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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Am 14. Mai. Die Moskiten und mehr noch die Ameisen
jagten uns vor 2 Uhr in der Nacht vom Ufer. Wir hatten
bisher geglaubt, die letzteren kriechen nicht an den Stricken
der Hängematten hinauf; ob dies nun aber unbegründet ist,
oder ob die Ameisen aus den Baumgipfeln auf uns herab-
fielen, wir hatten vollauf zu thun, uns dieser lästigen In-
sekten zu entledigen. Je weiter wir fuhren, desto schmäler
wurde der Fluß und die Ufer waren so sumpfig, daß Bon-
pland sich nur mit großer Mühe an den Fuß einer mit großen
purpurroten Blüten bedeckten Carolinea princeps durcharbeiten
konnte. Dieser Baum ist die herrlichste Zierde der Wälder
hier und am Rio Negro. Wir untersuchten mehrmals am
Tage die Temperatur des Cassiquiare. Das Wasser zeigte
an der Oberfläche nur 24° (in der Luft stand der Thermo-
meter auf 25,6°), also ungefähr so viel als der Rio Negro,
aber 4 bis 5° weniger als der Orinoko. Nachdem wir westwärts
die Mündung des Canno Caterico, der schwarzes, ungemein
durchsichtiges Wasser hat, hinter uns gelassen, verließen wir
das Flußbett und landeten an einer Insel, auf der die Mission
Vasiva liegt. Der See, der die Mission umgibt, ist 4,5 km
breit und hängt durch drei Kanäle mit dem Cassiquiare zu-
sammen. Das Land umher ist sehr sumpfig und fiebererzeu-
gend. Der See, dessen Wasser bei durchgehendem Lichte gelb
ist, trocknet in der heißen Jahreszeit aus und dann können
es selbst die Indianer in den Miasmen, welche sich aus dem
Schlamme entwickeln, nicht aushalten. Daß gar kein Wind
weht, trägt viel dazu bei, daß diese Landstriche so ungemein
ungesund sind. Ich habe die Zeichnung des Grundrisses von
Vasiva, den ich am Tage unserer Ankunft aufgenommen,
stechen lassen. Das Dorf wurde zum Teil an einen trockeneren
Platz gegen Nord verlegt, und daraus entspann sich ein langer
Streit zwischen dem Statthalter von Guyana und den Mön-
chen. Der Statthalter behauptete, letzteren stehe nicht das
Recht zu, ohne Genehmigung der bürgerlichen Behörde ihre
Dörfer zu verlegen; da er aber gar nicht wußte, wo der Cassi-
quiare liegt, richtete er seine Beschwerde an den Missionär
von Carichana, der 675 km von Vasiva haust und nicht be-
griff, von was es sich handelte. Dergleichen geographische
Mißverständnisse kommen sehr häufig vor, wo die Leute fast
nie im Besitz einer Karte der Länder sind, die sie zu
regieren haben. Im Jahre 1785 übertrug man die Mission
Padamo dem Pater Valor mit der Weisung, "sich unver-

Am 14. Mai. Die Moskiten und mehr noch die Ameiſen
jagten uns vor 2 Uhr in der Nacht vom Ufer. Wir hatten
bisher geglaubt, die letzteren kriechen nicht an den Stricken
der Hängematten hinauf; ob dies nun aber unbegründet iſt,
oder ob die Ameiſen aus den Baumgipfeln auf uns herab-
fielen, wir hatten vollauf zu thun, uns dieſer läſtigen In-
ſekten zu entledigen. Je weiter wir fuhren, deſto ſchmäler
wurde der Fluß und die Ufer waren ſo ſumpfig, daß Bon-
pland ſich nur mit großer Mühe an den Fuß einer mit großen
purpurroten Blüten bedeckten Carolinea princeps durcharbeiten
konnte. Dieſer Baum iſt die herrlichſte Zierde der Wälder
hier und am Rio Negro. Wir unterſuchten mehrmals am
Tage die Temperatur des Caſſiquiare. Das Waſſer zeigte
an der Oberfläche nur 24° (in der Luft ſtand der Thermo-
meter auf 25,6°), alſo ungefähr ſo viel als der Rio Negro,
aber 4 bis 5° weniger als der Orinoko. Nachdem wir weſtwärts
die Mündung des Caño Caterico, der ſchwarzes, ungemein
durchſichtiges Waſſer hat, hinter uns gelaſſen, verließen wir
das Flußbett und landeten an einer Inſel, auf der die Miſſion
Vaſiva liegt. Der See, der die Miſſion umgibt, iſt 4,5 km
breit und hängt durch drei Kanäle mit dem Caſſiquiare zu-
