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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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grübelt der Gedanke über die Entstehung der Berge, wenn
man in Mexiko Vulkane und Trachytgipfel auf einer langen
Spalte stehen, in den Anden von Südamerika Urgebirgs- und
vulkanische Bildungen in einer Bergkette lang hingestreckt sah,
wenn man der ungemein hohen Insel von 5,6 km Umfang
gedenkt, die in jüngster Zeit bei Unalaschka vom Boden des
Weltmeeres aufgestiegen.

Eine Zierde der Ufer des Cassiquiare ist die Chiriva-
palme
mit gefiederten, an der unteren Fläche silberweißen
Blättern. Sonst besteht der Wald nur aus Bäumen mit
großen, lederartigen, glänzenden, nicht gezahnten Blättern.
Diesen eigentümlichen Charakter erhält die Vegetation am Rio
Negro, Tuamini und Cassiquiare dadurch, daß in der Nähe
des Aequators die Familien der Guttiferen, der Sapotillen
und der Lorbeeren vorherrschen. Da der heitere Himmel uns
eine schöne Nacht verhieß, schlugen wir schon um fünf Uhr
abends unser Nachtlager bei der Piedra de Culimacari
auf, einem freistehenden Granitfelsen, gleich allen zwischen
Atabapo und Cassiquiare, deren ich Erwähnung gethan. Da
wir die Flußkrümmungen aufnahmen, zeigte es sich, daß dieser
Fels ungefähr unter dem Parallel der Mission San Francisco
Solano liegt. In diesen wüsten Ländern, wo der Mensch
bis jetzt nur flüchtige Spuren seines Daseins hinterlassen hat,
suchte ich meine Beobachtungen immer an einer Flußmündung
oder am Fuße eines an seiner Gestalt leicht kenntlichen Felsens
anzustellen. Nur solche von Natur unverrückbare Punkte
können bei Entwerfung geographischer Karten als Grundlagen
dienen. In der Nacht vom 10. zum 11. Mai konnte ich an
a des südlichen Kreuzes die Breite gut beobachten; die Länge
wurde, indessen nicht so genau, nach den zwei schönen Sternen
an den Füßen des Kentauren chronometrisch bestimmt. Durch
diese Beobachtung wurde, und zwar für geographische Zwecke
hinlänglich genau, die Lage der Mündung des Rio Pacimoni,
der Schanze San Carlos und des Einflusses des Cassiquiare
in den Rio Negro zumal ermittelt. Der Fels Culimacari
liegt ganz genau, unter 2° 0' 42" der Breite und wahrschein-
lich unter 69° 33' 50" der Länge. In zwei spanisch ge-
schriebenen Abhandlungen, die ich dem Generalkapitän von
Caracas und dem Minister Staatssekretär d'Urquijo überreicht,
habe ich den Wert dieser astronomischen Bestimmungen für
die Berichtigung der Grenzen der portugiesischen Kolonieen
auseinandergesetzt. Zur Zeit von Solanos Expedition setzte

grübelt der Gedanke über die Entſtehung der Berge, wenn
man in Mexiko Vulkane und Trachytgipfel auf einer langen
Spalte ſtehen, in den Anden von Südamerika Urgebirgs- und
vulkaniſche Bildungen in einer Bergkette lang hingeſtreckt ſah,
wenn man der ungemein hohen Inſel von 5,6 km Umfang
gedenkt, die in jüngſter Zeit bei Unalaſchka vom Boden des
Weltmeeres aufgeſtiegen.

