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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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stelt scheint, bereichern oder erhöhen mehr ihre Kraft. Je mehr
nun die eine Wirkung die andre zu Hülfe nimmt, desto mehr
schwächt sie ihren eignen Eindruck. Die Dichtkunst vereinigt
am meisten und vollständigsten beide, und darum ist dieselbe
auf der einen Seite die vollkommenste aller schönen Künste,
aber auf der andern Seite auch die schwächste. Indem sie den
Gegenstand weniger lebhaft darstellt, als die Malerei und die
Plastik, spricht sie die Empfindung weniger eindringend an, als
der Gesang und die Musik. Allein freilich vergisst man diesen
Mangel leicht, da sie -- jene vorhin bemerkte Vielseitigkeit
noch abgerechnet -- dem innern, wahren Menschen gleichsam
am nächsten tritt, den Gedanken, wie die Empfindung, mit der
leichtesten Hülle bekleidet.

Die energisch wirkenden sinnlichen Empfindungen -- denn
nur um diese zu erläutern, rede ich hier von Künsten -- wirken
wiederum verschieden, theils je nachdem ihr Gang wirklich das
abgemessenste Verhältniss hat, theils je nachdem die Bestand-
theile selbst, gleichsam die Materie, die Seele stärker ergreifen.
So wirkt die gleich richtige und schöne Menschenstimme mehr
als ein todtes Instrument. Nun aber ist uns nie etwas näher,
als das eigne körperliche Gefühl. Wo also dieses selbst mit im
Spiele ist, da ist die Wirkung am höchsten. Aber wie immer
die unverhältnissmässige Stärke der Materie gleichsam die zarte
Form unterdrückt; so geschieht es auch hier oft, und es muss
also zwischen beiden ein richtiges Verhältniss sein. Das Gleich-
gewicht bei einem unrichtigen Verhältniss kann hergestellt
werden durch Erhöhung der Kraft des einen, oder Schwächung
der Stärke des andern. Allein es ist immer falsch, durch
Schwächung zu bilden, oder die Stärke müsste denn nicht natür-
lich, sondern erkünstelt sein. Wo sie aber das nicht ist, da
schränke man sie nie ein. Es ist besser, dass sie sich zerstöre,
als dass sie langsam hinsterbe. Doch genug hievon. Ich hoffe
meine Idee hinlänglich erläutert zu haben, obgleich ich gern die

stelt scheint, bereichern oder erhöhen mehr ihre Kraft. Je mehr
nun die eine Wirkung die andre zu Hülfe nimmt, desto mehr
schwächt sie ihren eignen Eindruck. Die Dichtkunst vereinigt
am meisten und vollständigsten beide, und darum ist dieselbe
auf der einen Seite die vollkommenste aller schönen Künste,
aber auf der andern Seite auch die schwächste. Indem sie den
Gegenstand weniger lebhaft darstellt, als die Malerei und die
Plastik, spricht sie die Empfindung weniger eindringend an, als
der Gesang und die Musik. Allein freilich vergisst man diesen
Mangel leicht, da sie — jene vorhin bemerkte Vielseitigkeit
noch abgerechnet — dem innern, wahren Menschen gleichsam
am nächsten tritt, den Gedanken, wie die Empfindung, mit der
leichtesten Hülle bekleidet.

Die energisch wirkenden sinnlichen Empfindungen — denn
nur um diese zu erläutern, rede ich hier von Künsten — wirken
wiederum verschieden, theils je nachdem ihr Gang wirklich das
abgemessenste Verhältniss hat, theils je nachdem die Bestand-
theile selbst, gleichsam die Materie, die Seele stärker ergreifen.
So wirkt die gleich richtige und schöne Menschenstimme mehr
als ein todtes Instrument. Nun aber ist uns nie etwas näher,
als das eigne körperliche Gefühl. Wo also dieses selbst mit im
Spiele ist, da ist die Wirkung am höchsten. Aber wie immer
die unverhältnissmässige Stärke der Materie gleichsam die zarte
Form unterdrückt; so geschieht es auch hier oft, und es muss
also zwischen beiden ein richtiges Verhältniss sein. Das Gleich-
gewicht bei einem unrichtigen Verhältniss kann hergestellt
werden durch Erhöhung der Kraft des einen, oder Schwächung
der Stärke des andern. Allein es ist immer falsch, durch
Schwächung zu bilden, oder die Stärke müsste denn nicht natür-
lich, sondern erkünstelt sein. Wo sie aber das nicht ist, da
schränke man sie nie ein. Es ist besser, dass sie sich zerstöre,
als dass sie langsam hinsterbe. Doch genug hievon. Ich hoffe
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[89/0125] stelt scheint, bereichern oder erhöhen mehr ihre Kraft. Je mehr nun die eine Wirkung die andre zu Hülfe nimmt, desto mehr schwächt sie ihren eignen Eindruck. Die Dichtkunst vereinigt am meisten und vollständigsten beide, und darum ist dieselbe auf der einen Seite die vollkommenste aller schönen Künste, aber auf der andern Seite auch die schwächste. Indem sie den Gegenstand weniger lebhaft darstellt, als die Malerei und die Plastik, spricht sie die Empfindung weniger eindringend an, als der Gesang und die Musik. Allein freilich vergisst man diesen Mangel leicht, da sie — jene vorhin bemerkte Vielseitigkeit noch abgerechnet — dem innern, wahren Menschen gleichsam am nächsten tritt, den Gedanken, wie die Empfindung, mit der leichtesten Hülle bekleidet. Die energisch wirkenden sinnlichen Empfindungen — denn nur um diese zu erläutern, rede ich hier von Künsten — wirken wiederum verschieden, theils je nachdem ihr Gang wirklich das abgemessenste Verhältniss hat, theils je nachdem die Bestand- theile selbst, gleichsam die Materie, die Seele stärker ergreifen. So wirkt die gleich richtige und schöne Menschenstimme mehr als ein todtes Instrument. Nun aber ist uns nie etwas näher, als das eigne körperliche Gefühl. Wo also dieses selbst mit im Spiele ist, da ist die Wirkung am höchsten. Aber wie immer die unverhältnissmässige Stärke der Materie gleichsam die zarte Form unterdrückt; so geschieht es auch hier oft, und es muss also zwischen beiden ein richtiges Verhältniss sein. Das Gleich- gewicht bei einem unrichtigen Verhältniss kann hergestellt werden durch Erhöhung der Kraft des einen, oder Schwächung der Stärke des andern. Allein es ist immer falsch, durch Schwächung zu bilden, oder die Stärke müsste denn nicht natür- lich, sondern erkünstelt sein. Wo sie aber das nicht ist, da schränke man sie nie ein. Es ist besser, dass sie sich zerstöre, als dass sie langsam hinsterbe. Doch genug hievon. Ich hoffe meine Idee hinlänglich erläutert zu haben, obgleich ich gern die

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/125>, abgerufen am 22.11.2024.