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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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alte arabische Reisende haben die Bemerkung gemacht, daß
der aus dem Hochgebirge kommende Nilarm, der sich bei Halfaja
mit dem Bahr el Abiad vereinigt, grünes Wasser hat, das
so durchsichtig ist, daß man die Fische auf dem Grunde des
Flusses sieht. 1

Ehe wir in die Mission Mandavaca kamen, liefen wir
durch ziemlich ungestüme Stromschnellen. Das Dorf, das
auch Quirabuena heißt, zählt nur 60 Eingeborene. Diese
christlichen Niederlassungen befinden sich meist in so kläglichem
Zustande, daß längs des ganzen Cassiquiare auf einer Strecke
von 225 km keine 200 Menschen leben. Ja die Ufer des
Flusses waren bevölkerter, ehe die Missionäre ins Land kamen.
Die Indianer zogen sich in die Wälder gegen Ost, denn die
Ebenen gegen West sind fast menschenleer. Die Eingeborenen
leben einen Teil des Jahres von den großen Ameisen, von
denen oben die Rede war. Diese Insekten sind hierzulande
so stark gesucht wie in der südlichen Halbkugel die Spinnen
der Sippe Epeira, die für die Wilden auf Neuholland ein
Leckerbissen sind. In Mandavaca fanden wir den guten alten
Missionär, der bereits "seine zwanzig Moskitojahre in den
Bosques del Cassiquiare" zugebracht hatte und dessen Beine
von den Stichen der Insekten so gefleckt waren, daß man
kaum sah, daß er eine weiße Haut hatte. Er sprach uns
von seiner Verlassenheit, und wie er sich in der traurigen
Notwendigkeit sehe, in den beiden Missionen Mandavaca und
Vasiva häufig die abscheulichsten Verbrechen straflos zu lassen.

1 Es ist auffallend, daß der Blaue Nil (Bahr el azrek)
bei manchen arabischen Geographen der Grüne Nil heißt, und daß
die persischen Dichter zuweilen den Himmel grün (akhzar), sowie
den Beryll blau (zark) nennen. Man kann doch nicht annehmen,
daß die Völker vom semitischen Namen in ihren Sinneseindrücken
grün und blau verwechseln, wie nicht selten ihr Ohr die Vokale o
und u, e und i verwechselt. Das Wort azrek wird von jedem
sehr klaren, nicht milchigen Wasser gebraucht, und abirank (wasser-
farbig) bedeutet blau. Abd-Allatif, wo er vom klaren grünen
Arm des Nil spricht, der aus einem See im Gebirge südöstlich
von Sennaar entspringt, schreibt bereits die grüne Farbe dieses
Alpensees "vegetabilischen Substanzen zu, die sich in den stehen-
den Wassern in Menge finden". Weiter oben habe ich die ge-
färbten, unrichtig aguas negras genannten Wasser ebenso erklärt.
Ueberall sind die klarsten, durchsichtigsten Wasser gerade solche, die
nicht weiß sind.

alte arabiſche Reiſende haben die Bemerkung gemacht, daß
der aus dem Hochgebirge kommende Nilarm, der ſich bei Halfaja
mit dem Bahr el Abiad vereinigt, grünes Waſſer hat, das
ſo durchſichtig iſt, daß man die Fiſche auf dem Grunde des
Fluſſes ſieht. 1

Ehe wir in die Miſſion Mandavaca kamen, liefen wir
durch ziemlich ungeſtüme Stromſchnellen. Das Dorf, das
auch Quirabuena heißt, zählt nur 60 Eingeborene. Dieſe
chriſtlichen Niederlaſſungen befinden ſich meiſt in ſo kläglichem
Zuſtande, daß längs des ganzen Caſſiquiare auf einer Strecke
von 225 km keine 200 Menſchen leben. Ja die Ufer des
Fluſſes waren bevölkerter, ehe die Miſſionäre ins Land kamen.
Die Indianer zogen ſich in die Wälder gegen Oſt, denn die
Ebenen gegen Weſt ſind faſt menſchenleer. Die Eingeborenen
leben einen Teil des Jahres von den großen Ameiſen, von
denen oben die Rede war. Dieſe Inſekten ſind hierzulande
ſo ſtark geſucht wie in der ſüdlichen Halbkugel die Spinnen
der Sippe Epeira, die für die Wilden auf Neuholland ein
Leckerbiſſen ſind. In Mandavaca fanden wir den guten alten
Miſſionär, der bereits „ſeine zwanzig Moskitojahre in den
Bosques del Caſſiquiare“ zugebracht hatte und deſſen Beine
von den Stichen der Inſekten ſo gefleckt waren, daß man
kaum ſah, daß er eine weiße Haut hatte. Er ſprach uns
von ſeiner Verlaſſenheit, und wie er ſich in der traurigen
Notwendigkeit ſehe, in den beiden Miſſionen Mandavaca und
Vaſiva häufig die abſcheulichſten Verbrechen ſtraflos zu laſſen.

