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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Fischmehl (manioc de peseado). Ueberall am oberen
Orinoko braten die Indianer die Fische, dörren sie an der
Sonne und stoßen sie zu Pulver, ohne die Gräten davon zu
trennen. Ich sah Quantitäten von 25 bis 30 kg dieses
Mehles, das aussieht wie Maniokmehl. Zum Essen rührt
man es mit Wasser zu einem Teige an. Unter allen Klimaten,
wo es viele Fische gibt, ist man auf dieselben Mittel zur
Aufbewahrung derselben gekommen. So beschreiben Plinius
und Diodor von Sizilien das Fischbrot der Ichthyophagen 1
am Persischen Meerbusen und am Roten Meer.

In Esmeralda, wie überall in den Missionen, leben die
Indianer, die sich nicht taufen lassen wollten und sich nur
frei der Gemeinde angeschlossen haben, in Polygamie. Die
Zahl der Weiber ist bei den verschiedenen Stämmen sehr ver-
schieden, am größten bei den Kariben und bei all den Völker-
schaften, bei denen sich die Sitte, junge Mädchen von benach-
barten Stämmen zu entführen, lange erhalten hat. Wie kann
bei einer so ungleichen Verbindung von häuslichem Glück die
Rede sein! Die Weiber leben in einer Art Sklaverei, wie
bei den meisten sehr versunkenen Völkern. Da die Männer
im Besitz der unumschränkten Gewalt sind, so wird in ihrer
Gegenwart keine Klage laut. Im Hause herrscht scheinbar
Ruhe, und die Weiber beeifern sich alle, den Wünschen eines
anspruchsvollen, übellaunigen Gebieters zuvorzukommen. Sie
pflegen ohne Unterschied ihre eigenen Kinder und die der
anderen Weiber. Die Missionäre versichern (und was sie sagen,
ist sehr glaublich), dieser innere Frieden, die Frucht gemein-
samer Furcht, werde gewaltig gestört, sobald der Mann länger
von Hause abwesend sei. Dann behandelt diejenige, mit der
sich der Mann zuerst verbunden, die anderen als Beischläferinnen
und Mägde. Der Zank nimmt kein Ende, bis der Gebieter
wieder kommt, der durch einen Laut, durch eine bloße Gebärde,
und wenn er es zweckdienlich erachtet, durch etwas schärfere
Mittel die Leidenschaften niederzuschlagen weiß. Bei den
Tamanaken ist eine gewisse Ungleichheit unter den Weibern

1 Diese Völker, die noch roher waren als die Eingeborenen
am Orinoko, dörrten geradezu die frischen Fische an der Sonne.
Bei ihnen hatte der Fischteig die Form von Backsteinen, und man
setzte zuweilen den aromatischen Samen des Paliurus (Rhamnus)
zu, gerade wie man in Deutschland und anderen nördlichen Ländern
Kümmel und Fenchel in das Brot thut.

Fiſchmehl (manioc de peseado). Ueberall am oberen
Orinoko braten die Indianer die Fiſche, dörren ſie an der
Sonne und ſtoßen ſie zu Pulver, ohne die Gräten davon zu
trennen. Ich ſah Quantitäten von 25 bis 30 kg dieſes
Mehles, das ausſieht wie Maniokmehl. Zum Eſſen rührt
man es mit Waſſer zu einem Teige an. Unter allen Klimaten,
wo es viele Fiſche gibt, iſt man auf dieſelben Mittel zur
Aufbewahrung derſelben gekommen. So beſchreiben Plinius
und Diodor von Sizilien das Fiſchbrot der Ichthyophagen 1
am Perſiſchen Meerbuſen und am Roten Meer.

