Vorfalles nur, weil er einiges Licht auf die Kunstgriffe dieser großen Katzen mit geflecktem Fell wirft.
Am 21. Mai liefen wir 13,5 km unterhalb der Mission Esmeralda wieder in das Bett des Orinoko ein. Vor einem Monate hatten wir diesen Fluß bei der Einmündung des Guaviare verlassen. Wir hatten nun noch 1390 km nach Angostura, aber es ging den Strom abwärts, und dieser Ge- danke war geeignet, uns unsere Leiden erträglicher zu machen. Fährt man die großen Ströme hinab, so bleibt man im Thal- wege, wo es nur wenige Moskiten gibt; stromaufwärts dagegen muß man sich, um die Wirbel und Gegenströmungen zu be- nutzen, nahe am Ufer halten, wo es wegen der Nähe der Wälder und des organischen Detritus, der aufs Ufer geworfen wird, von Mücken wimmelt. 1 Der Punkt, wo die vielberufene Gabelteilung des Orinoko stattfindet, gewährt einen ungemein großartigen Anblick. Am nördlichen Ufer erheben sich hohe Granitberge; in der Ferne erkennt man unter denselben den Maraguaca und den Duida. Auf dem linken Ufer des Ori- noko, westlich und südlich von der Gabelung, sind keine Berge bis dem Einflusse des Tamatama gegenüber. Hier liegt der Fels Guaraco, der in der Regenzeit zuweilen Feuer speien soll. Da wo der Orinoko gegen Süd nicht mehr von Bergen umgeben ist und er die Oeffnung eines Thales oder vielmehr einer Senkung erreicht, welche sich nach dem Rio Negro hin- unterzieht, teilt er sich in zwei Aeste. Der Hauptast (der Rio Paragua der Indianer) setzt seinen Lauf west-nord-west- wärts um die Berggruppe der Parime herum fort; der Arm, der die Verbindung mit dem Amazonenstrome herstellt, läuft über Ebenen, die im ganzen ihr Gefäll gegen Süd haben, wobei aber die einzelnen Gehänge im Cassiquiare gegen Süd- west, im Becken des Rio Negro gegen Südost fallen. Eine scheinbar so auffallende Erscheinung, die ich an Ort und Stelle untersucht habe, verdient ganz besondere Aufmerksamkeit, um so mehr, als sie über ähnliche Fälle, die man im inneren Afrika beobachtet zu haben glaubt, einigen Aufschluß geben kann. Ich beschließe dieses Kapitel mit allgemeinen Betrach- tungen über das hydraulische System von Spanisch-Gu- yana, und versuche es, durch Anführung von Fällen auf dem alten Kontinent darzuthun, daß diese Gabelteilung, die für
1 Orellana hat auf dem Amazonenstrome dieselbe Beobachtung gemacht.
Vorfalles nur, weil er einiges Licht auf die Kunſtgriffe dieſer großen Katzen mit geflecktem Fell wirft.
Am 21. Mai liefen wir 13,5 km unterhalb der Miſſion Esmeralda wieder in das Bett des Orinoko ein. Vor einem Monate hatten wir dieſen Fluß bei der Einmündung des Guaviare verlaſſen. Wir hatten nun noch 1390 km nach Angoſtura, aber es ging den Strom abwärts, und dieſer Ge- danke war geeignet, uns unſere Leiden erträglicher zu machen. Fährt man die großen Ströme hinab, ſo bleibt man im Thal- wege, wo es nur wenige Moskiten gibt; ſtromaufwärts dagegen muß man ſich, um die Wirbel und Gegenſtrömungen zu be- nutzen, nahe am Ufer halten, wo es wegen der Nähe der Wälder und des organiſchen Detritus, der aufs Ufer geworfen wird, von Mücken wimmelt. 1 Der Punkt, wo die vielberufene Gabelteilung des Orinoko ſtattfindet, gewährt einen ungemein großartigen Anblick. Am nördlichen Ufer erheben ſich hohe Granitberge; in der Ferne erkennt man unter denſelben den Maraguaca und den Duida. Auf dem linken Ufer des Ori- noko, weſtlich und ſüdlich von der Gabelung, ſind keine Berge bis dem Einfluſſe des Tamatama gegenüber. Hier liegt der Fels Guaraco, der in der Regenzeit zuweilen Feuer ſpeien ſoll. Da wo der Orinoko gegen Süd nicht mehr von Bergen umgeben iſt und er die Oeffnung eines Thales oder vielmehr einer Senkung erreicht, welche ſich nach dem Rio Negro hin- unterzieht, teilt er ſich in zwei Aeſte. Der Hauptaſt (der Rio Paragua der Indianer) ſetzt ſeinen Lauf weſt-nord-weſt- wärts um die Berggruppe der Parime herum fort; der Arm, der die Verbindung mit dem Amazonenſtrome herſtellt, läuft über Ebenen, die im ganzen ihr Gefäll gegen Süd haben, wobei aber die einzelnen Gehänge im Caſſiquiare gegen Süd- weſt, im Becken des Rio Negro gegen Südoſt fallen. Eine ſcheinbar ſo auffallende Erſcheinung, die ich an Ort und Stelle unterſucht habe, verdient ganz beſondere Aufmerkſamkeit, um ſo mehr, als ſie über ähnliche Fälle, die man im inneren Afrika beobachtet zu haben glaubt, einigen Aufſchluß geben kann. Ich beſchließe dieſes Kapitel mit allgemeinen Betrach- tungen über das hydrauliſche Syſtem von Spaniſch-Gu- yana, und verſuche es, durch Anführung von Fällen auf dem alten Kontinent darzuthun, daß dieſe Gabelteilung, die für
