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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Gabelung sich bildet, wenn ein kleiner Bodenabschnitt am Ufer
niedriger liegt als der Grund einer Seitenrinne.

Den hier auseinander gesetzten Verhältnissen zufolge bilden
sich Flußgabelungen entweder im selben Becken oder auf der
Wasserscheide zwischen zweien. Im ersteren Falle sind es ent-
weder Arme, die in den Thalwegen, von dem sie sich abgezweigt,
früher oder später wieder einmünden, oder aber Arme, die
sich mit weiter abwärts gelegenen Nebenflüssen vereinigen.
Zuweilen sind es auch Delta, 1 die sich entweder nahe der
Mündung der Flüsse ins Meer oder beim Zusammenflusse
mit einem anderen Strome bilden. Erfolgt die Gabelung an
der Grenze zweier Becken und läuft diese Grenze durch das
Bett des Hauptbehälters selbst, so stellt der sich abzweigende
Arm eine hydraulische Verbindung zwischen zwei Flußsystemen
her und verdient desto mehr unsere Aufmerksamkeit, je breiter
und schiffbarer er ist. Nun ist aber der Cassiquiare zwei-
bis dreimal breiter als die Seine beim Jardin des plantes
in Paris, und zum Beweise, wie merkwürdig dieser Fluß ist,
bemerke ich, daß eine sorgfältige Forschung nach Fällen von
Gabelteilungen im Inneren der Länder, selbst zwischen weit
weniger bedeutenden Flüssen, ihrer bis jetzt nur drei bis vier
unzweifelhaft zu Tage gefördert hat. Ich spreche nicht von
den Verzweigungen der großen indisch-chinesischen Flüsse, von
den natürlichen Kanälen, durch welche die Flüsse in Ava und
Pegu, wie in Siam und Kambodscha zusammenzuhängen schei-
nen; die Art dieser Verbindungen ist noch nicht gehörig auf-
geklärt. Ich beschränke mich darauf, einer hydraulischen Er-
scheinung zu erwähnen, welche durch Baron Hermelins schöne
Karten von Norwegen nach allen Teilen bekannt geworden ist.
In Lappland sendet der Torneofluß einen Arm (den Tärendoelf)

1 Es gibt 1) ozeanische Delta, wie an den Mündungen
des Orinoko, des Rio Magdalena, des Ganges; 2) Delta an
den Ufern von Binnenmeeren
, wie die des Oxus und
Sihon; 3) Delta von Nebenflüssen, wie an den Mün-
dungen des Apure, des Arauca und des Rio Branco. Fließen
mehrere untergeordnete Gewässer in der Nähe des Deltas von
Nebenflüssen, so wiederholt sich im Binnenlande ganz, was im
Küstenlande an den ozeanischen Delta vorgeht. Die einander zu-
nächst gelegenen Zweige teilen sich ihre Gewässer mit und bilden
ein Flußnetz, das zur Zeit der großen Ueberschwemmungen fast un-
kenntlich wird.

Gabelung ſich bildet, wenn ein kleiner Bodenabſchnitt am Ufer
niedriger liegt als der Grund einer Seitenrinne.

Den hier auseinander geſetzten Verhältniſſen zufolge bilden
ſich Flußgabelungen entweder im ſelben Becken oder auf der
Waſſerſcheide zwiſchen zweien. Im erſteren Falle ſind es ent-
weder Arme, die in den Thalwegen, von dem ſie ſich abgezweigt,
früher oder ſpäter wieder einmünden, oder aber Arme, die
ſich mit weiter abwärts gelegenen Nebenflüſſen vereinigen.
Zuweilen ſind es auch Delta, 1 die ſich entweder nahe der
Mündung der Flüſſe ins Meer oder beim Zuſammenfluſſe
mit einem anderen Strome bilden. Erfolgt die Gabelung an
der Grenze zweier Becken und läuft dieſe Grenze durch das
Bett des Hauptbehälters ſelbſt, ſo ſtellt der ſich abzweigende
Arm eine hydrauliſche Verbindung zwiſchen zwei Flußſyſtemen
her und verdient deſto mehr unſere Aufmerkſamkeit, je breiter
und ſchiffbarer er iſt. Nun iſt aber der Caſſiquiare zwei-
bis dreimal breiter als die Seine beim Jardin des plantes
in Paris, und zum Beweiſe, wie merkwürdig dieſer Fluß iſt,
bemerke ich, daß eine ſorgfältige Forſchung nach Fällen von
Gabelteilungen im Inneren der Länder, ſelbſt zwiſchen weit
weniger bedeutenden Flüſſen, ihrer bis jetzt nur drei bis vier
unzweifelhaft zu Tage gefördert hat. Ich ſpreche nicht von
den Verzweigungen der großen indiſch-chineſiſchen Flüſſe, von
den natürlichen Kanälen, durch welche die Flüſſe in Ava und
Pegu, wie in Siam und Kambodſcha zuſammenzuhängen ſchei-
nen; die Art dieſer Verbindungen iſt noch nicht gehörig auf-
geklärt. Ich beſchränke mich darauf, einer hydrauliſchen Er-
ſcheinung zu erwähnen, welche durch Baron Hermelins ſchöne
Karten von Norwegen nach allen Teilen bekannt geworden iſt.
In Lappland ſendet der Torneofluß einen Arm (den Tärendoelf)

