Cuchivero, wohin eine alte Sage die Aikeam-benanos oder Weiber ohne Männer versetzt, dann am kleinen Dorf Alta Gracia, nach einer spanischen Stadt so genannt, vorüber. Hier in der Nähe hatte Don Jose de Iturriaga den Pueblo de Ciudad Real angelegt, der noch auf den neuesten Karten vorkommt, obgleich der Ort wegen der un- gesunden Lage seit 50 Jahren gar nicht mehr besteht. Unterhalb der Stelle, wo sich der Orinoko gegen Ost wendet, hat man fortwährend zur rechten Hand Wälder, zur linken die Llanos oder Steppen von Venezuela. Die Wälder, die sich am Strom hinziehen, sind indessen nicht mehr so dicht, wie am oberen Orinoko. Die Bevölkerung nimmt merkbar zu, je näher man der Hauptstadt kommt; man trifft wenige Indianer mehr, dagegen Weiße, Neger und Mischlinge. Der Neger sind nicht viele, und leider ist hier, wie überall, die Armut ihrer Herren daran Schuld, daß sie nicht besser be- handelt werden und ihr Leben nicht mehr geschont wird. Ein Einwohner von Caycara, V--a, war vor kurzem zu vier- jährigem Gefängnis und 100 Piastern Geldbuße verurteilt worden, weil er in der Zornwut eine Negerin mit den Bei- nen an den Schweif seines Pferdes gebunden und sie im vollen Galopp über die Savanne geschleift hatte, bis sie vor Schmerz den Geist aufgab. Mit Vergnügen bemerke ich, daß die Audiencia allgemein getadelt wurde, weil sie eine so schändliche Behandlung nicht härter bestraft habe. Nur einige wenige Personen (und zwar gerade die, welche sich für die aufgeklärtesten und klügsten hielten) meinten, einen Weißen zu bestrafen, während die Schwarzen auf San Domingo in offenem Aufstand begriffen seien, erscheine nicht als staats- klug. Wenn Institutionen, die sich verhaßt gemacht haben, bedroht sind, fehlt es nie an Leuten, die zu Aufrechterhaltung derselben den Rat geben, daran festzuhalten, wenn sie auch der Gerechtigkeit und der Vernunft noch so offen wider- sprächen. Seit ich von diesen Ländern Abschied genommen, hat der Bürgerkrieg den Sklaven die Waffen in die Hände gegeben, und nach einer schrecklichen Erfahrung haben es die Einwohner von Venezuela zu bereuen, daß sie nicht auf die Stimme Don Domingo Tovars und anderer hochherziger Bürger gehört, die schon im Jahre 1795 im Cabildo von Caracas sich laut gegen die weitere Einführung von Negern ausgesprochen und Mittel, ihre Lage zu verbessern, in Vor- schlag gebracht haben.
Cuchivero, wohin eine alte Sage die Aikeam-benanos oder Weiber ohne Männer verſetzt, dann am kleinen Dorf Alta Gracia, nach einer ſpaniſchen Stadt ſo genannt, vorüber. Hier in der Nähe hatte Don Joſe de Iturriaga den Pueblo de Ciudad Real angelegt, der noch auf den neueſten Karten vorkommt, obgleich der Ort wegen der un- geſunden Lage ſeit 50 Jahren gar nicht mehr beſteht. Unterhalb der Stelle, wo ſich der Orinoko gegen Oſt wendet, hat man fortwährend zur rechten Hand Wälder, zur linken die Llanos oder Steppen von Venezuela. Die Wälder, die ſich am Strom hinziehen, ſind indeſſen nicht mehr ſo dicht, wie am oberen Orinoko. Die Bevölkerung nimmt merkbar zu, je näher man der Hauptſtadt kommt; man trifft wenige Indianer mehr, dagegen Weiße, Neger und Miſchlinge. Der Neger ſind nicht viele, und leider iſt hier, wie überall, die Armut ihrer Herren daran Schuld, daß ſie nicht beſſer be- handelt werden und ihr Leben nicht mehr geſchont wird. Ein Einwohner von Caycara, V—a, war vor kurzem zu vier- jährigem Gefängnis und 100 Piaſtern Geldbuße verurteilt worden, weil er in der Zornwut eine Negerin mit den Bei- nen an den Schweif ſeines Pferdes gebunden und ſie im vollen Galopp über die Savanne geſchleift hatte, bis ſie vor Schmerz den Geiſt aufgab. Mit Vergnügen