züglich zu den Indianern zu verfügen, die ohne Seelen- hirten seien." Und seit länger als fünfzehn Jahren gab es kein Dorf Padamo mehr und die Indianer waren al monte gelaufen.
Vom 14. bis 21. Mai brachten wir die Nacht immer unter freiem Himmel zu, ich kann aber die Orte, wo wir unser Nachtlager aufschlugen, nicht angeben. Dieser Landstrich ist so wild und so wenig von Menschen betreten, daß die Indianer, ein paar Flüsse ausgenommen, keinen der Punkte, die ich mit dem Kompaß aufnahm, mit Namen zu nennen wußten. Einen ganzen Grad weit konnte ich durch keine Sternbeobachtung die Breite bestimmen. Oberhalb des Punktes, wo der Itinivini vom Cassiquiare abgeht und westwärts den Granithügeln von Daripabo zuläuft, sahen wir die sumpfigen Ufer des Stromes mit Bamburohr bewachsen. Diese baum- artigen Gräser werden 6,5 m hoch; ihr Halm ist gegen die Spitze immer umgebogen. Es ist eine neue Art Bambusa mit sehr breiten Blättern. Bonpland war so glücklich, ein blühendes Exemplar zu finden. Ich erwähne dieses Um- standes, weil die Gattungen Nastus und Bambusa bis jetzt sehr schlecht auseinander gehalten waren, und man in der Neuen Welt diese gewaltigen Gräser ungemein selten blühend antrifft. Mutis botanisierte zwanzig Jahre in einem Lande, wo die Bambusa Guadua mehrere Meilen breite sumpfige Wälder bildet, und war nie im stande, einer Blüte habhaft zu werden. Wir schickten diesem Gelehrten die ersten Bam- busaähren aus den gemäßigten Thälern von Popayan. Wie kommt es, daß sich die Befruchtungsorgane so selten bei einer Pflanze entwickeln, die im Lande zu Hause ist und vom Meeresspiegel bis in 1750 m Höhe äußerst kräftig wächst, also in eine subalpinische Region hinaufreicht, wo unter den Tropen das Klima dem des mittägigen Spaniens gleicht? Die Bambusa latifolia scheint den Becken des oberen Orinoko, des Cassiquiare und des Amazonenstromes eigentümlich zu sein; es ist ein geselliges Gewächs, wie alle Gräser aus der Familie der Nastoiden; aber in dem Striche von Spanisch- Guyana, durch den wir gekommen, tritt sie nicht in den ge- waltigen Massen auf, welche die Hispanoamerikaner Gua- duales oder Bambuwälder nennen.
Unser erstes Nachtlager oberhalb Vasiva war bald auf- geschlagen. Wir trafen einen kleinen trockenen, von Büschen freien Fleck südlich vom Canno Curamuni, an einem Orte, wo
züglich zu den Indianern zu verfügen, die ohne Seelen- hirten ſeien.“ Und ſeit länger als fünfzehn Jahren gab es kein Dorf Padamo mehr und die Indianer waren al monte gelaufen.
Vom 14. bis 21. Mai brachten wir die Nacht immer unter freiem Himmel zu, ich kann aber die Orte, wo wir unſer Nachtlager aufſchlugen, nicht angeben. Dieſer Landſtrich iſt ſo wild und ſo wenig von Menſchen betreten, daß die Indianer, ein paar Flüſſe ausgenommen, keinen der Punkte, die ich mit dem Kompaß aufnahm, mit Namen zu nennen wußten. Einen ganzen Grad weit konnte ich durch keine Sternbeobachtung die Breite beſtimmen. Oberhalb des Punktes, wo der Itinivini vom Caſſiquiare abgeht und weſtwärts den Granithügeln von Daripabo zuläuft, ſahen wir die ſumpfigen Ufer des Stromes mit Bamburohr bewachſen. Dieſe baum- artigen Gräſer werden 6,5 m hoch; ihr Halm iſt gegen die Spitze immer umgebogen. Es iſt eine neue Art Bambuſa mit ſehr breiten Blättern. Bonpland war ſo glücklich, ein blühendes Exemplar zu finden. Ich erwähne dieſes Um- ſtandes, weil die Gattungen Naſtus und Bambuſa bis jetzt ſehr ſchlecht auseinander gehalten waren, und man in der Neuen Welt dieſe gewaltigen Gräſer ungemein ſelten blühend antrifft. Mutis botaniſierte zwanzig Jahre in einem Lande, wo die Bambusa Guadua mehrere Meilen breite ſumpfige Wälder bildet, und war nie im ſtande, einer Blüte habhaft zu werden. Wir ſchickten dieſem Gelehrten die erſten Bam- buſaähren aus den gemäßigten Thälern von Popayan. Wie kommt es, daß ſich die Befruchtungsorgane ſo ſelten bei einer Pflanze entwickeln, die im Lande zu Hauſe iſt und vom Meeresſpiegel bis in 1750 m Höhe äußerſt kräftig wächſt, alſo in eine ſubalpiniſche Region hinaufreicht, wo unter den Tropen das Klima dem des mittägigen Spaniens gleicht? Die Bambusa latifolia ſcheint den Becken des oberen Orinoko, des Caſſiquiare und des Amazonenſtromes eigentümlich zu ſein; es iſt ein geſelliges Gewächs, wie alle Gräſer aus der Familie der Naſtoiden; aber in dem Striche von Spaniſch- Guyana, durch den wir gekommen, tritt ſie nicht in den ge- waltigen Maſſen auf, welche die Hiſpanoamerikaner Gua- duales oder Bambuwälder nennen.
