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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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man den Einfluß des Cassiquiare in den Rio Negro einen
halben Grad nördlich vom Aequator, und obgleich die Grenz-
kommission niemals zu einem Endresultate gelangte, galt in
den Kommissionen immer der Aequator als vorläufig anerkannte
Grenze. Aus meinen Beobachtungen ergibt sich nun aber,
daß San Carlos am Rio Negro, oder, wie man sich hier
vornehm ausdrückt, die Grenzfestung keineswegs unter 0° 20',
wie Pater Caulin behauptet, noch unter 0° 53', wie La Cruz
und Surville (die offiziellen Geographen der Real Expedicion
de limites
) annehmen, sondern unter 1° 53' 42" der Breite
liegt. Der Aequator läuft also nicht nördlich vom portugie-
sischen Fort San Jose de Marabitanos, wie bis jetzt alle
Karten mit Ausnahme der neuen Ausgabe der Arrowsmitschen
Karte angeben, sondern 112 km weiter gegen Süd zwischen
San Felipe und der Mündung des Rio Guape. Aus der
handschriftlichen Karte Requenas, die ich besitze, geht hervor,
daß diese Thatsache den portugiesischen Astronomen schon im
Jahre 1783 bekannt war, also 35 Jahre bevor man in Europa
anfing, dieselbe in die Karten aufzunehmen.

Da man in der Capitania general von Caracas von
jeher der Meinung war, der geschickte Ingenieur Don Gabriel
Clavero habe die Schanze San Carlos del Rio Negro gerade
auf die Aequinoktiallinie gebaut, und da in der Nähe der-
selben die beobachteten Breiten, nach La Condamine, gegen
Süd zu groß angenommen waren, so war ich darauf gefaßt,
den Aequator 1° nördlich von San Carlos, demnach an den
Ufern des Temi und Tuamini zu finden. Schon die Beobach-
tungen in der Mission San Baltasar (Durchgang dreier
Sterne durch den Meridian) ließen mich vermuten, daß diese
Annahme unrichtig sei; aber erst durch die Breite der Piedra
Culimacari lernte ich die wirkliche Lage der Grenze kennen.
Die Insel San Jose im Rio Negro, die bisher als Grenze
zwischen den spanischen und portugiesischen Besitzungen galt,
liegt wenigstens unter 1° 38' nördlicher Breite, und hätte
Ituriagas und Solanos Kommission ihre langen Verhand-
lungen zum Abschluß gebracht, wäre der Aequator vom Hofe
zu Lissabon definitiv als Grenze beider Staaten anerkannt
worden, so gehörten jetzt sechs portugiesische Dörfer und das
Fort San Jose selbst, die nördlich vom Rio Guape liegen,
der spanischen Krone. Was man damals mit ein paar ge-
nauen astronomischen Beobachtungen erworben hätte, ist von
größerem Belang, als was man jetzt besitzt; es ist aber zu

man den Einfluß des Caſſiquiare in den Rio Negro einen
halben Grad nördlich vom Aequator, und obgleich die Grenz-
kommiſſion niemals zu einem Endreſultate gelangte, galt in
den Kommiſſionen immer der Aequator als vorläufig anerkannte
Grenze. Aus meinen Beobachtungen ergibt ſich nun aber,
daß San Carlos am Rio Negro, oder, wie man ſich hier
vornehm ausdrückt, die Grenzfeſtung keineswegs unter 0° 20′,
wie Pater Caulin behauptet, noch unter 0° 53′, wie La Cruz
und Surville (die offiziellen Geographen der Real Expedicion
de limites
) annehmen, ſondern unter 1° 53′ 42″ der Breite
liegt. Der Aequator läuft alſo nicht nördlich vom portugie-
ſiſchen Fort San Joſe de Marabitanos, wie bis jetzt alle
Karten mit Ausnahme der neuen Ausgabe der Arrowſmitſchen
Karte angeben, ſondern 112 km weiter gegen Süd zwiſchen
San Felipe und der Mündung des Rio Guape. Aus der
handſchriftlichen Karte Requenas, die ich beſitze, geht hervor,
daß dieſe Thatſache den portugieſiſchen Aſtronomen ſchon im
Jahre 1783 bekannt war, alſo 35 Jahre bevor man in Europa
anfing, dieſelbe in die Karten aufzunehmen.

