58,5 km südwärts von den Stromschnellen von Tabaje, fand ich die Breite 5° 37' 34". Da Pater Gumilla nicht weit über den Einfluß des Meta hinaufgekommen, so ist es nicht zu verwundern, daß er die Gabelteilung des Orinako nicht gekannt hat, die, den Krümmungen des Flusses nach, 540 km vom Raudal von Tabaje liegt. Dieser Missionär, der drei Jahre am unteren Orinoko gelebt hat (nicht dreißig, wie durch seine Uebersetzer in Umlauf gekommen), hätte sich darauf be- schränken sollen, zu berichten, was er bei seinen Fahrten auf dem Apure, dem Meta und Orinoko von Guyana Vieja bis in die Nähe des ersten großen Kataraktes mit eigenen Augen gesehen. Sein Werk (das erste über diese Länder vor Cau- lins und Gilis Schriften) wurde anfangs gewaltig erhoben, und später in den spanischen Kolonieen um so weiter und zu weit herabgesetzt. Allerdings begegnet man im Orinoco ilustrado nicht der genauen Kenntnis der Oertlichkeiten, der naiven Einfalt, wodurch die Berichte der Missionäre einen gewissen Reiz erhalten; der Stil ist gekünstelt und die Sucht zu übertreiben gibt sich überall kund; trotz dieser Fehler fin- den sich in Pater Gumillas Buch sehr richtige Ansichten über die Sitten und die natürlichen Anlagen der verschiedenen Völker- schaften am unteren Orinoko und in den Llanos am Casanare.
Auf seiner denkwürdigen Fahrt auf dem Amazonenstrom im Jahre 1743 hatte La Condamine zahlreiche Belege für die vom spanischen Jesuiten geleugnete Verbindung zwischen bei- den Strömen gesammelt. Als den bündigsten derselben sah er damals die nicht verdächtige Aussage einer Cauriacani- indianerin an, mit der er gesprochen und die vom Orinoko (von der Mission Pararuma) im Kanoe nach Gran-Para gelangt war. Ehe La Condamine in das Vaterland zurück- kam, setzten die Fahrt des Pater Manuel Roman und der Umstand, daß Missionäre vom Orinoko und vom Ama- zonenstrom sich zufällig begegneten, die Thatsache, die zuerst Acunda kund geworden, außer allen Zweifel.
Auf den Streifzügen zur Sklavenjagd, welche seit der Mitte des 17. Jahrhunderts unternommen wurden, waren die Portugiesen nach und nach aus dem Rio Negro über den Cassiquiare in das Bett eines großen Stromes gekommen, von dem sie nicht wußten, daß es der Orinoko sei. Ein flie- gendes Lager der Tropa de rescate1 leistete diesem un-
1 Von rescatar, loskaufen.
58,5 km ſüdwärts von den Stromſchnellen von Tabaje, fand ich die Breite 5° 37′ 34″. Da Pater Gumilla nicht weit über den Einfluß des Meta hinaufgekommen, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß er die Gabelteilung des Orinako nicht gekannt hat, die, den Krümmungen des Fluſſes nach, 540 km vom Raudal von Tabaje liegt. Dieſer Miſſionär, der drei Jahre am unteren Orinoko gelebt hat (nicht dreißig, wie durch ſeine Ueberſetzer in Umlauf gekommen), hätte ſich darauf be- ſchränken ſollen, zu berichten, was er bei ſeinen Fahrten auf dem Apure, dem Meta und Orinoko von Guyana Vieja bis in die Nähe des erſten großen Kataraktes mit eigenen Augen geſehen. Sein Werk (das erſte über dieſe Länder vor Cau- lins und Gilis Schriften) wurde anfangs gewaltig erhoben, und ſpäter in den ſpaniſchen Kolonieen um ſo weiter und zu weit herabgeſetzt. Allerdings begegnet man im Orinoco ilustrado nicht der genauen Kenntnis der Oertlichkeiten, der naiven Einfalt, wodurch die Berichte der Miſſionäre einen gewiſſen Reiz erhalten; der Stil iſt gekünſtelt und die Sucht zu übertreiben gibt ſich überall kund; trotz dieſer Fehler fin- den ſich in Pater Gumillas Buch ſehr richtige Anſichten über die Sitten und die natürlichen Anlagen der verſchiedenen Völker- ſchaften am unteren Orinoko und in den Llanos am Caſanare.
