wie man zwei dieser Seen (den Cassipa und den Parime) seit dem 16. Jahrhundert verwechselte und hin und her schob, wie man endlich in den Namen der Nebenflüsse des Rio Branco den Schlüssel zu den meisten dieser uralten Fiktionen findet.
Als wir im Begriffe waren, uns einzuschiffen, drängten sich die Einwohner um uns, die weiß und von spanischer Ab- kunft sein wollen. Die armen Leute beschworen uns, beim Statthalter von Angostura ein gutes Wort für sie einzulegen, daß sie in die Steppen (Llanos) zurückkehren dürften, oder, wenn man ihnen diese Gnade versage, daß man sie in die Missionen am Rio Negro versetze, wo es doch kühler sei und nicht so viele Insekten gebe. "Wie sehr wir uns auch ver- fehlt haben mögen," sagten sie, "wir haben es abgebüßt durch zwanzig Jahre der Qual in diesem Moskitoschwarm." Ich nahm mich in einem Berichte an die Regierung über die in- dustriellen und kommerziellen Verhältnisse dieser Länder der Verwiesenen an, aber die Schritte, die ich that, blieben er- folglos. Die Regierung war zur Zeit meiner Reise mild und zu gelinden Maßregeln geneigt; wer aber das verwickelte Räderwerk der alten spanischen Monarchie kennt, weiß auch, daß der Geist eines Ministeriums auf das Wohl der Bevölke- rung am Orinoko, in Neukalifornien und auf den Philippinen von sehr geringem Einflusse war.
Halten sich die Reisenden nur an ihr eigenes Gefühl, so streiten sie sich über die Menge der Moskiten, wie über die allmähliche Zunahme und Abnahme der Temperatur. Die Stimmung unserer Organe, die Bewegung der Luft, das Maß der Feuchtigkeit oder Trockenheit, die elektrische Spannung tausenderlei Umstände wirken zusammen, daß wir von der Hitze und den Insekten bald mehr, bald weniger leiden. Meine Reisegefährten waren einstimmig der Meinung, in Esmeralda peinigen die Moskiten ärger als am Cassiquiare und selbst in den beiden Missionen an den großen Katarakten; mir meiner- seits, der ich für die hohe Lufttemperatur weniger empfindlich war als sie, schien der Hautreiz, den die Insekten verursachen, in Esmeralda nicht so stark als an der Grenze des oberen Orinoko. Wir brauchten kühlende Waschwasser; Zitronensaft und noch mehr der Saft der Ananas lindern das Jucken der alten Stiche bedeutend; die Geschwulst vergeht nicht davon, wird aber weniger schmerzhaft. Hört man von diesen leidigen Insekten der heißen Länder sprechen, so findet man es kaum
wie man zwei dieſer Seen (den Caſſipa und den Parime) ſeit dem 16. Jahrhundert verwechſelte und hin und her ſchob, wie man endlich in den Namen der Nebenflüſſe des Rio Branco den Schlüſſel zu den meiſten dieſer uralten Fiktionen findet.
Als wir im Begriffe waren, uns einzuſchiffen, drängten ſich die Einwohner um uns, die weiß und von ſpaniſcher Ab- kunft ſein wollen. Die armen Leute beſchworen uns, beim Statthalter von Angoſtura ein gutes Wort für ſie einzulegen, daß ſie in die Steppen (Llanos) zurückkehren dürften, oder, wenn man ihnen dieſe Gnade verſage, daß man ſie in die Miſſionen am Rio Negro verſetze, wo es doch kühler ſei und nicht ſo viele Inſekten gebe. „Wie ſehr wir uns auch ver- fehlt haben mögen,“ ſagten ſie, „wir haben es abgebüßt durch zwanzig Jahre der Qual in dieſem Moskitoſchwarm.“ Ich nahm mich in einem Berichte an die Regierung über die in- duſtriellen und kommerziellen Verhältniſſe dieſer Länder der Verwieſenen an, aber die Schritte, die ich that, blieben er- folglos. Die Regierung war zur Zeit meiner Reiſe mild und zu gelinden Maßregeln geneigt; wer aber das verwickelte Räderwerk der alten ſpaniſchen Monarchie kennt, weiß auch, daß der Geiſt eines Miniſteriums auf das Wohl der Bevölke- rung am Orinoko, in Neukalifornien und auf den Philippinen von ſehr geringem Einfluſſe war.