Da man in der Capitania general von Caracas von
jeher der Meinung war, der geſchickte Ingenieur Don Gabriel
Clavero habe die Schanze San Carlos del Rio Negro gerade
auf die Aequinoktiallinie gebaut, und da in der Nähe der-
ſelben die beobachteten Breiten, nach La Condamine, gegen
Süd zu groß angenommen waren, ſo war ich darauf gefaßt,
den Aequator 1° nördlich von San Carlos, demnach an den
Ufern des Temi und Tuamini zu finden. Schon die Beobach-
tungen in der Miſſion San Baltaſar (Durchgang dreier
Sterne durch den Meridian) ließen mich vermuten, daß dieſe
Annahme unrichtig ſei; aber erſt durch die Breite der Piedra
Culimacari lernte ich die wirkliche Lage der Grenze kennen.
Die Inſel San Joſe im Rio Negro, die bisher als Grenze
zwiſchen den ſpaniſchen und portugieſiſchen Beſitzungen galt,
liegt wenigſtens unter 1° 38′ nördlicher Breite, und hätte
Ituriagas und Solanos Kommiſſion ihre langen Verhand-
lungen zum Abſchluß gebracht, wäre der Aequator vom Hofe
zu Liſſabon definitiv als Grenze beider Staaten anerkannt
worden, ſo gehörten jetzt ſechs portugieſiſche Dörfer und das
Fort San Joſe ſelbſt, die nördlich vom Rio Guape liegen,
der ſpaniſchen Krone. Was man damals mit ein paar ge-
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[11/0019] man den Einfluß des Caſſiquiare in den Rio Negro einen halben Grad nördlich vom Aequator, und obgleich die Grenz- kommiſſion niemals zu einem Endreſultate gelangte, galt in den Kommiſſionen immer der Aequator als vorläufig anerkannte Grenze. Aus meinen Beobachtungen ergibt ſich nun aber, daß San Carlos am Rio Negro, oder, wie man ſich hier vornehm ausdrückt, die Grenzfeſtung keineswegs unter 0° 20′, wie Pater Caulin behauptet, noch unter 0° 53′, wie La Cruz und Surville (die offiziellen Geographen der Real Expedicion de limites) annehmen, ſondern unter 1° 53′ 42″ der Breite liegt. Der Aequator läuft alſo nicht nördlich vom portugie- ſiſchen Fort San Joſe de Marabitanos, wie bis jetzt alle Karten mit Ausnahme der neuen Ausgabe der Arrowſmitſchen Karte angeben, ſondern 112 km weiter gegen Süd zwiſchen San Felipe und der Mündung des Rio Guape. Aus der handſchriftlichen Karte Requenas, die ich beſitze, geht hervor, daß dieſe Thatſache den portugieſiſchen Aſtronomen ſchon im Jahre 1783 bekannt war, alſo 35 Jahre bevor man in Europa anfing, dieſelbe in die Karten aufzunehmen. Da man in der Capitania general von Caracas von jeher der Meinung war, der geſchickte Ingenieur Don Gabriel Clavero habe die Schanze San Carlos del Rio Negro gerade auf die Aequinoktiallinie gebaut, und da in der Nähe der- ſelben die beobachteten Breiten, nach La Condamine, gegen Süd zu groß angenommen waren, ſo war ich darauf gefaßt, den Aequator 1° nördlich von San Carlos, demnach an den Ufern des Temi und Tuamini zu finden. Schon die Beobach- tungen in der Miſſion San Baltaſar (Durchgang dreier Sterne durch den Meridian) ließen mich vermuten, daß dieſe Annahme unrichtig ſei; aber erſt durch die Breite der Piedra Culimacari lernte ich die wirkliche Lage der Grenze kennen. Die Inſel San Joſe im Rio Negro, die bisher als Grenze zwiſchen den ſpaniſchen und portugieſiſchen Beſitzungen galt, liegt wenigſtens unter 1° 38′ nördlicher Breite, und hätte Ituriagas und Solanos Kommiſſion ihre langen Verhand- lungen zum Abſchluß gebracht, wäre der Aequator vom Hofe zu Liſſabon definitiv als Grenze beider Staaten anerkannt worden, ſo gehörten jetzt ſechs portugieſiſche Dörfer und das Fort San Joſe ſelbſt, die nördlich vom Rio Guape liegen, der ſpaniſchen Krone. Was man damals mit ein paar ge- nauen aſtronomiſchen Beobachtungen erworben hätte, iſt von größerem Belang, als was man jetzt beſitzt; es iſt aber zu

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/19>, abgerufen am 24.04.2024.