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Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206.

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Besteigung des Chimborazo.
grossen Stadt Potosi dem Gipfel des Montblanc nur
um 323 Toisen nachsteht. Ich habe es für nöthig
gefunden, diese wenigen numerischen Angaben hier
voranzuschicken, um der Phantasie bestimmte Anhalts-
punkte für die hypsometrische, gleichsam plastische
Betrachtung der Erdoberfläche darbieten zu können.

Das Erreichen grosser Höhen ist von geringem
wissenschaftlichen Interesse, wenn dieselben weit
über der Schneegrenze liegen, und nur auf wenige
Stunden besucht werden können. Unmittelbare Höhen-
bestimmungen durch das Barometer gewähren zwar
den Vortheil schnell zu erhaltender Resultate, doch
sind die Gipfel meist nahe mit Hochebenen umgeben,
die zu einer trigonometrischen Operation geeignet
sind, und in denen alle Elemente der Messung wieder-
holt geprüft werden können, während eine einmalige
Bestimmung mittelst des Barometers, wegen auf- und
absteigender Luftströme am Abhange des Gebirgstockes
und wegen dadurch erzeugter Variation in der Tem-
peraturabnahme, beträchtliche Fehler in den Resultaten
erzeugt. Die Natur des Gesteins ist wegen der ewigen
Schneedecke der geognostischen Beobachtung fast
gänzlich entzogen, da nur einzelne Felsrippen (Gra-
the) mit sehr verwitterten Schichten hervortreten.
Das organische Leben ist in diesen hohen Einöden
der Erdfläche erstorben. Kaum verirren sich in die
dünnen Schichten des Luftkreises der Berggeier (Con-
dor) und geflügelte Insecten, letztere unwillkürlich
von Luftströmen gehoben. Wenn ein ernstes wissen-
schaftliches Interesse kaum noch der Bemühung rei-
sender Physiker, die die höhern Gipfel der Erde zu
ersteigen streben, geschenkt wird, so hat sich da-
gegen im allgemeinen Volkssinne ein reger Antheil

Jahrbuch. 12

Besteigung des Chimborazo.
grossen Stadt Potosi dem Gipfel des Montblanc nur
um 323 Toisen nachsteht. Ich habe es für nöthig
gefunden, diese wenigen numerischen Angaben hier
voranzuschicken, um der Phantasie bestimmte Anhalts-
punkte für die hypsometrische, gleichsam plastische
Betrachtung der Erdoberfläche darbieten zu können.

Das Erreichen grosser Höhen ist von geringem
wissenschaftlichen Interesse, wenn dieselben weit
über der Schneegrenze liegen, und nur auf wenige
Stunden besucht werden können. Unmittelbare Höhen-
bestimmungen durch das Barometer gewähren zwar
den Vortheil schnell zu erhaltender Resultate, doch
sind die Gipfel meist nahe mit Hochebenen umgeben,
die zu einer trigonometrischen Operation geeignet
sind, und in denen alle Elemente der Messung wieder-
holt geprüft werden können, während eine einmalige
Bestimmung mittelst des Barometers, wegen auf- und
absteigender Luftströme am Abhange des Gebirgstockes
und wegen dadurch erzeugter Variation in der Tem-
peraturabnahme, beträchtliche Fehler in den Resultaten
erzeugt. Die Natur des Gesteins ist wegen der ewigen
Schneedecke der geognostischen Beobachtung fast
gänzlich entzogen, da nur einzelne Felsrippen (Gra-
the) mit sehr verwitterten Schichten hervortreten.
Das organische Leben ist in diesen hohen Einöden
der Erdfläche erstorben. Kaum verirren sich in die
dünnen Schichten des Luftkreises der Berggeier (Con-
dor) und geflügelte Insecten, letztere unwillkürlich
von Luftströmen gehoben. Wenn ein ernstes wissen-
schaftliches Interesse kaum noch der Bemühung rei-
sender Physiker, die die höhern Gipfel der Erde zu
ersteigen streben, geschenkt wird, so hat sich da-
gegen im allgemeinen Volkssinne ein reger Antheil

Jahrbuch. 12
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[177/0004] Besteigung des Chimborazo. grossen Stadt Potosi dem Gipfel des Montblanc nur um 323 Toisen nachsteht. Ich habe es für nöthig gefunden, diese wenigen numerischen Angaben hier voranzuschicken, um der Phantasie bestimmte Anhalts- punkte für die hypsometrische, gleichsam plastische Betrachtung der Erdoberfläche darbieten zu können. Das Erreichen grosser Höhen ist von geringem wissenschaftlichen Interesse, wenn dieselben weit über der Schneegrenze liegen, und nur auf wenige Stunden besucht werden können. Unmittelbare Höhen- bestimmungen durch das Barometer gewähren zwar den Vortheil schnell zu erhaltender Resultate, doch sind die Gipfel meist nahe mit Hochebenen umgeben, die zu einer trigonometrischen Operation geeignet sind, und in denen alle Elemente der Messung wieder- holt geprüft werden können, während eine einmalige Bestimmung mittelst des Barometers, wegen auf- und absteigender Luftströme am Abhange des Gebirgstockes und wegen dadurch erzeugter Variation in der Tem- peraturabnahme, beträchtliche Fehler in den Resultaten erzeugt. Die Natur des Gesteins ist wegen der ewigen Schneedecke der geognostischen Beobachtung fast gänzlich entzogen, da nur einzelne Felsrippen (Gra- the) mit sehr verwitterten Schichten hervortreten. Das organische Leben ist in diesen hohen Einöden der Erdfläche erstorben. Kaum verirren sich in die dünnen Schichten des Luftkreises der Berggeier (Con- dor) und geflügelte Insecten, letztere unwillkürlich von Luftströmen gehoben. Wenn ein ernstes wissen- schaftliches Interesse kaum noch der Bemühung rei- sender Physiker, die die höhern Gipfel der Erde zu ersteigen streben, geschenkt wird, so hat sich da- gegen im allgemeinen Volkssinne ein reger Antheil Jahrbuch. 12

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206, hier S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_versuche_1837/4>, abgerufen am 29.03.2024.