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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Negro, und somit aus dem Becken des Amazonenstromes (ohne
seine Kanoen über einen Trageplatz schaffen zu lassen) in das
Becken des Orinoko gelangt ist.

Die Kunde dieser merkwürdigen Fahrt verbreitete sich so
rasch, daß La Condamine in einer öffentlichen Sitzung der
Akademie sieben Monate nach Pater Romans Rückkehr nach
Pararuma Mitteilung davon machen konnte. Er sagt: "Die
nunmehr beglaubigte Verbindung des Orinoko und des Ama-
zonenstromes kann um so mehr für eine geographische Ent-
deckung gelten, als zwar diese Verbindung auf den alten
Karten (nach Acundas Berichten) angegeben ist, aber von den
heutigen Geographen auf den neuen Karten, wie auf Verab-
redung, weggelassen wird. Es ist dies nicht das erste Mal,
daß etwas für fabelhaft gegolten hat, was doch vollkommen
richtig war, daß man die Kritik zu weit trieb, und daß diese
Verbindung von Leuten für schimärisch erklärt wurde, die am
besten davon hätten wissen sollen." Seit Pater Romans
Fahrt im Jahre 1744 hat in Spanisch-Guyana und an den
Küsten von Cumana und Caracas kein Mensch mehr die Exi-
stenz des Cassiquiare und die Gabelteilung des Orinoko in
Zweifel gezogen. Sogar Pater Gumilla, den Bouguer in
Cartagena de Indias getroffen hatte, gestand, daß er sich
geirrt, und kurz vor seinem Tode las er Pater Gili ein für
eine neue Ausgabe seiner Geschichte des Orinoko bestimmtes
Supplement vor, in dem er munter 1 erzählte, in welcher
Weise er enttäuscht worden. Durch Ituriagas und Solanos
Grenzexpedition wurden die geographischen Verhältnisse des
oberen Orinoko und die Verzweigung dieses Flusses mit dem
Rio Negro vollends genau bekannt. Solano ließ sich im
Jahre 1756 an der Mündung des Atabapo nieder, und von
nun an fuhren spanische und portugiesische Kommissäre mit
ihren Pirogen oft über den Cassiquiare vom unteren Orinoko
an den Rio Negro, um sich in ihren Hauptquartieren Cabruta 2

1 Lepidamente, al suo solito, sagt der Missionär Gili.
2 General Ituriaga, der zuerst in Muitaco oder Real Corona,
später in Cabruta krank lag, wurde im Jahre 1760 vom portu-
giesischen Obersten Don Gabriel de Sousa y Figueira besucht, der
von Gran-Para aus gegen 4050 km im Kanoe zurückgelegt hatte.
Der schwedische Botaniker Löfling, der dazu ausersehen war, die
Grenzexpedition auf Kosten der spanischen Regierung zu begleiten,
häufte in seiner lebhaften Phantasie die Verzweigungen der großen

Negro, und ſomit aus dem Becken des Amazonenſtromes (ohne
ſeine Kanoen über einen Trageplatz ſchaffen zu laſſen) in das
Becken des Orinoko gelangt iſt.

Die Kunde dieſer merkwürdigen Fahrt verbreitete ſich ſo
raſch, daß La Condamine in einer öffentlichen Sitzung der
Akademie ſieben Monate nach Pater Romans Rückkehr nach
Pararuma Mitteilung davon machen konnte. Er ſagt: „Die
nunmehr beglaubigte Verbindung des Orinoko und des Ama-
zonenſtromes kann um ſo mehr für eine geographiſche Ent-
deckung gelten, als zwar dieſe Verbindung auf den alten
Karten (nach Acuñas Berichten) angegeben iſt, aber von den
heutigen Geographen auf den neuen Karten, wie auf Verab-
redung, weggelaſſen wird. Es iſt dies nicht das erſte Mal,
daß etwas für fabelhaft gegolten hat, was doch vollkommen
richtig war, daß man die Kritik zu weit trieb, und daß dieſe
Verbindung von Leuten für ſchimäriſch erklärt wurde, die am
beſten davon hätten wiſſen ſollen.“ Seit Pater Romans
Fahrt im Jahre 1744 hat in Spaniſch-Guyana und an den
Küſten von Cumana und Caracas kein Menſch mehr die Exi-
ſtenz des Caſſiquiare und die Gabelteilung des Orinoko in
Zweifel gezogen. Sogar Pater Gumilla, den Bouguer in
Cartagena de Indias getroffen hatte, geſtand, daß er ſich
geirrt, und kurz vor ſeinem Tode las er Pater Gili ein für
eine neue Ausgabe ſeiner Geſchichte des Orinoko beſtimmtes
Supplement vor, in dem er munter 1 erzählte, in welcher
Weiſe er enttäuſcht worden. Durch Ituriagas und Solanos
Grenzexpedition wurden die geographiſchen Verhältniſſe des
oberen Orinoko und die Verzweigung dieſes Fluſſes mit dem
Rio Negro vollends genau bekannt. Solano ließ ſich im
Jahre 1756 an der Mündung des Atabapo nieder, und von
nun an fuhren ſpaniſche und portugieſiſche Kommiſſäre mit
ihren Pirogen oft über den Caſſiquiare vom unteren Orinoko
an den Rio Negro, um ſich in ihren Hauptquartieren Cabruta 2

