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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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sagen von den Weibern ohne Männer und der Herkunft
der grünen Steine, die damit in genauer Verbindung
stehen sollen, nichts Sicheres in Erfahrung bringen. Ich führe
aber ein neueres Zeugnis an, das nicht ohne Gewicht ist,
das des Pater Gili. Dieser gebildete Missionär sagt: "Ich
fragte einen Quaquaindianer, welche Völker am Rio Cuchivero
lebten, und er nannte mir die Achirigotos, Pajuros und Aikeam-
benanos. Da ich gut tamanakisch verstand, war mir gleich
der Sinn des letzteren Wortes klar: es ist ein zusammengesetztes
Wort und bedeutet: Weiber, die allein leben. Der In-
dianer bestätigte dies auch und erzählte, die Aikeam-benanos
seien eine Gesellschaft von Weibern, die lange Blaserohre
und anderes Kriegsgerät verfertigten. Sie nehmen nur ein-
mal im Jahre Männer vom anwohnenden Stamme der Vo-
kearos bei sich auf und machen ihnen zum Abschied Blaserohre
zum Geschenk. Alle männlichen Kinder, welche in dieser
Weiberhorde zur Welt kommen, werden ganz jung umgebracht."
Diese Geschichte erscheint wie eine Kopie der Sagen, welche
bei den Indianern am Maranon und bei den Kariben in Um-
lauf sind. Der Quaquaindianer, von dem Pater Gili spricht,
verstand aber nicht spanisch; er hatte niemals mit Weißen
verkehrt und wußte sicher nicht, daß es südlich vom Orinoko
einen anderen Fluß gibt, der der Fluß der Aikeam-benanos
oder der Amazonen heißt.

Was folgt aus diesem Bericht des alten Missionärs von
Encaramada? Keineswegs, daß es am Cuchivero Amazonen
gibt, wohl aber, daß in verschiedenen Landstrichen Amerikas
Weiber, müde der Sklavendienste, zu denen die Männer sie
verurteilen, sich wie die flüchtigen Neger in ein Palenque
zusammengethan; daß der Trieb, sich die Unabhängigkeit zu
erhalten, sie kriegerisch gemacht; daß sie von einer befreundeten
Horde in der Nähe Besuche bekamen, nur vielleicht nicht ganz
so methodisch als in der Sage. Ein solcher Weiberverein
durfte nur irgendwo in Guyana einmal zu einer gewissen
Festigkeit gediehen sein, so wurden sehr einfache Vorfälle, wie
sie an verschiedenen Orten vorkommen mochten, nach einem
Muster gemodelt und übertrieben. Dies ist ja der eigentliche
Charakter der Sage, und hätte der große Sklavenaufstand,
von dem oben die Rede war, nicht auf der Küste von
Venezuela, sondern mitten im Kontinent stattgefunden, so
hätte das leichtgläubige Volk in jedem Palenque von
Marronnegern den Hof des Königs Miguel, seinen Staats-

ſagen von den Weibern ohne Männer und der Herkunft
der grünen Steine, die damit in genauer Verbindung
ſtehen ſollen, nichts Sicheres in Erfahrung bringen. Ich führe
aber ein neueres Zeugnis an, das nicht ohne Gewicht iſt,
das des Pater Gili. Dieſer gebildete Miſſionär ſagt: „Ich
fragte einen Quaquaindianer, welche Völker am Rio Cuchivero
lebten, und er nannte mir die Achirigotos, Pajuros und Aikeam-
benanos. Da ich gut tamanakiſch verſtand, war mir gleich
der Sinn des letzteren Wortes klar: es iſt ein zuſammengeſetztes
Wort und bedeutet: Weiber, die allein leben. Der In-
dianer beſtätigte dies auch und erzählte, die Aikeam-benanos
ſeien eine Geſellſchaft von Weibern, die lange Blaſerohre
und anderes Kriegsgerät verfertigten. Sie nehmen nur ein-
mal im Jahre Männer vom anwohnenden Stamme der Vo-
kearos bei ſich auf und machen ihnen zum Abſchied Blaſerohre
zum Geſchenk. Alle männlichen Kinder, welche in dieſer
Weiberhorde zur Welt kommen, werden ganz jung umgebracht.“
Dieſe Geſchichte erſcheint wie eine Kopie der Sagen, welche
bei den Indianern am Maran̅on und bei den Kariben in Um-
lauf ſind. Der Quaquaindianer, von dem Pater Gili ſpricht,
verſtand aber nicht ſpaniſch; er hatte niemals mit Weißen
verkehrt und wußte ſicher nicht, daß es ſüdlich vom Orinoko
einen anderen Fluß gibt, der der Fluß der Aikeam-benanos
oder der Amazonen heißt.

