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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Nachdem wir am 10. Juni auf einer Insel mitten im
Strom (ich glaube auf der, welche bei Pater Caulin Acaru
heißt) die Nacht zugebracht, fuhren wir an der Mündung des
Rio Caura vorüber, der neben dem Aruy und Carony der
größte Nebenfluß des unteren Orinoko von rechts her ist.
Da ich während meines Aufenthalts in den Missionen
der Franziskaner viel geographisches Material über den Caura
sammeln konnte, habe ich eine Spezialkarte desselben ent-
worfen. Alle christlichen Niederlassungen befinden sich gegen-
wärtig nahe an der Mündung des Flusses, und die Dörfer
San Pedro, Aripao, Urbani und Guaraguaraico liegen nur
wenige Meilen hinter einander. Das erste ist das volkreichste
und hat doch nur 250 Seelen; San Luis de Guaraguaraico
ist eine Kolonie freigelassener oder flüchtiger Neger vom Esse-
quibo und verdient Aufmunterung von seiten der Regierung.
Die Versuche, die Sklaven an den Boden zu fesseln und sie
als Pächter der Früchte ihrer Arbeit als Landbauer genießen
zu lassen, sind höchst empfehlenswert. Der zum großen Teil
noch unberührte Boden am Rio Caura ist ungemein frucht-
bar; man findet dort Weiden für mehr als 15 000 Stück
Vieh; aber den armen Ansiedlern fehlt es gänzlich an Pfer-
den und an Hornvieh. Mehr als sechs Siebenteile der Ufer-
striche am Caura liegen wüste oder sind in den Händen wilder,
unabhängiger Stämme. Das Flußbett wird zweimal durch
Felsen eingeengt, und an diesen Stellen sind die Raudales
Mura und Para oder Paru; letzterer hat einen Trageplatz,
weil die Pirogen nicht darüber gehen können. Bei der
Grenzexpedition war am nördlichen Katarakt, dem von Mura,
eine kleine Schanze angelegt worden. Der Statthalter Don
Manuel Centurion hatte alsbald ein paar Häusern, welche
spanische (das heißt nicht indianische) Familien, Weiße und
Mulatten, bei der Schanze gebaut, den Titel Ciudad de
San Carlos
gegeben. Südlich vom Katarakt Para, ge-
rade am Einflusse des Erevato in den Caura, lag damals
die Mission San Luis und von da führte ein Landweg nach
der Hauptstadt Angostura. Alle diese Civilisationsversuche
führten zu nichts. Oberhalb des Raudals von Mura steht
kein Dorf mehr, und die Eingeborenen haben sozusagen das
Land wieder zurückerobert. Indessen kann das Thal des Caura
wegen seines reichen Ertrags, und wegen der leichten Ver-
bindung mit dem Rio Ventuari, dem Carony und Cuyuni,
eines Tages von großer Bedeutung werden. Ich habe oben

A. v. Humboldt, Reise. IV. 10

Nachdem wir am 10. Juni auf einer Inſel mitten im
Strom (ich glaube auf der, welche bei Pater Caulin Acaru
heißt) die Nacht zugebracht, fuhren wir an der Mündung des
Rio Caura vorüber, der neben dem Aruy und Carony der
größte Nebenfluß des unteren Orinoko von rechts her iſt.
Da ich während meines Aufenthalts in den Miſſionen
der Franziskaner viel geographiſches Material über den Caura
ſammeln konnte, habe ich eine Spezialkarte desſelben ent-
worfen. Alle chriſtlichen Niederlaſſungen befinden ſich gegen-
wärtig nahe an der Mündung des Fluſſes, und die Dörfer
San Pedro, Aripao, Urbani und Guaraguaraico liegen nur
wenige Meilen hinter einander. Das erſte iſt das volkreichſte
und hat doch nur 250 Seelen; San Luis de Guaraguaraico
iſt eine Kolonie freigelaſſener oder flüchtiger Neger vom Eſſe-
quibo und verdient Aufmunterung von ſeiten der Regierung.
Die Verſuche, die Sklaven an den Boden zu feſſeln und ſie
als Pächter der Früchte ihrer Arbeit als Landbauer genießen
zu laſſen, ſind höchſt empfehlenswert. Der zum großen Teil
noch unberührte Boden am Rio Caura iſt ungemein frucht-
bar; man findet dort Weiden für mehr als 15 000 Stück
Vieh; aber den armen Anſiedlern fehlt es gänzlich an Pfer-
den und an Hornvieh. Mehr als ſechs Siebenteile der Ufer-
ſtriche am Caura liegen wüſte oder ſind in den Händen wilder,
unabhängiger Stämme. Das Flußbett wird zweimal durch
Felſen eingeengt, und an dieſen Stellen ſind die Raudales
Mura und Para oder Paru; letzterer hat einen Trageplatz,
weil die Pirogen nicht darüber gehen können. Bei der
Grenzexpedition war am nördlichen Katarakt, dem von Mura,
eine kleine Schanze angelegt worden. Der Statthalter Don
Manuel Centurion hatte alsbald ein paar Häuſern, welche
ſpaniſche (das heißt nicht indianiſche) Familien, Weiße und
Mulatten, bei der Schanze gebaut, den Titel Ciudad de
San Carlos
gegeben. Südlich vom Katarakt Para, ge-
rade am Einfluſſe des Erevato in den Caura, lag damals
die Miſſion San Luis und von da führte ein Landweg nach
der Hauptſtadt Angoſtura. Alle dieſe Civiliſationsverſuche
führten zu nichts. Oberhalb des Raudals von Mura ſteht
kein Dorf mehr, und die Eingeborenen haben ſozuſagen das
Land wieder zurückerobert. Indeſſen kann das Thal des Caura
wegen ſeines reichen Ertrags, und wegen der leichten Ver-
bindung mit dem Rio Ventuari, dem Carony und Cuyuni,
eines Tages von großer Bedeutung werden. Ich habe oben

