das Mark aus und werfen die Bohnen weg, und diese wer- den von den Indianern in den Missionen aufgelesen und an solche verkauft, die es bei der Bereitung ihrer Schokolade nicht genau nehmen. "Hier ist der Puerto del Cacao," sagte der Steuermann, "hier übernachten los padres, wenn sie nach Esmeralda fahren, um Blaseröhren und Juvia (die wohlschmeckenden Mandeln der Bertholletia) zu kaufen." Indessen befahren im Jahre nicht fünf Kanoen den Cassi- quiare, und seit Maypures, also seit einem Monate, war uns auf den Flüssen, die wir hinauffuhren, keine Seele begegnet, außer in der nächsten Nähe der Missionen. Süd- wärts vom See Duractumini übernachteten wir in einem Palmenwalde. Der Regen goß in Strömen herab; aber die Pothos, die Arum und die Schlinggewächse bildeten eine natürliche, so dichte Laube, daß wir darunter Schutz fanden wie unter dichtbelaubten Bäumen. Die Indianer, die am Ufer lagen, hatten Helikonien und Musaceen ineinander ver- schlungen und damit über ihren Hängematten eine Art Dach gebildet. Unsere Feuer beleuchteten auf 16 bis 20 m Höhe die Palmstämme, die mit Blüten bedeckten Schlinggewächse und die weißlichten Rauchsäulen, die gerade gen Himmel stiegen; ein prachtvoller Anblick, aber um desselben mit Ruhe zu ge- nießen, hätte man eine Luft atmen müssen, die nicht von In- sekten wimmelte.
Unter allen körperlichen Leiden wirken diejenigen am niederschlagendsten, die in ihrer Dauer immer dieselben sind, und gegen die es kein Mittel gibt als Geduld. Die Aus- dünstungen in den Wäldern am Cassiquiare haben wahrschein- lich bei Bonpland den Keim zu der schweren Krankheit gelegt, der er bei unserer Ankunft in Angostura beinahe erlegen wäre. Zu unserem Glück ahnte er so wenig als ich die Gefahr, die ihm drohte. Der Anblick des Flusses und das Summen der Moskiten kamen uns allerdings etwas einförmig vor; aber unser natürlicher Frohsinn war nicht ganz gebrochen und half uns über die lange Oede weg. Wir machten die Bemerkung, daß wir uns den Hunger auf mehrere Stunden vertrieben, wenn wir etwas trockenen geriebenen Kakao ohne Zucker aßen. Die Ameisen und die Moskiten machten uns mehr zu schaffen als die Nässe und der Mangel an Nahrung. So großen Entbehrungen wir auch auf unseren Zügen in den Kordilleren ausgesetzt gewesen, die Flußfahrt von Mandavaca nach Es- meralda erschien uns immer als das beschwerdereichste Stück
das Mark aus und werfen die Bohnen weg, und dieſe wer- den von den Indianern in den Miſſionen aufgeleſen und an ſolche verkauft, die es bei der Bereitung ihrer Schokolade nicht genau nehmen. „Hier iſt der Puerto del Cacao,“ ſagte der Steuermann, „hier übernachten los padres, wenn ſie nach Esmeralda fahren, um Blaſeröhren und Juvia (die wohlſchmeckenden Mandeln der Bertholletia) zu kaufen.“ Indeſſen befahren im Jahre nicht fünf Kanoen den Caſſi- quiare, und ſeit Maypures, alſo ſeit einem Monate, war uns auf den Flüſſen, die wir hinauffuhren, keine Seele begegnet, außer in der nächſten Nähe der Miſſionen. Süd- wärts vom See Duractumini übernachteten wir in einem Palmenwalde. Der Regen goß in Strömen herab; aber die Pothos, die Arum und die Schlinggewächſe bildeten eine natürliche, ſo dichte Laube, daß wir darunter Schutz fanden wie unter dichtbelaubten Bäumen. Die Indianer, die am Ufer lagen, hatten Helikonien und Muſaceen ineinander ver- ſchlungen und damit über ihren Hängematten eine Art Dach gebildet. Unſere Feuer beleuchteten auf 16 bis 20 m Höhe die Palmſtämme, die mit Blüten bedeckten Schlinggewächſe und die weißlichten Rauchſäulen, die gerade gen Himmel ſtiegen; ein prachtvoller Anblick, aber um desſelben mit Ruhe zu ge- nießen, hätte man eine Luft atmen müſſen, die nicht von In- ſekten wimmelte.