Auf ſeiner denkwürdigen Fahrt auf dem Amazonenſtrom im Jahre 1743 hatte La Condamine zahlreiche Belege für die vom ſpaniſchen Jeſuiten geleugnete Verbindung zwiſchen bei- den Strömen geſammelt. Als den bündigſten derſelben ſah er damals die nicht verdächtige Ausſage einer Cauriacani- indianerin an, mit der er geſprochen und die vom Orinoko (von der Miſſion Pararuma) im Kanoe nach Gran-Para gelangt war. Ehe La Condamine in das Vaterland zurück- kam, ſetzten die Fahrt des Pater Manuel Roman und der Umſtand, daß Miſſionäre vom Orinoko und vom Ama- zonenſtrom ſich zufällig begegneten, die Thatſache, die zuerſt Acuña kund geworden, außer allen Zweifel.
Auf den Streifzügen zur Sklavenjagd, welche ſeit der Mitte des 17. Jahrhunderts unternommen wurden, waren die Portugieſen nach und nach aus dem Rio Negro über den Caſſiquiare in das Bett eines großen Stromes gekommen, von dem ſie nicht wußten, daß es der Orinoko ſei. Ein flie- gendes Lager der Tropa de rescate1 leiſtete dieſem un-
1 Von rescatar, loskaufen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0054"n="46"/>
58,5 <hirendition="#aq">km</hi>ſüdwärts von den Stromſchnellen von Tabaje, fand<lb/>
ich die Breite 5° 37′ 34″. Da Pater Gumilla nicht weit<lb/>
über den Einfluß des Meta hinaufgekommen, ſo iſt es nicht<lb/>
zu verwundern, daß er die Gabelteilung des Orinako nicht<lb/>
gekannt hat, die, den Krümmungen des Fluſſes nach, 540 <hirendition="#aq">km</hi><lb/>
vom Raudal von Tabaje liegt. Dieſer Miſſionär, der drei<lb/>
Jahre am unteren Orinoko gelebt hat (nicht dreißig, wie durch<lb/>ſeine Ueberſetzer in Umlauf gekommen), hätte ſich darauf be-<lb/>ſchränken ſollen, zu berichten, was er bei ſeinen Fahrten auf<lb/>
dem Apure, dem Meta und Orinoko von Guyana Vieja bis<lb/>
in die Nähe des erſten großen Kataraktes mit eigenen Augen<lb/>
geſehen. Sein Werk (das erſte über dieſe Länder vor Cau-<lb/>
lins und Gilis Schriften) wurde anfangs gewaltig erhoben,<lb/>
und ſpäter in den ſpaniſchen Kolonieen um ſo weiter und zu<lb/>
weit herabgeſetzt. Allerdings begegnet man im <hirendition="#g"><hirendition="#aq">Orinoco<lb/>
ilustrado</hi></hi> nicht der genauen Kenntnis der Oertlichkeiten,<lb/>
der naiven Einfalt, wodurch die Berichte der Miſſionäre einen<lb/>
gewiſſen Reiz erhalten; der Stil iſt gekünſtelt und die Sucht<lb/>
zu übertreiben gibt ſich überall kund; trotz dieſer Fehler fin-<lb/>
den ſich in Pater Gumillas Buch ſehr richtige Anſichten über<lb/>
die Sitten und die natürlichen Anlagen der verſchiedenen Völker-<lb/>ſchaften am unteren Orinoko und in den Llanos am Caſanare.</p><lb/><p>Auf ſeiner denkwürdigen Fahrt auf dem Amazonenſtrom<lb/>
im Jahre 1743 hatte La Condamine zahlreiche Belege für die<lb/>
vom ſpaniſchen Jeſuiten geleugnete Verbindung zwiſchen bei-<lb/>
den Strömen geſammelt. Als den bündigſten derſelben ſah<lb/>
er damals die nicht verdächtige Ausſage einer Cauriacani-<lb/>
indianerin an, mit der er geſprochen und die vom Orinoko<lb/>
(von der Miſſion Pararuma) im Kanoe nach Gran-Para<lb/>
gelangt war. Ehe La Condamine in das Vaterland zurück-<lb/>
kam, ſetzten die Fahrt des Pater Manuel Roman und der<lb/>
