wir Kapuzineraffen, 1 kenntlich am schwarzen Barte und der trübseligen scheuen Miene, langsam auf den horizontalen Aesten einer Genipa hin und her gehen sahen. Die fünf folgenden Nächte wurden immer beschwerlicher, je näher wir der Gabel- teilung des Orinoko kamen. Die Ueppigkeit des Pflanzen- wuchses steigerte sich in einem Grade, von dem man sich keinen Begriff macht, selbst wenn man mit dem Anblick der tropi- schen Wälder vertraut ist. Ein Gelände ist gar nicht mehr vorhanden; ein Pfahlwerk aus dichtbelaubten Bäumen bildet das Flußufer. Man hat einen 390 m breiten Kanal vor sich, den zwei ungeheure, mit Laub und Lianen bedeckte Wände einfassen. Wir versuchten öfters zu landen, konnten aber nicht aus dem Kanoe kommen. Gegen Sonnenuntergang fuhren wir zuweilen eine Stunde lang am Ufer hin, um, nicht eine Lichtung (dergleichen gibt es gar nicht), sondern nur einen weniger dicht bewachsenen Fleck zu entdecken, wo unsere In- dianer mit der Axt so weit aufräumen konnten, um für 12 bis 13 Personen ein Lager aufzuschlagen. In der Piroge konnten wir die Nacht nicht zubringen. Die Moskiten, die uns den Tag über plagten, setzten sich haufenweise unter den Toldo, d. h. unter das Dach aus Palmblättern, das uns vor dem Regen schützte. Nie waren uns Hände und Gesicht so stark geschwollen gewesen. Pater Zea, der sich bis dahin immer gerühmt, er habe in seinen Missionen an den Katarakten die größten und wildesten (las mas feroces) Mos- kiten, gab nach und nach zu, nie haben ihn die Insektenstiche ärger geschmerzt als hier am Cassiquiare. Mitten im dicken Walde konnten wir uns nur mit schwerer Mühe Brennholz verschaffen; denn in diesen Ländern am Aequator, wo es be- ständig regnet, sind die Baumzweige so saftreich, daß sie fast gar nicht brennen. Wo es keine trockenen Ufer gibt, findet man auch so gut wie kein altes Holz, das, wie die Indianer sagen, an der Sonne gekocht ist. Feuer bedurften wir übrigens nur als Schutzwehr gegen die Tiere des Waldes; unser Vorrat an Lebensmitteln war so gering, daß wir zur Zubereitung der Speisen des Feuers ziemlich hätten entbehren können.
Am 18. Mai gegen Abend kamen wir an einen Ort, wo wilde Kakaobäume das Ufer säumen. Die Bohne derselben ist klein und bitter; die Indianer in den Wäldern saugen
1Simia chiropotes, eine neue Art.
wir Kapuzineraffen, 1 kenntlich am ſchwarzen Barte und der trübſeligen ſcheuen Miene, langſam auf den horizontalen Aeſten einer Genipa hin und her gehen ſahen. Die fünf folgenden Nächte wurden immer beſchwerlicher, je näher wir der Gabel- teilung des Orinoko kamen. Die Ueppigkeit des Pflanzen- wuchſes ſteigerte ſich in einem Grade, von dem man ſich keinen Begriff macht, ſelbſt wenn man mit dem Anblick der tropi- ſchen Wälder vertraut iſt. Ein Gelände iſt gar nicht mehr vorhanden; ein Pfahlwerk aus dichtbelaubten Bäumen bildet das Flußufer. Man hat einen 390 m breiten Kanal vor ſich, den zwei ungeheure, mit Laub und Lianen bedeckte Wände einfaſſen. Wir verſuchten öfters zu landen, konnten aber nicht aus dem Kanoe kommen. Gegen Sonnenuntergang fuhren wir zuweilen eine Stunde lang am Ufer hin, um, nicht eine Lichtung (dergleichen gibt es gar nicht), ſondern nur einen weniger dicht bewachſenen Fleck zu entdecken, wo unſere In- dianer mit der Axt ſo weit aufräumen konnten, um für 12 bis 13 Perſonen ein Lager aufzuſchlagen. In der Piroge konnten wir die Nacht nicht zubringen. Die Moskiten, die uns den Tag über plagten, ſetzten ſich haufenweiſe unter den Toldo, d. h. unter das Dach aus Palmblättern, das uns vor dem Regen ſchützte. Nie waren uns Hände und Geſicht ſo ſtark geſchwollen geweſen. Pater Zea, der ſich bis dahin immer gerühmt, er habe in ſeinen Miſſionen an den Katarakten die größten und wildeſten (las mas feroces) Mos- kiten, gab nach und nach zu, nie haben ihn die Inſektenſtiche ärger geſchmerzt als hier am Caſſiquiare. Mitten im dicken Walde konnten wir uns nur mit ſchwerer Mühe Brennholz verſchaffen; denn in dieſen Ländern am Aequator, wo es be- ſtändig regnet, ſind die Baumzweige ſo ſaftreich, daß ſie faſt gar nicht brennen. Wo es keine trockenen Ufer gibt, findet man auch ſo gut wie kein altes Holz, das, wie die Indianer ſagen, an der Sonne gekocht iſt. Feuer bedurften wir übrigens nur als Schutzwehr gegen die Tiere des Waldes; unſer Vorrat an Lebensmitteln war ſo gering, daß wir zur Zubereitung der Speiſen des Feuers ziemlich hätten entbehren können.