Unter allen körperlichen Leiden wirken diejenigen am niederſchlagendſten, die in ihrer Dauer immer dieſelben ſind, und gegen die es kein Mittel gibt als Geduld. Die Aus- dünſtungen in den Wäldern am Caſſiquiare haben wahrſchein- lich bei Bonpland den Keim zu der ſchweren Krankheit gelegt, der er bei unſerer Ankunft in Angoſtura beinahe erlegen wäre. Zu unſerem Glück ahnte er ſo wenig als ich die Gefahr, die ihm drohte. Der Anblick des Fluſſes und das Summen der Moskiten kamen uns allerdings etwas einförmig vor; aber unſer natürlicher Frohſinn war nicht ganz gebrochen und half uns über die lange Oede weg. Wir machten die Bemerkung, daß wir uns den Hunger auf mehrere Stunden vertrieben, wenn wir etwas trockenen geriebenen Kakao ohne Zucker aßen. Die Ameiſen und die Moskiten machten uns mehr zu ſchaffen als die Näſſe und der Mangel an Nahrung. So großen Entbehrungen wir auch auf unſeren Zügen in den Kordilleren ausgeſetzt geweſen, die Flußfahrt von Mandavaca nach Es- meralda erſchien uns immer als das beſchwerdereichſte Stück
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das Mark aus und werfen die Bohnen weg, und dieſe wer-
den von den Indianern in den Miſſionen aufgeleſen und
an ſolche verkauft, die es bei der Bereitung ihrer Schokolade
nicht genau nehmen. „Hier iſt der Puerto del Cacao,“
ſagte der Steuermann, „hier übernachten los padres, wenn
ſie nach Esmeralda fahren, um Blaſeröhren und Juvia
(die wohlſchmeckenden Mandeln der Bertholletia) zu kaufen.“
Indeſſen befahren im Jahre nicht fünf Kanoen den Caſſi-
quiare, und ſeit Maypures, alſo ſeit einem Monate, war
uns auf den Flüſſen, die wir hinauffuhren, keine Seele
begegnet, außer in der nächſten Nähe der Miſſionen. Süd-
wärts vom See Duractumini übernachteten wir in einem
Palmenwalde. Der Regen goß in Strömen herab; aber die
Pothos, die Arum und die Schlinggewächſe bildeten eine
natürliche, ſo dichte Laube, daß wir darunter Schutz fanden
wie unter dichtbelaubten Bäumen. Die Indianer, die am
Ufer lagen, hatten Helikonien und Muſaceen ineinander ver-
ſchlungen und damit über ihren Hängematten eine Art Dach
gebildet. Unſere Feuer beleuchteten auf 16 bis 20 m Höhe die
Palmſtämme, die mit Blüten bedeckten Schlinggewächſe und
die weißlichten Rauchſäulen, die gerade gen Himmel ſtiegen;
ein prachtvoller Anblick, aber um desſelben mit Ruhe zu ge-
nießen, hätte man eine Luft atmen müſſen, die nicht von In-
ſekten wimmelte.
Unter allen körperlichen Leiden wirken diejenigen am
niederſchlagendſten, die in ihrer Dauer immer dieſelben ſind,
und gegen die es kein Mittel gibt als Geduld. Die Aus-
dünſtungen in den Wäldern am Caſſiquiare haben wahrſchein-
lich bei Bonpland den Keim zu der ſchweren Krankheit gelegt,
der er bei unſerer Ankunft in Angoſtura beinahe erlegen wäre.
Zu unſerem Glück ahnte er ſo wenig als ich die Gefahr, die
ihm drohte. Der Anblick des Fluſſes und das Summen der
Moskiten kamen uns allerdings etwas einförmig vor; aber
unſer natürlicher Frohſinn war nicht ganz gebrochen und half
uns über die lange Oede weg. Wir machten die Bemerkung,
daß wir uns den Hunger auf mehrere Stunden vertrieben,
wenn wir etwas trockenen geriebenen Kakao ohne Zucker aßen.
Die Ameiſen und die Moskiten machten uns mehr zu ſchaffen
als die Näſſe und der Mangel an Nahrung. So großen
Entbehrungen wir auch auf unſeren Zügen in den Kordilleren
ausgeſetzt geweſen, die Flußfahrt von Mandavaca nach Es-
meralda erſchien uns immer als das beſchwerdereichſte Stück
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/34>, abgerufen am 27.07.2024.
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