Eine Zierde der Ufer des Caſſiquiare iſt die Chiriva-
palme
mit gefiederten, an der unteren Fläche ſilberweißen
Blättern. Sonſt beſteht der Wald nur aus Bäumen mit
großen, lederartigen, glänzenden, nicht gezahnten Blättern.
Dieſen eigentümlichen Charakter erhält die Vegetation am Rio
Negro, Tuamini und Caſſiquiare dadurch, daß in der Nähe
des Aequators die Familien der Guttiferen, der Sapotillen
und der Lorbeeren vorherrſchen. Da der heitere Himmel uns
eine ſchöne Nacht verhieß, ſchlugen wir ſchon um fünf Uhr
abends unſer Nachtlager bei der Piedra de Culimacari
auf, einem freiſtehenden Granitfelſen, gleich allen zwiſchen
Atabapo und Caſſiquiare, deren ich Erwähnung gethan. Da
wir die Flußkrümmungen aufnahmen, zeigte es ſich, daß dieſer
Fels ungefähr unter dem Parallel der Miſſion San Francisco
Solano liegt. In dieſen wüſten Ländern, wo der Menſch
bis jetzt nur flüchtige Spuren ſeines Daſeins hinterlaſſen hat,
ſuchte ich meine Beobachtungen immer an einer Flußmündung
oder am Fuße eines an ſeiner Geſtalt leicht kenntlichen Felſens
anzuſtellen. Nur ſolche von Natur unverrückbare Punkte
können bei Entwerfung geographiſcher Karten als Grundlagen
dienen. In der Nacht vom 10. zum 11. Mai konnte ich an
α des ſüdlichen Kreuzes die Breite gut beobachten; die Länge
wurde, indeſſen nicht ſo genau, nach den zwei ſchönen Sternen
an den Füßen des Kentauren chronometriſch beſtimmt. Durch
dieſe Beobachtung wurde, und zwar für geographiſche Zwecke
hinlänglich genau, die Lage der Mündung des Rio Pacimoni,
der Schanze San Carlos und des Einfluſſes des Caſſiquiare
in den Rio Negro zumal ermittelt. Der Fels Culimacari
liegt ganz genau, unter 2° 0′ 42″ der Breite und wahrſchein-
lich unter 69° 33′ 50″ der Länge. In zwei ſpaniſch ge-
ſchriebenen Abhandlungen, die ich dem Generalkapitän von
Caracas und dem Miniſter Staatsſekretär d’Urquijo überreicht,
habe ich den Wert dieſer aſtronomiſchen Beſtimmungen für
die Berichtigung der Grenzen der portugieſiſchen Kolonieen
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[10/0018] grübelt der Gedanke über die Entſtehung der Berge, wenn man in Mexiko Vulkane und Trachytgipfel auf einer langen Spalte ſtehen, in den Anden von Südamerika Urgebirgs- und vulkaniſche Bildungen in einer Bergkette lang hingeſtreckt ſah, wenn man der ungemein hohen Inſel von 5,6 km Umfang gedenkt, die in jüngſter Zeit bei Unalaſchka vom Boden des Weltmeeres aufgeſtiegen. Eine Zierde der Ufer des Caſſiquiare iſt die Chiriva- palme mit gefiederten, an der unteren Fläche ſilberweißen Blättern. Sonſt beſteht der Wald nur aus Bäumen mit großen, lederartigen, glänzenden, nicht gezahnten Blättern. Dieſen eigentümlichen Charakter erhält die Vegetation am Rio Negro, Tuamini und Caſſiquiare dadurch, daß in der Nähe des Aequators die Familien der Guttiferen, der Sapotillen und der Lorbeeren vorherrſchen. Da der heitere Himmel uns eine ſchöne Nacht verhieß, ſchlugen wir ſchon um fünf Uhr abends unſer Nachtlager bei der Piedra de Culimacari auf, einem freiſtehenden Granitfelſen, gleich allen zwiſchen Atabapo und Caſſiquiare, deren ich Erwähnung gethan. Da wir die Flußkrümmungen aufnahmen, zeigte es ſich, daß dieſer Fels ungefähr unter dem Parallel der Miſſion San Francisco Solano liegt. In dieſen wüſten Ländern, wo der Menſch bis jetzt nur flüchtige Spuren ſeines Daſeins hinterlaſſen hat, ſuchte ich meine Beobachtungen immer an einer Flußmündung oder am Fuße eines an ſeiner Geſtalt leicht kenntlichen Felſens anzuſtellen. Nur ſolche von Natur unverrückbare Punkte können bei Entwerfung geographiſcher Karten als Grundlagen dienen. In der Nacht vom 10. zum 11. Mai konnte ich an α des ſüdlichen Kreuzes die Breite gut beobachten; die Länge wurde, indeſſen nicht ſo genau, nach den zwei ſchönen Sternen an den Füßen des Kentauren chronometriſch beſtimmt. Durch dieſe Beobachtung wurde, und zwar für geographiſche Zwecke hinlänglich genau, die Lage der Mündung des Rio Pacimoni, der Schanze San Carlos und des Einfluſſes des Caſſiquiare in den Rio Negro zumal ermittelt. Der Fels Culimacari liegt ganz genau, unter 2° 0′ 42″ der Breite und wahrſchein- lich unter 69° 33′ 50″ der Länge. In zwei ſpaniſch ge- ſchriebenen Abhandlungen, die ich dem Generalkapitän von Caracas und dem Miniſter Staatsſekretär d’Urquijo überreicht, habe ich den Wert dieſer aſtronomiſchen Beſtimmungen für die Berichtigung der Grenzen der portugieſiſchen Kolonieen auseinandergeſetzt. Zur Zeit von Solanos Expedition ſetzte

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/18>, abgerufen am 26.04.2024.