1 Es gibt 1) ozeaniſche Delta, wie an den Mündungen
des Orinoko, des Rio Magdalena, des Ganges; 2) Delta an
den Ufern von Binnenmeeren
, wie die des Oxus und
Sihon; 3) Delta von Nebenflüſſen, wie an den Mün-
dungen des Apure, des Arauca und des Rio Branco. Fließen
mehrere untergeordnete Gewäſſer in der Nähe des Deltas von
Nebenflüſſen, ſo wiederholt ſich im Binnenlande ganz, was im
Küſtenlande an den ozeaniſchen Delta vorgeht. Die einander zu-
nächſt gelegenen Zweige teilen ſich ihre Gewäſſer mit und bilden
ein Flußnetz, das zur Zeit der großen Ueberſchwemmungen faſt un-
kenntlich wird.
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[37/0045] Gabelung ſich bildet, wenn ein kleiner Bodenabſchnitt am Ufer niedriger liegt als der Grund einer Seitenrinne. Den hier auseinander geſetzten Verhältniſſen zufolge bilden ſich Flußgabelungen entweder im ſelben Becken oder auf der Waſſerſcheide zwiſchen zweien. Im erſteren Falle ſind es ent- weder Arme, die in den Thalwegen, von dem ſie ſich abgezweigt, früher oder ſpäter wieder einmünden, oder aber Arme, die ſich mit weiter abwärts gelegenen Nebenflüſſen vereinigen. Zuweilen ſind es auch Delta, 1 die ſich entweder nahe der Mündung der Flüſſe ins Meer oder beim Zuſammenfluſſe mit einem anderen Strome bilden. Erfolgt die Gabelung an der Grenze zweier Becken und läuft dieſe Grenze durch das Bett des Hauptbehälters ſelbſt, ſo ſtellt der ſich abzweigende Arm eine hydrauliſche Verbindung zwiſchen zwei Flußſyſtemen her und verdient deſto mehr unſere Aufmerkſamkeit, je breiter und ſchiffbarer er iſt. Nun iſt aber der Caſſiquiare zwei- bis dreimal breiter als die Seine beim Jardin des plantes in Paris, und zum Beweiſe, wie merkwürdig dieſer Fluß iſt, bemerke ich, daß eine ſorgfältige Forſchung nach Fällen von Gabelteilungen im Inneren der Länder, ſelbſt zwiſchen weit weniger bedeutenden Flüſſen, ihrer bis jetzt nur drei bis vier unzweifelhaft zu Tage gefördert hat. Ich ſpreche nicht von den Verzweigungen der großen indiſch-chineſiſchen Flüſſe, von den natürlichen Kanälen, durch welche die Flüſſe in Ava und Pegu, wie in Siam und Kambodſcha zuſammenzuhängen ſchei- nen; die Art dieſer Verbindungen iſt noch nicht gehörig auf- geklärt. Ich beſchränke mich darauf, einer hydrauliſchen Er- ſcheinung zu erwähnen, welche durch Baron Hermelins ſchöne Karten von Norwegen nach allen Teilen bekannt geworden iſt. In Lappland ſendet der Torneofluß einen Arm (den Tärendoelf) 1 Es gibt 1) ozeaniſche Delta, wie an den Mündungen des Orinoko, des Rio Magdalena, des Ganges; 2) Delta an den Ufern von Binnenmeeren, wie die des Oxus und Sihon; 3) Delta von Nebenflüſſen, wie an den Mün- dungen des Apure, des Arauca und des Rio Branco. Fließen mehrere untergeordnete Gewäſſer in der Nähe des Deltas von Nebenflüſſen, ſo wiederholt ſich im Binnenlande ganz, was im Küſtenlande an den ozeaniſchen Delta vorgeht. Die einander zu- nächſt gelegenen Zweige teilen ſich ihre Gewäſſer mit und bilden ein Flußnetz, das zur Zeit der großen Ueberſchwemmungen faſt un- kenntlich wird.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/45>, abgerufen am 19.04.2024.