Umſtand, daß Miſſionäre vom Orinoko und vom Ama-<lb/>
zonenſtrom ſich zufällig begegneten, die Thatſache, die zuerſt<lb/>
Acuña kund geworden, außer allen Zweifel.</p><lb/><p>Auf den Streifzügen zur Sklavenjagd, welche ſeit der<lb/>
Mitte des 17. Jahrhunderts unternommen wurden, waren die<lb/>
Portugieſen nach und nach aus dem Rio Negro über den<lb/>
Caſſiquiare in das Bett eines großen Stromes gekommen,<lb/>
von dem ſie nicht wußten, daß es der Orinoko ſei. Ein flie-<lb/>
gendes Lager der <hirendition="#aq">Tropa de rescate</hi><noteplace="foot"n="1">Von <hirendition="#aq">rescatar,</hi> loskaufen.</note> leiſtete dieſem un-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[46/0054]
58,5 km ſüdwärts von den Stromſchnellen von Tabaje, fand
ich die Breite 5° 37′ 34″. Da Pater Gumilla nicht weit
über den Einfluß des Meta hinaufgekommen, ſo iſt es nicht
zu verwundern, daß er die Gabelteilung des Orinako nicht
gekannt hat, die, den Krümmungen des Fluſſes nach, 540 km
vom Raudal von Tabaje liegt. Dieſer Miſſionär, der drei
Jahre am unteren Orinoko gelebt hat (nicht dreißig, wie durch
ſeine Ueberſetzer in Umlauf gekommen), hätte ſich darauf be-
ſchränken ſollen, zu berichten, was er bei ſeinen Fahrten auf
dem Apure, dem Meta und Orinoko von Guyana Vieja bis
in die Nähe des erſten großen Kataraktes mit eigenen Augen
geſehen. Sein Werk (das erſte über dieſe Länder vor Cau-
lins und Gilis Schriften) wurde anfangs gewaltig erhoben,
und ſpäter in den ſpaniſchen Kolonieen um ſo weiter und zu
weit herabgeſetzt. Allerdings begegnet man im Orinoco
ilustrado nicht der genauen Kenntnis der Oertlichkeiten,
der naiven Einfalt, wodurch die Berichte der Miſſionäre einen
gewiſſen Reiz erhalten; der Stil iſt gekünſtelt und die Sucht
zu übertreiben gibt ſich überall kund; trotz dieſer Fehler fin-
den ſich in Pater Gumillas Buch ſehr richtige Anſichten über
die Sitten und die natürlichen Anlagen der verſchiedenen Völker-
ſchaften am unteren Orinoko und in den Llanos am Caſanare.
Auf ſeiner denkwürdigen Fahrt auf dem Amazonenſtrom
im Jahre 1743 hatte La Condamine zahlreiche Belege für die
vom ſpaniſchen Jeſuiten geleugnete Verbindung zwiſchen bei-
den Strömen geſammelt. Als den bündigſten derſelben ſah
er damals die nicht verdächtige Ausſage einer Cauriacani-
indianerin an, mit der er geſprochen und die vom Orinoko
(von der Miſſion Pararuma) im Kanoe nach Gran-Para
gelangt war. Ehe La Condamine in das Vaterland zurück-
kam, ſetzten die Fahrt des Pater Manuel Roman und der
Umſtand, daß Miſſionäre vom Orinoko und vom Ama-
zonenſtrom ſich zufällig begegneten, die Thatſache, die zuerſt
Acuña kund geworden, außer allen Zweifel.
Auf den Streifzügen zur Sklavenjagd, welche ſeit der
Mitte des 17. Jahrhunderts unternommen wurden, waren die
Portugieſen nach und nach aus dem Rio Negro über den
Caſſiquiare in das Bett eines großen Stromes gekommen,
von dem ſie nicht wußten, daß es der Orinoko ſei. Ein flie-
gendes Lager der Tropa de rescate 1 leiſtete dieſem un-
1 Von rescatar, loskaufen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/54>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.