Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

das Mark aus und werfen die Bohnen weg, und diese wer-
den von den Indianern in den Missionen aufgelesen und
an solche verkauft, die es bei der Bereitung ihrer Schokolade
nicht genau nehmen. "Hier ist der Puerto del Cacao,"
sagte der Steuermann, "hier übernachten los padres, wenn
sie nach Esmeralda fahren, um Blaseröhren und Juvia
(die wohlschmeckenden Mandeln der Bertholletia) zu kaufen."
Indessen befahren im Jahre nicht fünf Kanoen den Cassi-
quiare, und seit Maypures, also seit einem Monate, war
uns auf den Flüssen, die wir hinauffuhren, keine Seele
begegnet, außer in der nächsten Nähe der Missionen. Süd-
wärts vom See Duractumini übernachteten wir in einem
Palmenwalde. Der Regen goß in Strömen herab; aber die
Pothos, die Arum und die Schlinggewächse bildeten eine
natürliche, so dichte Laube, daß wir darunter Schutz fanden
wie unter dichtbelaubten Bäumen. Die Indianer, die am
Ufer lagen, hatten Helikonien und Musaceen ineinander ver-
schlungen und damit über ihren Hängematten eine Art Dach
gebildet. Unsere Feuer beleuchteten auf 16 bis 20 m Höhe die
Palmstämme, die mit Blüten bedeckten Schlinggewächse und
die weißlichten Rauchsäulen, die gerade gen Himmel stiegen;
ein prachtvoller Anblick, aber um desselben mit Ruhe zu ge-
nießen, hätte man eine Luft atmen müssen, die nicht von In-
sekten wimmelte.

Unter allen körperlichen Leiden wirken diejenigen am
niederschlagendsten, die in ihrer Dauer immer dieselben sind,
und gegen die es kein Mittel gibt als Geduld. Die Aus-
dünstungen in den Wäldern am Cassiquiare haben wahrschein-
lich bei Bonpland den Keim zu der schweren Krankheit gelegt,
der er bei unserer Ankunft in Angostura beinahe erlegen wäre.
Zu unserem Glück ahnte er so wenig als ich die Gefahr, die
ihm drohte. Der Anblick des Flusses und das Summen der
Moskiten kamen uns allerdings etwas einförmig vor; aber
unser natürlicher Frohsinn war nicht ganz gebrochen und half
uns über die lange Oede weg. Wir machten die Bemerkung,
daß wir uns den Hunger auf mehrere Stunden vertrieben,
wenn wir etwas trockenen geriebenen Kakao ohne Zucker aßen.
Die Ameisen und die Moskiten machten uns mehr zu schaffen
als die Nässe und der Mangel an Nahrung. So großen
Entbehrungen wir auch auf unseren Zügen in den Kordilleren
ausgesetzt gewesen, die Flußfahrt von Mandavaca nach Es-
meralda erschien uns immer als das beschwerdereichste Stück

das Mark aus und werfen die Bohnen weg, und dieſe wer-
den von den Indianern in den Miſſionen aufgeleſen und
an ſolche verkauft, die es bei der Bereitung ihrer Schokolade
nicht genau nehmen. „Hier iſt der Puerto del Cacao,“
ſagte der Steuermann, „hier übernachten los padres, wenn
ſie nach Esmeralda fahren, um Blaſeröhren und Juvia
(die wohlſchmeckenden Mandeln der Bertholletia) zu kaufen.“
Indeſſen befahren im Jahre nicht fünf Kanoen den Caſſi-
quiare, und ſeit Maypures, alſo ſeit einem Monate, war
uns auf den Flüſſen, die wir hinauffuhren, keine Seele
begegnet, außer in der nächſten Nähe der Miſſionen. Süd-
wärts vom See Duractumini übernachteten wir in einem
Palmenwalde. Der Regen goß in Strömen herab; aber die
Pothos, die Arum und die Schlinggewächſe bildeten eine
natürliche, ſo dichte Laube, daß wir darunter Schutz fanden
wie unter dichtbelaubten Bäumen. Die Indianer, die am
Ufer lagen, hatten Helikonien und Muſaceen ineinander ver-
ſchlungen und damit über ihren Hängematten eine Art Dach
gebildet. Unſere Feuer beleuchteten auf 16 bis 20 m Höhe die
Palmſtämme, die mit Blüten bedeckten Schlinggewächſe und
die weißlichten Rauchſäulen, die gerade gen Himmel ſtiegen;
ein prachtvoller Anblick, aber um desſelben mit Ruhe zu ge-
nießen, hätte man eine Luft atmen müſſen, die nicht von In-
ſekten wimmelte.

