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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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den Fluß trifft, so kann dieser Punkt, er mag noch so nahe
am Thalwege liegen, nicht wohl demselben Becken angehören.
In anstoßenden Becken sehen wir häufig die Zuflüsse des
einen Behälters ganz nahe bei dem anderen zwischen zwei
Zuflüssen des letzteren entspringen. Infolge dieser eigentüm-
lichen Koordinationsverhältnisse zwischen den alternativen Ge-
hängen werden die Grenzen der Becken mehr oder weniger
gekrümmt. Die Längenfurche oder der Thalweg ist keines-
wegs notwendig in der Mitte des Beckens; er befindet sich
nicht einmal immer an den tiefsten Stellen, denn diese können
von Kämmen umgeben sein, so daß die Linien des stärksten
Falles nicht hinlaufen. Nach der ungleichen Länge der Zu-
flüsse an beiden Ufern eines Flusses schätzen wir ziemlich
sicher, welche Lage der Thalweg den Grenzen des Beckens
gegenüber hat. Am leichtesten erfolgt nun eine Gabelteilung,
wenn der Hauptbehälter einer dieser Grenzen nahe gerückt ist,
wenn er längs dem Kamme hinläuft, der die Wasserscheide
zwischen beiden Becken bildet. Die geringste Erniedrigung
dieses Kammes kann dann die Erscheinung herbeiführen, von
der hier die Rede ist, wenn nicht der Fluß, vermöge der
einmal angenommenen Geschwindigkeit, ganz in seinem Bette
zurückbleibt. Erfolgt aber die Gabelteilung, so läuft die
Grenze zwischen beiden Becken der Länge nach durch das Bett
des Hauptbehälters, und ein Teil des Thalweges von a ent-
hält Punkte, von denen die Linien des stärksten Falles zum
Thalwege von b weisen. Der Arm, der sich absondert, kann
nicht mehr zu a zurückkommen, denn ein Wasserfaden, der
einmal in ein Becken gelangt ist, kann diesem nicht mehr ent-
weichen, ohne durch das Bett des Flusses, der alle Gewässer
desselben vereinigt, hindurchzugehen.

Es ist nun noch zu betrachten, inwiefern die Breite eines
Flusses unter sonst gleichen Umständen die Bildung solcher
Gabelteilungen begünstigt, welche, gleich den Kanälen mit
Teilungspunkten
, infolge der natürlichen Bodenbildung
eine schiffbare Linie zwischen zwei benachbarten Strombecken
herstellen. Sondiert man einen Fluß nach dem Querdurch-
schnitt, so zeigt sich, daß ein Bett gewöhnlich aus mehreren
Rinnen von ungleicher Tiefe besteht. Je breiter der Strom
ist, desto mehr sind dieser Rinnen, sie laufen sogar große
Strecken weit mehr oder weniger einander parallel. Es folgt
hieraus, daß die meisten Flüsse betrachtet werden können als aus
dicht aneinander gerückten Kanälen bestehend, und daß eine

den Fluß trifft, ſo kann dieſer Punkt, er mag noch ſo nahe
am Thalwege liegen, nicht wohl demſelben Becken angehören.
In anſtoßenden Becken ſehen wir häufig die Zuflüſſe des
einen Behälters ganz nahe bei dem anderen zwiſchen zwei
Zuflüſſen des letzteren entſpringen. Infolge dieſer eigentüm-
lichen Koordinationsverhältniſſe zwiſchen den alternativen Ge-
hängen werden die Grenzen der Becken mehr oder weniger
gekrümmt. Die Längenfurche oder der Thalweg iſt keines-
wegs notwendig in der Mitte des Beckens; er befindet ſich
nicht einmal immer an den tiefſten Stellen, denn dieſe können
von Kämmen umgeben ſein, ſo daß die Linien des ſtärkſten
Falles nicht hinlaufen. Nach der ungleichen Länge der Zu-
flüſſe an beiden Ufern eines Fluſſes ſchätzen wir ziemlich
ſicher, welche Lage der Thalweg den Grenzen des Beckens
gegenüber hat. Am leichteſten erfolgt nun eine Gabelteilung,
wenn der Hauptbehälter einer dieſer Grenzen nahe gerückt iſt,
wenn er längs dem Kamme hinläuft, der die Waſſerſcheide
zwiſchen beiden Becken bildet. Die geringſte Erniedrigung
dieſes Kammes kann dann die Erſcheinung herbeiführen, von
der hier die Rede iſt, wenn nicht der Fluß, vermöge der
einmal angenommenen Geſchwindigkeit, ganz in ſeinem Bette
zurückbleibt. Erfolgt aber die Gabelteilung, ſo läuft die
Grenze zwiſchen beiden Becken der Länge nach durch das Bett
des Hauptbehälters, und ein Teil des Thalweges von a ent-
hält Punkte, von denen die Linien des ſtärkſten Falles zum
Thalwege von b weiſen. Der Arm, der ſich abſondert, kann
nicht mehr zu a zurückkommen, denn ein Waſſerfaden, der
einmal in ein Becken gelangt iſt, kann dieſem nicht mehr ent-
weichen, ohne durch das Bett des Fluſſes, der alle Gewäſſer
desſelben vereinigt, hindurchzugehen.