1 Orellana hat auf dem Amazonenſtrome dieſelbe Beobachtung gemacht.
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Vorfalles nur, weil er einiges Licht auf die Kunſtgriffe dieſer
großen Katzen mit geflecktem Fell wirft.
Am 21. Mai liefen wir 13,5 km unterhalb der Miſſion
Esmeralda wieder in das Bett des Orinoko ein. Vor einem
Monate hatten wir dieſen Fluß bei der Einmündung des
Guaviare verlaſſen. Wir hatten nun noch 1390 km nach
Angoſtura, aber es ging den Strom abwärts, und dieſer Ge-
danke war geeignet, uns unſere Leiden erträglicher zu machen.
Fährt man die großen Ströme hinab, ſo bleibt man im Thal-
wege, wo es nur wenige Moskiten gibt; ſtromaufwärts dagegen
muß man ſich, um die Wirbel und Gegenſtrömungen zu be-
nutzen, nahe am Ufer halten, wo es wegen der Nähe der
Wälder und des organiſchen Detritus, der aufs Ufer geworfen
wird, von Mücken wimmelt. 1 Der Punkt, wo die vielberufene
Gabelteilung des Orinoko ſtattfindet, gewährt einen ungemein
großartigen Anblick. Am nördlichen Ufer erheben ſich hohe
Granitberge; in der Ferne erkennt man unter denſelben den
Maraguaca und den Duida. Auf dem linken Ufer des Ori-
noko, weſtlich und ſüdlich von der Gabelung, ſind keine Berge
bis dem Einfluſſe des Tamatama gegenüber. Hier liegt der
Fels Guaraco, der in der Regenzeit zuweilen Feuer ſpeien
ſoll. Da wo der Orinoko gegen Süd nicht mehr von Bergen
umgeben iſt und er die Oeffnung eines Thales oder vielmehr
einer Senkung erreicht, welche ſich nach dem Rio Negro hin-
unterzieht, teilt er ſich in zwei Aeſte. Der Hauptaſt (der
Rio Paragua der Indianer) ſetzt ſeinen Lauf weſt-nord-weſt-
wärts um die Berggruppe der Parime herum fort; der Arm,
der die Verbindung mit dem Amazonenſtrome herſtellt, läuft
über Ebenen, die im ganzen ihr Gefäll gegen Süd haben,
wobei aber die einzelnen Gehänge im Caſſiquiare gegen Süd-
weſt, im Becken des Rio Negro gegen Südoſt fallen. Eine
ſcheinbar ſo auffallende Erſcheinung, die ich an Ort und Stelle
unterſucht habe, verdient ganz beſondere Aufmerkſamkeit, um
ſo mehr, als ſie über ähnliche Fälle, die man im inneren
Afrika beobachtet zu haben glaubt, einigen Aufſchluß geben
kann. Ich beſchließe dieſes Kapitel mit allgemeinen Betrach-
tungen über das hydrauliſche Syſtem von Spaniſch-Gu-
yana, und verſuche es, durch Anführung von Fällen auf dem
alten Kontinent darzuthun, daß dieſe Gabelteilung, die für
1 Orellana hat auf dem Amazonenſtrome dieſelbe Beobachtung
gemacht.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/37>, abgerufen am 27.07.2024.
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