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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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Verhältniss einmal entstanden wäre. Die genauere Ausführung
einer solchen Anordnung gehört wiederum nicht hieher, und das
um so weniger, als, wie es mir scheint, dieselbe nicht sowohl
durch Feststellung allgemeiner Grundsätze, als durch einzelne,
auf bestimmte Verträge gerichtete Gesetze zu machen sein
würde.

Je weniger der Mensch anders zu handeln vermocht wird,
als sein Wille verlangt, oder seine Kraft ihm erlaubt, desto
günstiger ist seine Lage im Staat. Wenn ich in Bezug auf
diese Wahrheit -- um welche allein sich eigentlich alle in die-
sem Aufsatze vorgetragene Ideen drehen, das Feld unserer
Civiljurisprudenz übersehe; so zeigt sich mir neben andren,
minder erheblichen Gegenständen, noch ein äusserst wichtiger,
die Gesellschaften nämlich, welche man, im Gegensatze der
physischen Menschen, moralische Personen zu nennen pflegt.
Da sie immer eine, von der Zahl der Mitglieder, welche sie aus-
machen, unabhängige Einheit enthalten, welche sich, mit nur
unbeträchtlichen Veränderungen, durch eine lange Reihe von
Jahren hindurch erhält; so bringen sie aufs mindeste alle die
Nachtheile hervor, welche im Vorigen als Folgen letztwilliger
Verordnungen dargestellt worden sind. Denn wenn gleich ein
sehr grosser Theil ihrer Schädlichkeit bei uns, aus einer, nicht
nothwendig mit ihrer Natur verbundnen Einrichtung -- den
ausschliesslichen Privilegien nämlich, welche ihnen bald der
Staat ausdrücklich, bald die Gewohnheit stillschweigend ertheilt,
und durch welche sie oft wahre politische Corps werden -- ent-
steht; so führen sie doch auch an sich noch immer eine beträcht-
liche Menge von Unbequemlichkeiten mit sich. Diese aber ent-
stehen allemal nur dann, wenn die Verfassung derselben ent-
weder alle Mitglieder, gegen ihren Willen, zu dieser oder jener
Anwendung der gemeinschaftlichen Mittel zwingt, oder doch
dem Willen der kleineren Zahl, durch Nothwendigkeit der Ueber-
einstimmung aller, erlaubt, den der grösseren zu fesseln. Uebri-

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Verhältniss einmal entstanden wäre. Die genauere Ausführung
einer solchen Anordnung gehört wiederum nicht hieher, und das
um so weniger, als, wie es mir scheint, dieselbe nicht sowohl
durch Feststellung allgemeiner Grundsätze, als durch einzelne,
auf bestimmte Verträge gerichtete Gesetze zu machen sein
würde.

Je weniger der Mensch anders zu handeln vermocht wird,
als sein Wille verlangt, oder seine Kraft ihm erlaubt, desto
günstiger ist seine Lage im Staat. Wenn ich in Bezug auf
diese Wahrheit — um welche allein sich eigentlich alle in die-
sem Aufsatze vorgetragene Ideen drehen, das Feld unserer
Civiljurisprudenz übersehe; so zeigt sich mir neben andren,
minder erheblichen Gegenständen, noch ein äusserst wichtiger,
die Gesellschaften nämlich, welche man, im Gegensatze der
physischen Menschen, moralische Personen zu nennen pflegt.
Da sie immer eine, von der Zahl der Mitglieder, welche sie aus-
machen, unabhängige Einheit enthalten, welche sich, mit nur
unbeträchtlichen Veränderungen, durch eine lange Reihe von
Jahren hindurch erhält; so bringen sie aufs mindeste alle die
Nachtheile hervor, welche im Vorigen als Folgen letztwilliger
Verordnungen dargestellt worden sind. Denn wenn gleich ein
sehr grosser Theil ihrer Schädlichkeit bei uns, aus einer, nicht
nothwendig mit ihrer Natur verbundnen Einrichtung — den
ausschliesslichen Privilegien nämlich, welche ihnen bald der
Staat ausdrücklich, bald die Gewohnheit stillschweigend ertheilt,
und durch welche sie oft wahre politische Corps werden — ent-
steht; so führen sie doch auch an sich noch immer eine beträcht-
liche Menge von Unbequemlichkeiten mit sich. Diese aber ent-
stehen allemal nur dann, wenn die Verfassung derselben ent-
weder alle Mitglieder, gegen ihren Willen, zu dieser oder jener
Anwendung der gemeinschaftlichen Mittel zwingt, oder doch
dem Willen der kleineren Zahl, durch Nothwendigkeit der Ueber-
einstimmung aller, erlaubt, den der grösseren zu fesseln. Uebri-

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[129/0165] Verhältniss einmal entstanden wäre. Die genauere Ausführung einer solchen Anordnung gehört wiederum nicht hieher, und das um so weniger, als, wie es mir scheint, dieselbe nicht sowohl durch Feststellung allgemeiner Grundsätze, als durch einzelne, auf bestimmte Verträge gerichtete Gesetze zu machen sein würde. Je weniger der Mensch anders zu handeln vermocht wird, als sein Wille verlangt, oder seine Kraft ihm erlaubt, desto günstiger ist seine Lage im Staat. Wenn ich in Bezug auf diese Wahrheit — um welche allein sich eigentlich alle in die- sem Aufsatze vorgetragene Ideen drehen, das Feld unserer Civiljurisprudenz übersehe; so zeigt sich mir neben andren, minder erheblichen Gegenständen, noch ein äusserst wichtiger, die Gesellschaften nämlich, welche man, im Gegensatze der physischen Menschen, moralische Personen zu nennen pflegt. Da sie immer eine, von der Zahl der Mitglieder, welche sie aus- machen, unabhängige Einheit enthalten, welche sich, mit nur unbeträchtlichen Veränderungen, durch eine lange Reihe von Jahren hindurch erhält; so bringen sie aufs mindeste alle die Nachtheile hervor, welche im Vorigen als Folgen letztwilliger Verordnungen dargestellt worden sind. Denn wenn gleich ein sehr grosser Theil ihrer Schädlichkeit bei uns, aus einer, nicht nothwendig mit ihrer Natur verbundnen Einrichtung — den ausschliesslichen Privilegien nämlich, welche ihnen bald der Staat ausdrücklich, bald die Gewohnheit stillschweigend ertheilt, und durch welche sie oft wahre politische Corps werden — ent- steht; so führen sie doch auch an sich noch immer eine beträcht- liche Menge von Unbequemlichkeiten mit sich. Diese aber ent- stehen allemal nur dann, wenn die Verfassung derselben ent- weder alle Mitglieder, gegen ihren Willen, zu dieser oder jener Anwendung der gemeinschaftlichen Mittel zwingt, oder doch dem Willen der kleineren Zahl, durch Nothwendigkeit der Ueber- einstimmung aller, erlaubt, den der grösseren zu fesseln. Uebri- 9

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/165>, abgerufen am 26.11.2024.