Halten ſich die Reiſenden nur an ihr eigenes Gefühl, ſo ſtreiten ſie ſich über die Menge der Moskiten, wie über die allmähliche Zunahme und Abnahme der Temperatur. Die Stimmung unſerer Organe, die Bewegung der Luft, das Maß der Feuchtigkeit oder Trockenheit, die elektriſche Spannung tauſenderlei Umſtände wirken zuſammen, daß wir von der Hitze und den Inſekten bald mehr, bald weniger leiden. Meine Reiſegefährten waren einſtimmig der Meinung, in Esmeralda peinigen die Moskiten ärger als am Caſſiquiare und ſelbſt in den beiden Miſſionen an den großen Katarakten; mir meiner- ſeits, der ich für die hohe Lufttemperatur weniger empfindlich war als ſie, ſchien der Hautreiz, den die Inſekten verurſachen, in Esmeralda nicht ſo ſtark als an der Grenze des oberen Orinoko. Wir brauchten kühlende Waſchwaſſer; Zitronenſaft und noch mehr der Saft der Ananas lindern das Jucken der alten Stiche bedeutend; die Geſchwulſt vergeht nicht davon, wird aber weniger ſchmerzhaft. Hört man von dieſen leidigen Inſekten der heißen Länder ſprechen, ſo findet man es kaum
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[94/0102]
wie man zwei dieſer Seen (den Caſſipa und den Parime) ſeit
dem 16. Jahrhundert verwechſelte und hin und her ſchob,
wie man endlich in den Namen der Nebenflüſſe des Rio
Branco den Schlüſſel zu den meiſten dieſer uralten Fiktionen
findet.
Als wir im Begriffe waren, uns einzuſchiffen, drängten
ſich die Einwohner um uns, die weiß und von ſpaniſcher Ab-
kunft ſein wollen. Die armen Leute beſchworen uns, beim
Statthalter von Angoſtura ein gutes Wort für ſie einzulegen,
daß ſie in die Steppen (Llanos) zurückkehren dürften, oder,
wenn man ihnen dieſe Gnade verſage, daß man ſie in die
Miſſionen am Rio Negro verſetze, wo es doch kühler ſei und
nicht ſo viele Inſekten gebe. „Wie ſehr wir uns auch ver-
fehlt haben mögen,“ ſagten ſie, „wir haben es abgebüßt durch
zwanzig Jahre der Qual in dieſem Moskitoſchwarm.“ Ich
nahm mich in einem Berichte an die Regierung über die in-
duſtriellen und kommerziellen Verhältniſſe dieſer Länder der
Verwieſenen an, aber die Schritte, die ich that, blieben er-
folglos. Die Regierung war zur Zeit meiner Reiſe mild und
zu gelinden Maßregeln geneigt; wer aber das verwickelte
Räderwerk der alten ſpaniſchen Monarchie kennt, weiß auch,
daß der Geiſt eines Miniſteriums auf das Wohl der Bevölke-
rung am Orinoko, in Neukalifornien und auf den Philippinen
von ſehr geringem Einfluſſe war.
Halten ſich die Reiſenden nur an ihr eigenes Gefühl, ſo
ſtreiten ſie ſich über die Menge der Moskiten, wie über die
allmähliche Zunahme und Abnahme der Temperatur. Die
Stimmung unſerer Organe, die Bewegung der Luft, das Maß
der Feuchtigkeit oder Trockenheit, die elektriſche Spannung
tauſenderlei Umſtände wirken zuſammen, daß wir von der
Hitze und den Inſekten bald mehr, bald weniger leiden. Meine
Reiſegefährten waren einſtimmig der Meinung, in Esmeralda
peinigen die Moskiten ärger als am Caſſiquiare und ſelbſt
in den beiden Miſſionen an den großen Katarakten; mir meiner-
ſeits, der ich für die hohe Lufttemperatur weniger empfindlich
war als ſie, ſchien der Hautreiz, den die Inſekten verurſachen,
in Esmeralda nicht ſo ſtark als an der Grenze des oberen
Orinoko. Wir brauchten kühlende Waſchwaſſer; Zitronenſaft
und noch mehr der Saft der Ananas lindern das Jucken der
alten Stiche bedeutend; die Geſchwulſt vergeht nicht davon,
wird aber weniger ſchmerzhaft. Hört man von dieſen leidigen
Inſekten der heißen Länder ſprechen, ſo findet man es kaum
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/102>, abgerufen am 16.02.2025.
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