Unter allen körperlichen Leiden wirken diejenigen am
niederſchlagendſten, die in ihrer Dauer immer dieſelben ſind,
und gegen die es kein Mittel gibt als Geduld. Die Aus-
dünſtungen in den Wäldern am Caſſiquiare haben wahrſchein-
lich bei Bonpland den Keim zu der ſchweren Krankheit gelegt,
der er bei unſerer Ankunft in Angoſtura beinahe erlegen wäre.
Zu unſerem Glück ahnte er ſo wenig als ich die Gefahr, die
ihm drohte. Der Anblick des Fluſſes und das Summen der
Moskiten kamen uns allerdings etwas einförmig vor; aber
unſer natürlicher Frohſinn war nicht ganz gebrochen und half
uns über die lange Oede weg. Wir machten die Bemerkung,
daß wir uns den Hunger auf mehrere Stunden vertrieben,
wenn wir etwas trockenen geriebenen Kakao ohne Zucker aßen.
Die Ameiſen und die Moskiten machten uns mehr zu ſchaffen
als die Näſſe und der Mangel an Nahrung. So großen
Entbehrungen wir auch auf unſeren Zügen in den Kordilleren
ausgeſetzt geweſen, die Flußfahrt von Mandavaca nach Es-
meralda erſchien uns immer als das beſchwerdereichſte Stück