Unſer erſtes Nachtlager oberhalb Vaſiva war bald auf- geſchlagen. Wir trafen einen kleinen trockenen, von Büſchen freien Fleck ſüdlich vom Caño Curamuni, an einem Orte, wo
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züglich zu den Indianern zu verfügen, die ohne Seelen-
hirten ſeien.“ Und ſeit länger als fünfzehn Jahren gab es
kein Dorf Padamo mehr und die Indianer waren al monte
gelaufen.
Vom 14. bis 21. Mai brachten wir die Nacht immer
unter freiem Himmel zu, ich kann aber die Orte, wo wir
unſer Nachtlager aufſchlugen, nicht angeben. Dieſer Landſtrich
iſt ſo wild und ſo wenig von Menſchen betreten, daß die
Indianer, ein paar Flüſſe ausgenommen, keinen der Punkte,
die ich mit dem Kompaß aufnahm, mit Namen zu nennen
wußten. Einen ganzen Grad weit konnte ich durch keine
Sternbeobachtung die Breite beſtimmen. Oberhalb des Punktes,
wo der Itinivini vom Caſſiquiare abgeht und weſtwärts den
Granithügeln von Daripabo zuläuft, ſahen wir die ſumpfigen
Ufer des Stromes mit Bamburohr bewachſen. Dieſe baum-
artigen Gräſer werden 6,5 m hoch; ihr Halm iſt gegen die
Spitze immer umgebogen. Es iſt eine neue Art Bambuſa
mit ſehr breiten Blättern. Bonpland war ſo glücklich, ein
blühendes Exemplar zu finden. Ich erwähne dieſes Um-
ſtandes, weil die Gattungen Naſtus und Bambuſa bis jetzt
ſehr ſchlecht auseinander gehalten waren, und man in der
Neuen Welt dieſe gewaltigen Gräſer ungemein ſelten blühend
antrifft. Mutis botaniſierte zwanzig Jahre in einem Lande,
wo die Bambusa Guadua mehrere Meilen breite ſumpfige
Wälder bildet, und war nie im ſtande, einer Blüte habhaft
zu werden. Wir ſchickten dieſem Gelehrten die erſten Bam-
buſaähren aus den gemäßigten Thälern von Popayan. Wie
kommt es, daß ſich die Befruchtungsorgane ſo ſelten bei einer
Pflanze entwickeln, die im Lande zu Hauſe iſt und vom
Meeresſpiegel bis in 1750 m Höhe äußerſt kräftig wächſt,
alſo in eine ſubalpiniſche Region hinaufreicht, wo unter den
Tropen das Klima dem des mittägigen Spaniens gleicht?
Die Bambusa latifolia ſcheint den Becken des oberen Orinoko,
des Caſſiquiare und des Amazonenſtromes eigentümlich zu
ſein; es iſt ein geſelliges Gewächs, wie alle Gräſer aus der
Familie der Naſtoiden; aber in dem Striche von Spaniſch-
Guyana, durch den wir gekommen, tritt ſie nicht in den ge-
waltigen Maſſen auf, welche die Hiſpanoamerikaner Gua-
duales oder Bambuwälder nennen.
Unſer erſtes Nachtlager oberhalb Vaſiva war bald auf-
geſchlagen. Wir trafen einen kleinen trockenen, von Büſchen
freien Fleck ſüdlich vom Caño Curamuni, an einem Orte, wo
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/32>, abgerufen am 27.07.2024.
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