A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 10
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[145/0153] Nachdem wir am 10. Juni auf einer Inſel mitten im Strom (ich glaube auf der, welche bei Pater Caulin Acaru heißt) die Nacht zugebracht, fuhren wir an der Mündung des Rio Caura vorüber, der neben dem Aruy und Carony der größte Nebenfluß des unteren Orinoko von rechts her iſt. Da ich während meines Aufenthalts in den Miſſionen der Franziskaner viel geographiſches Material über den Caura ſammeln konnte, habe ich eine Spezialkarte desſelben ent- worfen. Alle chriſtlichen Niederlaſſungen befinden ſich gegen- wärtig nahe an der Mündung des Fluſſes, und die Dörfer San Pedro, Aripao, Urbani und Guaraguaraico liegen nur wenige Meilen hinter einander. Das erſte iſt das volkreichſte und hat doch nur 250 Seelen; San Luis de Guaraguaraico iſt eine Kolonie freigelaſſener oder flüchtiger Neger vom Eſſe- quibo und verdient Aufmunterung von ſeiten der Regierung. Die Verſuche, die Sklaven an den Boden zu feſſeln und ſie als Pächter der Früchte ihrer Arbeit als Landbauer genießen zu laſſen, ſind höchſt empfehlenswert. Der zum großen Teil noch unberührte Boden am Rio Caura iſt ungemein frucht- bar; man findet dort Weiden für mehr als 15 000 Stück Vieh; aber den armen Anſiedlern fehlt es gänzlich an Pfer- den und an Hornvieh. Mehr als ſechs Siebenteile der Ufer- ſtriche am Caura liegen wüſte oder ſind in den Händen wilder, unabhängiger Stämme. Das Flußbett wird zweimal durch Felſen eingeengt, und an dieſen Stellen ſind die Raudales Mura und Para oder Paru; letzterer hat einen Trageplatz, weil die Pirogen nicht darüber gehen können. Bei der Grenzexpedition war am nördlichen Katarakt, dem von Mura, eine kleine Schanze angelegt worden. Der Statthalter Don Manuel Centurion hatte alsbald ein paar Häuſern, welche ſpaniſche (das heißt nicht indianiſche) Familien, Weiße und Mulatten, bei der Schanze gebaut, den Titel Ciudad de San Carlos gegeben. Südlich vom Katarakt Para, ge- rade am Einfluſſe des Erevato in den Caura, lag damals die Miſſion San Luis und von da führte ein Landweg nach der Hauptſtadt Angoſtura. Alle dieſe Civiliſationsverſuche führten zu nichts. Oberhalb des Raudals von Mura ſteht kein Dorf mehr, und die Eingeborenen haben ſozuſagen das Land wieder zurückerobert. Indeſſen kann das Thal des Caura wegen ſeines reichen Ertrags, und wegen der leichten Ver- bindung mit dem Rio Ventuari, dem Carony und Cuyuni, eines Tages von großer Bedeutung werden. Ich habe oben A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 10

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/153>, abgerufen am 22.11.2024.