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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Caura zu sein scheint. In den 100 Jahren zwischen Acundas
Reise und der Entdeckung des Cassiquiare durch Pater Roman
blieb alles im Ungewissen.

Die Verzweigung des Orinoko und des Amazonenstromes
durch den Rio Negro und eine Gabelteilung des Caqueta,
die Sanson aufgebracht und die Pater Fritz und Blaeuw ver-
warfen, erschienen auf de l'Isles ersten Karten wieder; aber
gegen das Ende seines Lebens gab der berühmte Geograph
sie wieder auf. Da man sich hinsichtlich der Art und Weise
der Verbindung geirrt, war man schnell bei der Hand und
zog die Verbindung selbst in Abrede. Es ist wirklich sehr
merkwürdig, daß zur Zeit, wo die Portugiesen am häufigsten
den Amazonenstrom, den Rio Negro und den Cassiquiare
hinauffuhren, und wo Pater Gumillas Briefe (durch die
natürliche Flußverzweigung) vom unteren Orinoko nach Gran-
Para gelangten, dieser selbe Missionär sich alle Mühe gab,
in Europa die Meinung zu verbreiten, daß die Becken
des Orinoko und des Amazonenstromes völlig voneinander
geschieden seien. Er versichert, "er sei öfters ersteren Fluß
bis zum Raudal von Tabaje, unter 1° 4' der Breite, hinauf-
gefahren und habe niemals einen Fluß, den man für den
Rio Negro hätte halten können, abgehen oder hereinkommen
sehen". "Zudem," fährt er fort, "läuft eine große Kordillere 1
von Ost und West und läßt die Gewässer nicht ineinander
münden, wie sie auch alle Erörterung über die angebliche
Verbindung beider Ströme ganz überflüssig macht." Pater
Gumillas Irrtümer entspringen daher, daß er der festen Ueber-
zeugung war, auf dem Orinoko bis zum Parallel von 1° 4'
gekommen zu sein. Er irrte sich um mehr als fünf Grad
zehn Minuten in der Breite; denn in der Mission Atures,

1 Pater Caulin, der im Jahre 1759 schrieb, obgleich sein
wahrheitgetreues, sehr wertvolles Buch (Historia corografica de
la Nueva Andalusia y vertientes del Rio Orinoco
) erst 1779
erschien, bestreitet mit vielem Scharfsinn die Vorstellung, daß
eine Bergkette jede Verbindung zwischen den Becken des Orinoko
und des Amazonenstromes ausschließe. "Pater Gumillas Irrtum,"
sagt er, "besteht darin, daß er sich vorstellt, von den Grenzen
von Neugranada bis Cayenne müsse sich eine Kordillere ununter-
brochen, wie eine ungeheure Mauer fortziehen. Er beachtet nicht,
daß Bergketten häufig von tiefen (Quer-)Thälern durchschnitten
sind, während sie, aus der Ferne gesehen, sich als contiguas o
indivisas
darstellen."

Caura zu ſein ſcheint. In den 100 Jahren zwiſchen Acuñas
Reiſe und der Entdeckung des Caſſiquiare durch Pater Roman
blieb alles im Ungewiſſen.

Die Verzweigung des Orinoko und des Amazonenſtromes
durch den Rio Negro und eine Gabelteilung des Caqueta,
die Sanſon aufgebracht und die Pater Fritz und Blaeuw ver-
warfen, erſchienen auf de l’Isles erſten Karten wieder; aber
gegen das Ende ſeines Lebens gab der berühmte Geograph
ſie wieder auf. Da man ſich hinſichtlich der Art und Weiſe
der Verbindung geirrt, war man ſchnell bei der Hand und
zog die Verbindung ſelbſt in Abrede. Es iſt wirklich ſehr
merkwürdig, daß zur Zeit, wo die Portugieſen am häufigſten
den Amazonenſtrom, den Rio Negro und den Caſſiquiare
hinauffuhren, und wo Pater Gumillas Briefe (durch die
natürliche Flußverzweigung) vom unteren Orinoko nach Gran-
Para gelangten, dieſer ſelbe Miſſionär ſich alle Mühe gab,
in Europa die Meinung zu verbreiten, daß die Becken
des Orinoko und des Amazonenſtromes völlig voneinander
geſchieden ſeien. Er verſichert, „er ſei öfters erſteren Fluß
bis zum Raudal von Tabaje, unter 1° 4′ der Breite, hinauf-
gefahren und habe niemals einen Fluß, den man für den
Rio Negro hätte halten können, abgehen oder hereinkommen
ſehen“. „Zudem,“ fährt er fort, „läuft eine große Kordillere 1
von Oſt und Weſt und läßt die Gewäſſer nicht ineinander
münden, wie ſie auch alle Erörterung über die angebliche
Verbindung beider Ströme ganz überflüſſig macht.“ Pater
Gumillas Irrtümer entſpringen daher, daß er der feſten Ueber-
zeugung war, auf dem Orinoko bis zum Parallel von 1° 4′
gekommen zu ſein. Er irrte ſich um mehr als fünf Grad
zehn Minuten in der Breite; denn in der Miſſion Atures,