Am 18. Mai gegen Abend kamen wir an einen Ort, wo wilde Kakaobäume das Ufer ſäumen. Die Bohne derſelben iſt klein und bitter; die Indianer in den Wäldern ſaugen
1Simia chiropotes, eine neue Art.
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wir Kapuzineraffen, 1 kenntlich am ſchwarzen Barte und der
trübſeligen ſcheuen Miene, langſam auf den horizontalen Aeſten
einer Genipa hin und her gehen ſahen. Die fünf folgenden
Nächte wurden immer beſchwerlicher, je näher wir der Gabel-
teilung des Orinoko kamen. Die Ueppigkeit des Pflanzen-
wuchſes ſteigerte ſich in einem Grade, von dem man ſich keinen
Begriff macht, ſelbſt wenn man mit dem Anblick der tropi-
ſchen Wälder vertraut iſt. Ein Gelände iſt gar nicht mehr
vorhanden; ein Pfahlwerk aus dichtbelaubten Bäumen bildet
das Flußufer. Man hat einen 390 m breiten Kanal vor ſich,
den zwei ungeheure, mit Laub und Lianen bedeckte Wände
einfaſſen. Wir verſuchten öfters zu landen, konnten aber nicht
aus dem Kanoe kommen. Gegen Sonnenuntergang fuhren
wir zuweilen eine Stunde lang am Ufer hin, um, nicht eine
Lichtung (dergleichen gibt es gar nicht), ſondern nur einen
weniger dicht bewachſenen Fleck zu entdecken, wo unſere In-
dianer mit der Axt ſo weit aufräumen konnten, um für
12 bis 13 Perſonen ein Lager aufzuſchlagen. In der Piroge
konnten wir die Nacht nicht zubringen. Die Moskiten, die
uns den Tag über plagten, ſetzten ſich haufenweiſe unter
den Toldo, d. h. unter das Dach aus Palmblättern, das
uns vor dem Regen ſchützte. Nie waren uns Hände und
Geſicht ſo ſtark geſchwollen geweſen. Pater Zea, der ſich bis
dahin immer gerühmt, er habe in ſeinen Miſſionen an den
Katarakten die größten und wildeſten (las mas feroces) Mos-
kiten, gab nach und nach zu, nie haben ihn die Inſektenſtiche
ärger geſchmerzt als hier am Caſſiquiare. Mitten im dicken
Walde konnten wir uns nur mit ſchwerer Mühe Brennholz
verſchaffen; denn in dieſen Ländern am Aequator, wo es be-
ſtändig regnet, ſind die Baumzweige ſo ſaftreich, daß ſie faſt
gar nicht brennen. Wo es keine trockenen Ufer gibt, findet
man auch ſo gut wie kein altes Holz, das, wie die Indianer
ſagen, an der Sonne gekocht iſt. Feuer bedurften wir
übrigens nur als Schutzwehr gegen die Tiere des Waldes;
unſer Vorrat an Lebensmitteln war ſo gering, daß wir zur
Zubereitung der Speiſen des Feuers ziemlich hätten entbehren
können.
Am 18. Mai gegen Abend kamen wir an einen Ort, wo
wilde Kakaobäume das Ufer ſäumen. Die Bohne derſelben
iſt klein und bitter; die Indianer in den Wäldern ſaugen
1 Simia chiropotes, eine neue Art.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/33>, abgerufen am 27.07.2024.
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