Es iſt nun noch zu betrachten, inwiefern die Breite eines
Fluſſes unter ſonſt gleichen Umſtänden die Bildung ſolcher
Gabelteilungen begünſtigt, welche, gleich den Kanälen mit
Teilungspunkten
, infolge der natürlichen Bodenbildung
eine ſchiffbare Linie zwiſchen zwei benachbarten Strombecken
herſtellen. Sondiert man einen Fluß nach dem Querdurch-
ſchnitt, ſo zeigt ſich, daß ein Bett gewöhnlich aus mehreren
Rinnen von ungleicher Tiefe beſteht. Je breiter der Strom
iſt, deſto mehr ſind dieſer Rinnen, ſie laufen ſogar große
Strecken weit mehr oder weniger einander parallel. Es folgt
hieraus, daß die meiſten Flüſſe betrachtet werden können als aus
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[36/0044] den Fluß trifft, ſo kann dieſer Punkt, er mag noch ſo nahe am Thalwege liegen, nicht wohl demſelben Becken angehören. In anſtoßenden Becken ſehen wir häufig die Zuflüſſe des einen Behälters ganz nahe bei dem anderen zwiſchen zwei Zuflüſſen des letzteren entſpringen. Infolge dieſer eigentüm- lichen Koordinationsverhältniſſe zwiſchen den alternativen Ge- hängen werden die Grenzen der Becken mehr oder weniger gekrümmt. Die Längenfurche oder der Thalweg iſt keines- wegs notwendig in der Mitte des Beckens; er befindet ſich nicht einmal immer an den tiefſten Stellen, denn dieſe können von Kämmen umgeben ſein, ſo daß die Linien des ſtärkſten Falles nicht hinlaufen. Nach der ungleichen Länge der Zu- flüſſe an beiden Ufern eines Fluſſes ſchätzen wir ziemlich ſicher, welche Lage der Thalweg den Grenzen des Beckens gegenüber hat. Am leichteſten erfolgt nun eine Gabelteilung, wenn der Hauptbehälter einer dieſer Grenzen nahe gerückt iſt, wenn er längs dem Kamme hinläuft, der die Waſſerſcheide zwiſchen beiden Becken bildet. Die geringſte Erniedrigung dieſes Kammes kann dann die Erſcheinung herbeiführen, von der hier die Rede iſt, wenn nicht der Fluß, vermöge der einmal angenommenen Geſchwindigkeit, ganz in ſeinem Bette zurückbleibt. Erfolgt aber die Gabelteilung, ſo läuft die Grenze zwiſchen beiden Becken der Länge nach durch das Bett des Hauptbehälters, und ein Teil des Thalweges von a ent- hält Punkte, von denen die Linien des ſtärkſten Falles zum Thalwege von b weiſen. Der Arm, der ſich abſondert, kann nicht mehr zu a zurückkommen, denn ein Waſſerfaden, der einmal in ein Becken gelangt iſt, kann dieſem nicht mehr ent- weichen, ohne durch das Bett des Fluſſes, der alle Gewäſſer desſelben vereinigt, hindurchzugehen. Es iſt nun noch zu betrachten, inwiefern die Breite eines Fluſſes unter ſonſt gleichen Umſtänden die Bildung ſolcher Gabelteilungen begünſtigt, welche, gleich den Kanälen mit Teilungspunkten, infolge der natürlichen Bodenbildung eine ſchiffbare Linie zwiſchen zwei benachbarten Strombecken herſtellen. Sondiert man einen Fluß nach dem Querdurch- ſchnitt, ſo zeigt ſich, daß ein Bett gewöhnlich aus mehreren Rinnen von ungleicher Tiefe beſteht. Je breiter der Strom iſt, deſto mehr ſind dieſer Rinnen, ſie laufen ſogar große Strecken weit mehr oder weniger einander parallel. Es folgt hieraus, daß die meiſten Flüſſe betrachtet werden können als aus dicht aneinander gerückten Kanälen beſtehend, und daß eine

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/44>, abgerufen am 26.04.2024.