bemerke ich, daß die Audiencia allgemein getadelt wurde, weil ſie eine ſo ſchändliche Behandlung nicht härter beſtraft habe. Nur einige wenige Perſonen (und zwar gerade die, welche ſich für die aufgeklärteſten und klügſten hielten) meinten, einen Weißen zu beſtrafen, während die Schwarzen auf San Domingo in offenem Aufſtand begriffen ſeien, erſcheine nicht als ſtaats- klug. Wenn Inſtitutionen, die ſich verhaßt gemacht haben, bedroht ſind, fehlt es nie an Leuten, die zu Aufrechterhaltung derſelben den Rat geben, daran feſtzuhalten, wenn ſie auch der Gerechtigkeit und der Vernunft noch ſo offen wider- ſprächen. Seit ich von dieſen Ländern Abſchied genommen, hat der Bürgerkrieg den Sklaven die Waffen in die Hände gegeben, und nach einer ſchrecklichen Erfahrung haben es die Einwohner von Venezuela zu bereuen, daß ſie nicht auf die Stimme Don Domingo Tovars und anderer hochherziger Bürger gehört, die ſchon im Jahre 1795 im Cabildo von Caracas ſich laut gegen die weitere Einführung von Negern ausgeſprochen und Mittel, ihre Lage zu verbeſſern, in Vor- ſchlag gebracht haben.
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Cuchivero, wohin eine alte Sage die Aikeam-benanos
oder Weiber ohne Männer verſetzt, dann am kleinen
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vorüber. Hier in der Nähe hatte Don Joſe de Iturriaga
den Pueblo de Ciudad Real angelegt, der noch auf den
neueſten Karten vorkommt, obgleich der Ort wegen der un-
geſunden Lage ſeit 50 Jahren gar nicht mehr beſteht.
Unterhalb der Stelle, wo ſich der Orinoko gegen Oſt wendet,
hat man fortwährend zur rechten Hand Wälder, zur linken
die Llanos oder Steppen von Venezuela. Die Wälder, die
ſich am Strom hinziehen, ſind indeſſen nicht mehr ſo dicht,
wie am oberen Orinoko. Die Bevölkerung nimmt merkbar
zu, je näher man der Hauptſtadt kommt; man trifft wenige
Indianer mehr, dagegen Weiße, Neger und Miſchlinge. Der
Neger ſind nicht viele, und leider iſt hier, wie überall, die
Armut ihrer Herren daran Schuld, daß ſie nicht beſſer be-
handelt werden und ihr Leben nicht mehr geſchont wird. Ein
Einwohner von Caycara, V—a, war vor kurzem zu vier-
jährigem Gefängnis und 100 Piaſtern Geldbuße verurteilt
worden, weil er in der Zornwut eine Negerin mit den Bei-
nen an den Schweif ſeines Pferdes gebunden und ſie im
vollen Galopp über die Savanne geſchleift hatte, bis ſie vor
Schmerz den Geiſt aufgab. Mit Vergnügen bemerke ich, daß
die Audiencia allgemein getadelt wurde, weil ſie eine ſo
ſchändliche Behandlung nicht härter beſtraft habe. Nur einige
wenige Perſonen (und zwar gerade die, welche ſich für die
aufgeklärteſten und klügſten hielten) meinten, einen Weißen
zu beſtrafen, während die Schwarzen auf San Domingo in
offenem Aufſtand begriffen ſeien, erſcheine nicht als ſtaats-
klug. Wenn Inſtitutionen, die ſich verhaßt gemacht haben,
bedroht ſind, fehlt es nie an Leuten, die zu Aufrechterhaltung
derſelben den Rat geben, daran feſtzuhalten, wenn ſie auch
der Gerechtigkeit und der Vernunft noch ſo offen wider-
ſprächen. Seit ich von dieſen Ländern Abſchied genommen,
hat der Bürgerkrieg den Sklaven die Waffen in die Hände
gegeben, und nach einer ſchrecklichen Erfahrung haben es die
Einwohner von Venezuela zu bereuen, daß ſie nicht auf die
Stimme Don Domingo Tovars und anderer hochherziger
Bürger gehört, die ſchon im Jahre 1795 im Cabildo von
Caracas ſich laut gegen die weitere Einführung von Negern
ausgeſprochen und Mittel, ihre Lage zu verbeſſern, in Vor-
ſchlag gebracht haben.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/152>, abgerufen am 22.11.2024.
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