1 Es iſt auffallend, daß der Blaue Nil (Bahr el azrek)
bei manchen arabiſchen Geographen der Grüne Nil heißt, und daß
die perſiſchen Dichter zuweilen den Himmel grün (akhzar), ſowie
den Beryll blau (zark) nennen. Man kann doch nicht annehmen,
daß die Völker vom ſemitiſchen Namen in ihren Sinneseindrücken
grün und blau verwechſeln, wie nicht ſelten ihr Ohr die Vokale o
und u, e und i verwechſelt. Das Wort azrek wird von jedem
ſehr klaren, nicht milchigen Waſſer gebraucht, und abirank (waſſer-
farbig) bedeutet blau. Abd-Allatif, wo er vom klaren grünen
Arm des Nil ſpricht, der aus einem See im Gebirge ſüdöſtlich
von Sennaar entſpringt, ſchreibt bereits die grüne Farbe dieſes
Alpenſees „vegetabiliſchen Subſtanzen zu, die ſich in den ſtehen-
den Waſſern in Menge finden“. Weiter oben habe ich die ge-
färbten, unrichtig aguas negras genannten Waſſer ebenſo erklärt.
Ueberall ſind die klarſten, durchſichtigſten Waſſer gerade ſolche, die
nicht weiß ſind.
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[13/0021] alte arabiſche Reiſende haben die Bemerkung gemacht, daß der aus dem Hochgebirge kommende Nilarm, der ſich bei Halfaja mit dem Bahr el Abiad vereinigt, grünes Waſſer hat, das ſo durchſichtig iſt, daß man die Fiſche auf dem Grunde des Fluſſes ſieht. 1 Ehe wir in die Miſſion Mandavaca kamen, liefen wir durch ziemlich ungeſtüme Stromſchnellen. Das Dorf, das auch Quirabuena heißt, zählt nur 60 Eingeborene. Dieſe chriſtlichen Niederlaſſungen befinden ſich meiſt in ſo kläglichem Zuſtande, daß längs des ganzen Caſſiquiare auf einer Strecke von 225 km keine 200 Menſchen leben. Ja die Ufer des Fluſſes waren bevölkerter, ehe die Miſſionäre ins Land kamen. Die Indianer zogen ſich in die Wälder gegen Oſt, denn die Ebenen gegen Weſt ſind faſt menſchenleer. Die Eingeborenen leben einen Teil des Jahres von den großen Ameiſen, von denen oben die Rede war. Dieſe Inſekten ſind hierzulande ſo ſtark geſucht wie in der ſüdlichen Halbkugel die Spinnen der Sippe Epeira, die für die Wilden auf Neuholland ein Leckerbiſſen ſind. In Mandavaca fanden wir den guten alten Miſſionär, der bereits „ſeine zwanzig Moskitojahre in den Bosques del Caſſiquiare“ zugebracht hatte und deſſen Beine von den Stichen der Inſekten ſo gefleckt waren, daß man kaum ſah, daß er eine weiße Haut hatte. Er ſprach uns von ſeiner Verlaſſenheit, und wie er ſich in der traurigen Notwendigkeit ſehe, in den beiden Miſſionen Mandavaca und Vaſiva häufig die abſcheulichſten Verbrechen ſtraflos zu laſſen. 1 Es iſt auffallend, daß der Blaue Nil (Bahr el azrek) bei manchen arabiſchen Geographen der Grüne Nil heißt, und daß die perſiſchen Dichter zuweilen den Himmel grün (akhzar), ſowie den Beryll blau (zark) nennen. Man kann doch nicht annehmen, daß die Völker vom ſemitiſchen Namen in ihren Sinneseindrücken grün und blau verwechſeln, wie nicht ſelten ihr Ohr die Vokale o und u, e und i verwechſelt. Das Wort azrek wird von jedem ſehr klaren, nicht milchigen Waſſer gebraucht, und abirank (waſſer- farbig) bedeutet blau. Abd-Allatif, wo er vom klaren grünen Arm des Nil ſpricht, der aus einem See im Gebirge ſüdöſtlich von Sennaar entſpringt, ſchreibt bereits die grüne Farbe dieſes Alpenſees „vegetabiliſchen Subſtanzen zu, die ſich in den ſtehen- den Waſſern in Menge finden“. Weiter oben habe ich die ge- färbten, unrichtig aguas negras genannten Waſſer ebenſo erklärt. Ueberall ſind die klarſten, durchſichtigſten Waſſer gerade ſolche, die nicht weiß ſind.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/21>, abgerufen am 24.04.2024.