1 Lepidamente, al suo solito, ſagt der Miſſionär Gili.
2 General Ituriaga, der zuerſt in Muitaco oder Real Corona,
ſpäter in Cabruta krank lag, wurde im Jahre 1760 vom portu-
gieſiſchen Oberſten Don Gabriel de Souſa y Figueira beſucht, der
von Gran-Para aus gegen 4050 km im Kanoe zurückgelegt hatte.
Der ſchwediſche Botaniker Löfling, der dazu auserſehen war, die
Grenzexpedition auf Koſten der ſpaniſchen Regierung zu begleiten,
häufte in ſeiner lebhaften Phantaſie die Verzweigungen der großen
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[48/0056] Negro, und ſomit aus dem Becken des Amazonenſtromes (ohne ſeine Kanoen über einen Trageplatz ſchaffen zu laſſen) in das Becken des Orinoko gelangt iſt. Die Kunde dieſer merkwürdigen Fahrt verbreitete ſich ſo raſch, daß La Condamine in einer öffentlichen Sitzung der Akademie ſieben Monate nach Pater Romans Rückkehr nach Pararuma Mitteilung davon machen konnte. Er ſagt: „Die nunmehr beglaubigte Verbindung des Orinoko und des Ama- zonenſtromes kann um ſo mehr für eine geographiſche Ent- deckung gelten, als zwar dieſe Verbindung auf den alten Karten (nach Acuñas Berichten) angegeben iſt, aber von den heutigen Geographen auf den neuen Karten, wie auf Verab- redung, weggelaſſen wird. Es iſt dies nicht das erſte Mal, daß etwas für fabelhaft gegolten hat, was doch vollkommen richtig war, daß man die Kritik zu weit trieb, und daß dieſe Verbindung von Leuten für ſchimäriſch erklärt wurde, die am beſten davon hätten wiſſen ſollen.“ Seit Pater Romans Fahrt im Jahre 1744 hat in Spaniſch-Guyana und an den Küſten von Cumana und Caracas kein Menſch mehr die Exi- ſtenz des Caſſiquiare und die Gabelteilung des Orinoko in Zweifel gezogen. Sogar Pater Gumilla, den Bouguer in Cartagena de Indias getroffen hatte, geſtand, daß er ſich geirrt, und kurz vor ſeinem Tode las er Pater Gili ein für eine neue Ausgabe ſeiner Geſchichte des Orinoko beſtimmtes Supplement vor, in dem er munter 1 erzählte, in welcher Weiſe er enttäuſcht worden. Durch Ituriagas und Solanos Grenzexpedition wurden die geographiſchen Verhältniſſe des oberen Orinoko und die Verzweigung dieſes Fluſſes mit dem Rio Negro vollends genau bekannt. Solano ließ ſich im Jahre 1756 an der Mündung des Atabapo nieder, und von nun an fuhren ſpaniſche und portugieſiſche Kommiſſäre mit ihren Pirogen oft über den Caſſiquiare vom unteren Orinoko an den Rio Negro, um ſich in ihren Hauptquartieren Cabruta 2 1 Lepidamente, al suo solito, ſagt der Miſſionär Gili. 2 General Ituriaga, der zuerſt in Muitaco oder Real Corona, ſpäter in Cabruta krank lag, wurde im Jahre 1760 vom portu- gieſiſchen Oberſten Don Gabriel de Souſa y Figueira beſucht, der von Gran-Para aus gegen 4050 km im Kanoe zurückgelegt hatte. Der ſchwediſche Botaniker Löfling, der dazu auserſehen war, die Grenzexpedition auf Koſten der ſpaniſchen Regierung zu begleiten, häufte in ſeiner lebhaften Phantaſie die Verzweigungen der großen

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/56>, abgerufen am 06.05.2024.