In Esmeralda, wie überall in den Miſſionen, leben die
Indianer, die ſich nicht taufen laſſen wollten und ſich nur
frei der Gemeinde angeſchloſſen haben, in Polygamie. Die
Zahl der Weiber iſt bei den verſchiedenen Stämmen ſehr ver-
ſchieden, am größten bei den Kariben und bei all den Völker-
ſchaften, bei denen ſich die Sitte, junge Mädchen von benach-
barten Stämmen zu entführen, lange erhalten hat. Wie kann
bei einer ſo ungleichen Verbindung von häuslichem Glück die
Rede ſein! Die Weiber leben in einer Art Sklaverei, wie
bei den meiſten ſehr verſunkenen Völkern. Da die Männer
im Beſitz der unumſchränkten Gewalt ſind, ſo wird in ihrer
Gegenwart keine Klage laut. Im Hauſe herrſcht ſcheinbar
Ruhe, und die Weiber beeifern ſich alle, den Wünſchen eines
anſpruchsvollen, übellaunigen Gebieters zuvorzukommen. Sie
pflegen ohne Unterſchied ihre eigenen Kinder und die der
anderen Weiber. Die Miſſionäre verſichern (und was ſie ſagen,
iſt ſehr glaublich), dieſer innere Frieden, die Frucht gemein-
ſamer Furcht, werde gewaltig geſtört, ſobald der Mann länger
von Hauſe abweſend ſei. Dann behandelt diejenige, mit der
ſich der Mann zuerſt verbunden, die anderen als Beiſchläferinnen
und Mägde. Der Zank nimmt kein Ende, bis der Gebieter
wieder kommt, der durch einen Laut, durch eine bloße Gebärde,
und wenn er es zweckdienlich erachtet, durch etwas ſchärfere
Mittel die Leidenſchaften niederzuſchlagen weiß. Bei den
Tamanaken iſt eine gewiſſe Ungleichheit unter den Weibern

1 Dieſe Völker, die noch roher waren als die Eingeborenen
am Orinoko, dörrten geradezu die friſchen Fiſche an der Sonne.
Bei ihnen hatte der Fiſchteig die Form von Backſteinen, und man
ſetzte zuweilen den aromatiſchen Samen des Paliurus (Rhamnus)
zu, gerade wie man in Deutſchland und anderen nördlichen Ländern
Kümmel und Fenchel in das Brot thut.
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[77/0085] Fiſchmehl (manioc de peseado). Ueberall am oberen Orinoko braten die Indianer die Fiſche, dörren ſie an der Sonne und ſtoßen ſie zu Pulver, ohne die Gräten davon zu trennen. Ich ſah Quantitäten von 25 bis 30 kg dieſes Mehles, das ausſieht wie Maniokmehl. Zum Eſſen rührt man es mit Waſſer zu einem Teige an. Unter allen Klimaten, wo es viele Fiſche gibt, iſt man auf dieſelben Mittel zur Aufbewahrung derſelben gekommen. So beſchreiben Plinius und Diodor von Sizilien das Fiſchbrot der Ichthyophagen 1 am Perſiſchen Meerbuſen und am Roten Meer. In Esmeralda, wie überall in den Miſſionen, leben die Indianer, die ſich nicht taufen laſſen wollten und ſich nur frei der Gemeinde angeſchloſſen haben, in Polygamie. Die Zahl der Weiber iſt bei den verſchiedenen Stämmen ſehr ver- ſchieden, am größten bei den Kariben und bei all den Völker- ſchaften, bei denen ſich die Sitte, junge Mädchen von benach- barten Stämmen zu entführen, lange erhalten hat. Wie kann bei einer ſo ungleichen Verbindung von häuslichem Glück die Rede ſein! Die Weiber leben in einer Art Sklaverei, wie bei den meiſten ſehr verſunkenen Völkern. Da die Männer im Beſitz der unumſchränkten Gewalt ſind, ſo wird in ihrer Gegenwart keine Klage laut. Im Hauſe herrſcht ſcheinbar Ruhe, und die Weiber beeifern ſich alle, den Wünſchen eines anſpruchsvollen, übellaunigen Gebieters zuvorzukommen. Sie pflegen ohne Unterſchied ihre eigenen Kinder und die der anderen Weiber. Die Miſſionäre verſichern (und was ſie ſagen, iſt ſehr glaublich), dieſer innere Frieden, die Frucht gemein- ſamer Furcht, werde gewaltig geſtört, ſobald der Mann länger von Hauſe abweſend ſei. Dann behandelt diejenige, mit der ſich der Mann zuerſt verbunden, die anderen als Beiſchläferinnen und Mägde. Der Zank nimmt kein Ende, bis der Gebieter wieder kommt, der durch einen Laut, durch eine bloße Gebärde, und wenn er es zweckdienlich erachtet, durch etwas ſchärfere Mittel die Leidenſchaften niederzuſchlagen weiß. Bei den Tamanaken iſt eine gewiſſe Ungleichheit unter den Weibern 1 Dieſe Völker, die noch roher waren als die Eingeborenen am Orinoko, dörrten geradezu die friſchen Fiſche an der Sonne. Bei ihnen hatte der Fiſchteig die Form von Backſteinen, und man ſetzte zuweilen den aromatiſchen Samen des Paliurus (Rhamnus) zu, gerade wie man in Deutſchland und anderen nördlichen Ländern Kümmel und Fenchel in das Brot thut.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/85>, abgerufen am 22.11.2024.