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="26"/>
das Mark aus und werfen die Bohnen weg, und die&#x017F;e wer-<lb/>
den von den Indianern in den Mi&#x017F;&#x017F;ionen aufgele&#x017F;en und<lb/>
an &#x017F;olche verkauft, die es bei der Bereitung ihrer Schokolade<lb/>
nicht genau nehmen. &#x201E;Hier i&#x017F;t der <hi rendition="#g">Puerto del Cacao</hi>,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte der <choice><sic>Steuermaun</sic><corr>Steuermann</corr></choice>, &#x201E;hier übernachten <hi rendition="#aq">los padres,</hi> wenn<lb/>
&#x017F;ie nach Esmeralda fahren, um Bla&#x017F;eröhren und <hi rendition="#g">Juvia</hi><lb/>
(die wohl&#x017F;chmeckenden Mandeln der Bertholletia) zu kaufen.&#x201C;<lb/>
Inde&#x017F;&#x017F;en befahren im Jahre nicht fünf Kanoen den Ca&#x017F;&#x017F;i-<lb/>
quiare, und &#x017F;eit Maypures, al&#x017F;o &#x017F;eit einem Monate, war<lb/>
uns auf den Flü&#x017F;&#x017F;en, die wir hinauffuhren, keine Seele<lb/>
begegnet, außer in der näch&#x017F;ten Nähe der Mi&#x017F;&#x017F;ionen. Süd-<lb/>
wärts vom See Duractumini übernachteten wir in einem<lb/>
Palmenwalde. Der Regen goß in Strömen herab; aber die<lb/>
Pothos, die Arum und die Schlinggewäch&#x017F;e bildeten eine<lb/>
natürliche, &#x017F;o dichte Laube, daß wir darunter Schutz fanden<lb/>
wie unter dichtbelaubten Bäumen. Die Indianer, die am<lb/>
Ufer lagen, hatten Helikonien und Mu&#x017F;aceen ineinander ver-<lb/>
&#x017F;chlungen und damit über ihren Hängematten eine Art Dach<lb/>
gebildet. Un&#x017F;ere Feuer beleuchteten auf 16 bis 20 <hi rendition="#aq">m</hi> Höhe die<lb/>
Palm&#x017F;tämme, die mit Blüten bedeckten Schlinggewäch&#x017F;e und<lb/>
die weißlichten Rauch&#x017F;äulen, die gerade gen Himmel &#x017F;tiegen;<lb/>
ein prachtvoller Anblick, aber um des&#x017F;elben mit Ruhe zu ge-<lb/>
nießen, hätte man eine Luft atmen mü&#x017F;&#x017F;en, die nicht von In-<lb/>
&#x017F;ekten wimmelte.</p><lb/>
          <p>Unter allen körperlichen Leiden wirken diejenigen am<lb/>
nieder&#x017F;chlagend&#x017F;ten, die in ihrer Dauer immer die&#x017F;elben &#x017F;ind,<lb/>
und gegen die es kein Mittel gibt als Geduld. Die Aus-<lb/>
dün&#x017F;tungen in den Wäldern am Ca&#x017F;&#x017F;iquiare haben wahr&#x017F;chein-<lb/>
lich bei Bonpland den Keim zu der &#x017F;chweren Krankheit gelegt,<lb/>
der er bei un&#x017F;erer Ankunft in Ango&#x017F;tura beinahe erlegen wäre.<lb/>
Zu un&#x017F;erem Glück ahnte er &#x017F;o wenig als ich die Gefahr, die<lb/>
ihm drohte. Der Anblick des Flu&#x017F;&#x017F;es und das Summen der<lb/>
Moskiten kamen uns allerdings etwas einförmig vor; aber<lb/>
un&#x017F;er natürlicher Froh&#x017F;inn war nicht ganz gebrochen und half<lb/>
uns über die lange Oede weg. Wir machten die Bemerkung,<lb/>
daß wir uns den Hunger auf mehrere Stunden vertrieben,<lb/>
wenn wir etwas trockenen geriebenen Kakao ohne Zucker aßen.<lb/>
Die Amei&#x017F;en und die Moskiten machten uns mehr zu &#x017F;chaffen<lb/>
als die Nä&#x017F;&#x017F;e und der Mangel an Nahrung. So großen<lb/>
Entbehrungen wir auch auf un&#x017F;eren Zügen in den Kordilleren<lb/>
ausge&#x017F;etzt gewe&#x017F;en, die Flußfahrt von Mandavaca nach Es-<lb/>
meralda er&#x017F;chien uns immer als das be&#x017F;chwerdereich&#x017F;te Stück<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0034] das Mark aus und werfen die Bohnen weg, und dieſe wer- den von den Indianern in den Miſſionen aufgeleſen und an ſolche verkauft, die es bei der Bereitung ihrer Schokolade nicht genau nehmen. „Hier iſt der Puerto del Cacao,“ ſagte der Steuermann, „hier übernachten los padres, wenn ſie nach Esmeralda fahren, um Blaſeröhren und Juvia (die wohlſchmeckenden Mandeln der Bertholletia) zu kaufen.“ Indeſſen befahren im Jahre nicht fünf Kanoen den Caſſi- quiare, und ſeit Maypures, alſo ſeit einem Monate, war uns auf den Flüſſen, die wir hinauffuhren, keine Seele begegnet, außer in der nächſten Nähe der Miſſionen. Süd- wärts vom See Duractumini übernachteten wir in einem Palmenwalde. Der Regen goß in Strömen herab; aber die Pothos, die Arum und die Schlinggewächſe bildeten eine natürliche, ſo dichte Laube, daß wir darunter Schutz fanden wie unter dichtbelaubten Bäumen. Die Indianer, die am Ufer lagen, hatten Helikonien und Muſaceen ineinander ver- ſchlungen und damit über ihren Hängematten eine Art Dach gebildet. Unſere Feuer beleuchteten auf 16 bis 20 m Höhe die Palmſtämme, die mit Blüten bedeckten Schlinggewächſe und die weißlichten Rauchſäulen, die gerade gen Himmel ſtiegen; ein prachtvoller Anblick, aber um desſelben mit Ruhe zu ge- nießen, hätte man eine Luft atmen müſſen, die nicht von In- ſekten wimmelte. Unter allen körperlichen Leiden wirken diejenigen am niederſchlagendſten, die in ihrer Dauer immer dieſelben ſind, und gegen die es kein Mittel gibt als Geduld. Die Aus- dünſtungen in den Wäldern am Caſſiquiare haben wahrſchein- lich bei Bonpland den Keim zu der ſchweren Krankheit gelegt, der er bei unſerer Ankunft in Angoſtura beinahe erlegen wäre. Zu unſerem Glück ahnte er ſo wenig als ich die Gefahr, die ihm drohte. Der Anblick des Fluſſes und das Summen der Moskiten kamen uns allerdings etwas einförmig vor; aber unſer natürlicher Frohſinn war nicht ganz gebrochen und half uns über die lange Oede weg. Wir machten die Bemerkung, daß wir uns den Hunger auf mehrere Stunden vertrieben, wenn wir etwas trockenen geriebenen Kakao ohne Zucker aßen. Die Ameiſen und die Moskiten machten uns mehr zu ſchaffen als die Näſſe und der Mangel an Nahrung. So großen Entbehrungen wir auch auf unſeren Zügen in den Kordilleren ausgeſetzt geweſen, die Flußfahrt von Mandavaca nach Es- meralda erſchien uns immer als das beſchwerdereichſte Stück

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/34
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/34>, abgerufen am 03.12.2024.