1 Pater Caulin, der im Jahre 1759 ſchrieb, obgleich ſein
wahrheitgetreues, ſehr wertvolles Buch (Historia corografica de
la Nueva Andalusia y vertientes del Rio Orinoco
) erſt 1779
erſchien, beſtreitet mit vielem Scharfſinn die Vorſtellung, daß
eine Bergkette jede Verbindung zwiſchen den Becken des Orinoko
und des Amazonenſtromes ausſchließe. „Pater Gumillas Irrtum,“
ſagt er, „beſteht darin, daß er ſich vorſtellt, von den Grenzen
von Neugranada bis Cayenne müſſe ſich eine Kordillere ununter-
brochen, wie eine ungeheure Mauer fortziehen. Er beachtet nicht,
daß Bergketten häufig von tiefen (Quer-)Thälern durchſchnitten
ſind, während ſie, aus der Ferne geſehen, ſich als contiguas ò
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[45/0053] Caura zu ſein ſcheint. In den 100 Jahren zwiſchen Acuñas Reiſe und der Entdeckung des Caſſiquiare durch Pater Roman blieb alles im Ungewiſſen. Die Verzweigung des Orinoko und des Amazonenſtromes durch den Rio Negro und eine Gabelteilung des Caqueta, die Sanſon aufgebracht und die Pater Fritz und Blaeuw ver- warfen, erſchienen auf de l’Isles erſten Karten wieder; aber gegen das Ende ſeines Lebens gab der berühmte Geograph ſie wieder auf. Da man ſich hinſichtlich der Art und Weiſe der Verbindung geirrt, war man ſchnell bei der Hand und zog die Verbindung ſelbſt in Abrede. Es iſt wirklich ſehr merkwürdig, daß zur Zeit, wo die Portugieſen am häufigſten den Amazonenſtrom, den Rio Negro und den Caſſiquiare hinauffuhren, und wo Pater Gumillas Briefe (durch die natürliche Flußverzweigung) vom unteren Orinoko nach Gran- Para gelangten, dieſer ſelbe Miſſionär ſich alle Mühe gab, in Europa die Meinung zu verbreiten, daß die Becken des Orinoko und des Amazonenſtromes völlig voneinander geſchieden ſeien. Er verſichert, „er ſei öfters erſteren Fluß bis zum Raudal von Tabaje, unter 1° 4′ der Breite, hinauf- gefahren und habe niemals einen Fluß, den man für den Rio Negro hätte halten können, abgehen oder hereinkommen ſehen“. „Zudem,“ fährt er fort, „läuft eine große Kordillere 1 von Oſt und Weſt und läßt die Gewäſſer nicht ineinander münden, wie ſie auch alle Erörterung über die angebliche Verbindung beider Ströme ganz überflüſſig macht.“ Pater Gumillas Irrtümer entſpringen daher, daß er der feſten Ueber- zeugung war, auf dem Orinoko bis zum Parallel von 1° 4′ gekommen zu ſein. Er irrte ſich um mehr als fünf Grad zehn Minuten in der Breite; denn in der Miſſion Atures, 1 Pater Caulin, der im Jahre 1759 ſchrieb, obgleich ſein wahrheitgetreues, ſehr wertvolles Buch (Historia corografica de la Nueva Andalusia y vertientes del Rio Orinoco) erſt 1779 erſchien, beſtreitet mit vielem Scharfſinn die Vorſtellung, daß eine Bergkette jede Verbindung zwiſchen den Becken des Orinoko und des Amazonenſtromes ausſchließe. „Pater Gumillas Irrtum,“ ſagt er, „beſteht darin, daß er ſich vorſtellt, von den Grenzen von Neugranada bis Cayenne müſſe ſich eine Kordillere ununter- brochen, wie eine ungeheure Mauer fortziehen. Er beachtet nicht, daß Bergketten häufig von tiefen (Quer-)Thälern durchſchnitten ſind, während ſie, aus der Ferne geſehen, ſich als contiguas ò indivisas darſtellen.“

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/53>, abgerufen am 22.11.2024.