Was folgt aus dieſem Bericht des alten Miſſionärs von
Encaramada? Keineswegs, daß es am Cuchivero Amazonen
gibt, wohl aber, daß in verſchiedenen Landſtrichen Amerikas
Weiber, müde der Sklavendienſte, zu denen die Männer ſie
verurteilen, ſich wie die flüchtigen Neger in ein Palenque
zuſammengethan; daß der Trieb, ſich die Unabhängigkeit zu
erhalten, ſie kriegeriſch gemacht; daß ſie von einer befreundeten
Horde in der Nähe Beſuche bekamen, nur vielleicht nicht ganz
ſo methodiſch als in der Sage. Ein ſolcher Weiberverein
durfte nur irgendwo in Guyana einmal zu einer gewiſſen
Feſtigkeit gediehen ſein, ſo wurden ſehr einfache Vorfälle, wie
ſie an verſchiedenen Orten vorkommen mochten, nach einem
Muſter gemodelt und übertrieben. Dies iſt ja der eigentliche
Charakter der Sage, und hätte der große Sklavenaufſtand,
von dem oben die Rede war, nicht auf der Küſte von
Venezuela, ſondern mitten im Kontinent ſtattgefunden, ſo
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[291/0299] ſagen von den Weibern ohne Männer und der Herkunft der grünen Steine, die damit in genauer Verbindung ſtehen ſollen, nichts Sicheres in Erfahrung bringen. Ich führe aber ein neueres Zeugnis an, das nicht ohne Gewicht iſt, das des Pater Gili. Dieſer gebildete Miſſionär ſagt: „Ich fragte einen Quaquaindianer, welche Völker am Rio Cuchivero lebten, und er nannte mir die Achirigotos, Pajuros und Aikeam- benanos. Da ich gut tamanakiſch verſtand, war mir gleich der Sinn des letzteren Wortes klar: es iſt ein zuſammengeſetztes Wort und bedeutet: Weiber, die allein leben. Der In- dianer beſtätigte dies auch und erzählte, die Aikeam-benanos ſeien eine Geſellſchaft von Weibern, die lange Blaſerohre und anderes Kriegsgerät verfertigten. Sie nehmen nur ein- mal im Jahre Männer vom anwohnenden Stamme der Vo- kearos bei ſich auf und machen ihnen zum Abſchied Blaſerohre zum Geſchenk. Alle männlichen Kinder, welche in dieſer Weiberhorde zur Welt kommen, werden ganz jung umgebracht.“ Dieſe Geſchichte erſcheint wie eine Kopie der Sagen, welche bei den Indianern am Maran̅on und bei den Kariben in Um- lauf ſind. Der Quaquaindianer, von dem Pater Gili ſpricht, verſtand aber nicht ſpaniſch; er hatte niemals mit Weißen verkehrt und wußte ſicher nicht, daß es ſüdlich vom Orinoko einen anderen Fluß gibt, der der Fluß der Aikeam-benanos oder der Amazonen heißt. Was folgt aus dieſem Bericht des alten Miſſionärs von Encaramada? Keineswegs, daß es am Cuchivero Amazonen gibt, wohl aber, daß in verſchiedenen Landſtrichen Amerikas Weiber, müde der Sklavendienſte, zu denen die Männer ſie verurteilen, ſich wie die flüchtigen Neger in ein Palenque zuſammengethan; daß der Trieb, ſich die Unabhängigkeit zu erhalten, ſie kriegeriſch gemacht; daß ſie von einer befreundeten Horde in der Nähe Beſuche bekamen, nur vielleicht nicht ganz ſo methodiſch als in der Sage. Ein ſolcher Weiberverein durfte nur irgendwo in Guyana einmal zu einer gewiſſen Feſtigkeit gediehen ſein, ſo wurden ſehr einfache Vorfälle, wie ſie an verſchiedenen Orten vorkommen mochten, nach einem Muſter gemodelt und übertrieben. Dies iſt ja der eigentliche Charakter der Sage, und hätte der große Sklavenaufſtand, von dem oben die Rede war, nicht auf der Küſte von Venezuela, ſondern mitten im Kontinent ſtattgefunden, ſo hätte das leichtgläubige Volk in jedem Palenque von Marronnegern den Hof des Königs Miguel, ſeinen Staats-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/299>, abgerufen am 28.04.2024.