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Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206.

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Besteigung des Chimborazo.
ausfüllt, überaus nass. Die Luft war noch 2°,8 über dem
Gefrierpunkt. Kurz vorher hatten wir an einer trock-
nen Stelle, das Thermometer drei Zoll tief in den
Sand eingraben können. Es hielt sich auf +5°,8.
Das Resultat dieser Beobachtung, die ohngefähr in
2860 Toisen Höhe angestellt wurde, ist sehr merk-
würdig, denn bereits 400 Toisen tiefer, an der
Grenze des ewigen Schnees, ist nach vielen und
sorgfältig von Boussingault und mir gesammelten
Beobachtungen die mittlere Wärme der Atmosphäre
nur +1°,6. Die Temperatur der Erde zu +5°,8
muss daher der unterirdischen Wärme des Dolerit-
berges, ich sage nicht der ganzen Masse, sondern
den aus dem Inneren aufsteigenden Luftströmen zu-
geschrieben werden.

Nach einer Stunde vorsichtigen Klimmens wurde
der Felskamm weniger steil, aber leider! blieb der
Nebel gleich dick. Wir fingen nun nach und nach
an, alle an grosser Ueblichkeit zu leiden. Der Drang
zum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbunden
und weit lästiger als die Schwierigkeit zu athmen.
Ein farbiger Mensch (Mestize aus San Juan) hatte
uns bloss aus Gutmüthigkeit, keinesweges aber in
eigennütziger Absicht, nicht verlassen wollen. Es war
ein kräftiger, armer Landmann, der mehr litt, als
wir. Wir bluteten aus dem Zahnfleisch und aus den
Lippen. Die Bindehaut (tunica conjunctiva) der Augen
war bei allen ebenfalls mit Blut unterlaufen. Diese
Symptome der Extravasate in den Augen, des Blut-
ausschwitzens am Zahnfleisch und an den Lippen.
hatten für uns nichts Beunruhigendes, da wir aus
mehrmaliger früherer Erfahrung damit bekannt waren.
In Europa hat Herr Zumstein schon auf einer weit

Besteigung des Chimborazo.
ausfüllt, überaus nass. Die Luft war noch 2°,8 über dem
Gefrierpunkt. Kurz vorher hatten wir an einer trock-
nen Stelle, das Thermometer drei Zoll tief in den
Sand eingraben können. Es hielt sich auf +5°,8.
Das Resultat dieser Beobachtung, die ohngefähr in
2860 Toisen Höhe angestellt wurde, ist sehr merk-
würdig, denn bereits 400 Toisen tiefer, an der
Grenze des ewigen Schnees, ist nach vielen und
sorgfältig von Boussingault und mir gesammelten
Beobachtungen die mittlere Wärme der Atmosphäre
nur +1°,6. Die Temperatur der Erde zu +5°,8
muss daher der unterirdischen Wärme des Dolerit-
berges, ich sage nicht der ganzen Masse, sondern
den aus dem Inneren aufsteigenden Luftströmen zu-
geschrieben werden.

Nach einer Stunde vorsichtigen Klimmens wurde
der Felskamm weniger steil, aber leider! blieb der
Nebel gleich dick. Wir fingen nun nach und nach
an, alle an grosser Ueblichkeit zu leiden. Der Drang
zum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbunden
und weit lästiger als die Schwierigkeit zu athmen.
Ein farbiger Mensch (Mestize aus San Juan) hatte
uns bloss aus Gutmüthigkeit, keinesweges aber in
eigennütziger Absicht, nicht verlassen wollen. Es war
ein kräftiger, armer Landmann, der mehr litt, als
wir. Wir bluteten aus dem Zahnfleisch und aus den
Lippen. Die Bindehaut (tunica conjunctiva) der Augen
war bei allen ebenfalls mit Blut unterlaufen. Diese
Symptome der Extravasate in den Augen, des Blut-
ausschwitzens am Zahnfleisch und an den Lippen.
hatten für uns nichts Beunruhigendes, da wir aus
mehrmaliger früherer Erfahrung damit bekannt waren.
In Europa hat Herr Zumstein schon auf einer weit

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[191/0018] Besteigung des Chimborazo. ausfüllt, überaus nass. Die Luft war noch 2°,8 über dem Gefrierpunkt. Kurz vorher hatten wir an einer trock- nen Stelle, das Thermometer drei Zoll tief in den Sand eingraben können. Es hielt sich auf +5°,8. Das Resultat dieser Beobachtung, die ohngefähr in 2860 Toisen Höhe angestellt wurde, ist sehr merk- würdig, denn bereits 400 Toisen tiefer, an der Grenze des ewigen Schnees, ist nach vielen und sorgfältig von Boussingault und mir gesammelten Beobachtungen die mittlere Wärme der Atmosphäre nur +1°,6. Die Temperatur der Erde zu +5°,8 muss daher der unterirdischen Wärme des Dolerit- berges, ich sage nicht der ganzen Masse, sondern den aus dem Inneren aufsteigenden Luftströmen zu- geschrieben werden. Nach einer Stunde vorsichtigen Klimmens wurde der Felskamm weniger steil, aber leider! blieb der Nebel gleich dick. Wir fingen nun nach und nach an, alle an grosser Ueblichkeit zu leiden. Der Drang zum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbunden und weit lästiger als die Schwierigkeit zu athmen. Ein farbiger Mensch (Mestize aus San Juan) hatte uns bloss aus Gutmüthigkeit, keinesweges aber in eigennütziger Absicht, nicht verlassen wollen. Es war ein kräftiger, armer Landmann, der mehr litt, als wir. Wir bluteten aus dem Zahnfleisch und aus den Lippen. Die Bindehaut (tunica conjunctiva) der Augen war bei allen ebenfalls mit Blut unterlaufen. Diese Symptome der Extravasate in den Augen, des Blut- ausschwitzens am Zahnfleisch und an den Lippen. hatten für uns nichts Beunruhigendes, da wir aus mehrmaliger früherer Erfahrung damit bekannt waren. In Europa hat Herr Zumstein schon auf einer weit

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206, hier S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_versuche_1837/18>, abgerufen am 24.11.2024.