
ben und Accente jedes Kapitels, Abſchnitts und
Verſes genau zu zaͤhlen und zu beſtimmen. Sie
legten die Ergebniße ihrer Bemuͤhungen in einem
Werke nieder, welches die Máſora heißt, und
einen Beweis von der ausdauernden Beharrlichkeit
der Juden bei den geiſtloſeſten Geſchaͤften, beſon-
ders wo es aufs Zaͤhlen ankoͤmmt, liefert. Zu
wuͤnſchen waͤre es, daß ein ſolcher Zaun des Ge-
ſetzes, wie die Maſora von den Juden genannt
wird, von einem jeden kanoniſchen Buche der
gauzen Bibel, gleich nach Vollendung deſſelben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/124>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.