ſammen. Das Land umher iſt ſehr ſumpfig und fiebererzeu-
gend. Der See, deſſen Waſſer bei durchgehendem Lichte gelb
iſt, trocknet in der heißen Jahreszeit aus und dann können
es ſelbſt die Indianer in den Miasmen, welche ſich aus dem
Schlamme entwickeln, nicht aushalten. Daß gar kein Wind
weht, trägt viel dazu bei, daß dieſe Landſtriche ſo ungemein
ungeſund ſind. Ich habe die Zeichnung des Grundriſſes von
Vaſiva, den ich am Tage unſerer Ankunft aufgenommen,
ſtechen laſſen. Das Dorf wurde zum Teil an einen trockeneren
Platz gegen Nord verlegt, und daraus entſpann ſich ein langer
Streit zwiſchen dem Statthalter von Guyana und den Mön-
chen. Der Statthalter behauptete, letzteren ſtehe nicht das
Recht zu, ohne Genehmigung der bürgerlichen Behörde ihre
Dörfer zu verlegen; da er aber gar nicht wußte, wo der Caſſi-
quiare liegt, richtete er ſeine Beſchwerde an den Miſſionär
von Carichana, der 675 km von Vaſiva hauſt und nicht be-
griff, von was es ſich handelte. Dergleichen geographiſche
Mißverſtändniſſe kommen ſehr häufig vor, wo die Leute faſt
nie im Beſitz einer Karte der Länder ſind, die ſie zu
regieren haben. Im Jahre 1785 übertrug man die Miſſion
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[23/0031] Am 14. Mai. Die Moskiten und mehr noch die Ameiſen jagten uns vor 2 Uhr in der Nacht vom Ufer. Wir hatten bisher geglaubt, die letzteren kriechen nicht an den Stricken der Hängematten hinauf; ob dies nun aber unbegründet iſt, oder ob die Ameiſen aus den Baumgipfeln auf uns herab- fielen, wir hatten vollauf zu thun, uns dieſer läſtigen In- ſekten zu entledigen. Je weiter wir fuhren, deſto ſchmäler wurde der Fluß und die Ufer waren ſo ſumpfig, daß Bon- pland ſich nur mit großer Mühe an den Fuß einer mit großen purpurroten Blüten bedeckten Carolinea princeps durcharbeiten konnte. Dieſer Baum iſt die herrlichſte Zierde der Wälder hier und am Rio Negro. Wir unterſuchten mehrmals am Tage die Temperatur des Caſſiquiare. Das Waſſer zeigte an der Oberfläche nur 24° (in der Luft ſtand der Thermo- meter auf 25,6°), alſo ungefähr ſo viel als der Rio Negro, aber 4 bis 5° weniger als der Orinoko. Nachdem wir weſtwärts die Mündung des Caño Caterico, der ſchwarzes, ungemein durchſichtiges Waſſer hat, hinter uns gelaſſen, verließen wir das Flußbett und landeten an einer Inſel, auf der die Miſſion Vaſiva liegt. Der See, der die Miſſion umgibt, iſt 4,5 km breit und hängt durch drei Kanäle mit dem Caſſiquiare zu- ſammen. Das Land umher iſt ſehr ſumpfig und fiebererzeu- gend. Der See, deſſen Waſſer bei durchgehendem Lichte gelb iſt, trocknet in der heißen Jahreszeit aus und dann können es ſelbſt die Indianer in den Miasmen, welche ſich aus dem Schlamme entwickeln, nicht aushalten. Daß gar kein Wind weht, trägt viel dazu bei, daß dieſe Landſtriche ſo ungemein ungeſund ſind. Ich habe die Zeichnung des Grundriſſes von Vaſiva, den ich am Tage unſerer Ankunft aufgenommen, ſtechen laſſen. Das Dorf wurde zum Teil an einen trockeneren Platz gegen Nord verlegt, und daraus entſpann ſich ein langer Streit zwiſchen dem Statthalter von Guyana und den Mön- chen. Der Statthalter behauptete, letzteren ſtehe nicht das Recht zu, ohne Genehmigung der bürgerlichen Behörde ihre Dörfer zu verlegen; da er aber gar nicht wußte, wo der Caſſi- quiare liegt, richtete er ſeine Beſchwerde an den Miſſionär von Carichana, der 675 km von Vaſiva hauſt und nicht be- griff, von was es ſich handelte. Dergleichen geographiſche Mißverſtändniſſe kommen ſehr häufig vor, wo die Leute faſt nie im Beſitz einer Karte der Länder ſind, die ſie zu regieren haben. Im Jahre 1785 übertrug man die Miſſion Padamo dem Pater Valor mit der Weiſung, „ſich unver-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/31>, abgerufen am 19.04.2024.