Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.den Dörfern fortlaufen, mit der mehr oder minder reichen Wenn zwei Völker, die in Europa nebeneinander wohnen, den Dörfern fortlaufen, mit der mehr oder minder reichen Wenn zwei Völker, die in Europa nebeneinander wohnen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0258" n="250"/> den Dörfern fortlaufen, mit der mehr oder minder reichen<lb/> Ernte der Schildkröteneier, mit den Beſchwerden eines heißen,<lb/> ungeſunden Klimas. Kommen die Mönche über der Plage<lb/> der Moskiten noch zu einem anderen Gedanken, ſo beklagt<lb/> man ſich leiſe über den Präſidenten der Miſſionen, ſo ſeufzt<lb/> man über die Verblendung der Leute, die im nächſten Kapitel<lb/> den Guardian des Kloſters in Nueva Barcelona wieder wäh-<lb/> len wollen. Alles hat hier ein rein örtliches Intereſſe, und<lb/> zwar beſchränkt ſich dasſelbe auf die Angelegenheiten des<lb/> Ordens, „auf dieſe Wälder, wie die Mönche ſagen, <hi rendition="#aq">estas<lb/> selvas,</hi> die Gott uns zum Wohnſitz angewieſen“. Dieſer<lb/> etwas enge, aber ziemlich trübſelige Ideenkreis erweitert ſich,<lb/> wenn man vom oberen Orinoko an den Rio Negro kommt<lb/> und ſich der Grenze Braſiliens nähert. Hier ſcheinen alle<lb/> Köpfe vom Dämon europäiſcher Politik beſeſſen. Das Nach-<lb/> barland jenſeits des Amazonenſtromes heißt in der Sprache<lb/> der ſpaniſchen Miſſionen weder Braſilien noch <hi rendition="#aq">Capitania<lb/> general</hi> von Gran-Para, ſondern <hi rendition="#g">Portugal</hi>; die kupfer-<lb/> farbigen Indianer, die halbſchwarzen Mulatten, die ich von<lb/> Barcelos zur ſpaniſchen Schanze San Carlos heraufkommen<lb/> ſah, ſind <hi rendition="#g">Portugieſen</hi>. Dieſe Namen ſind im Munde des<lb/> Volkes bis an die Küſte von Cumana, und mit Behagen er-<lb/> zählt man den Reiſenden, welche Verwirrung ſie im Kopfe<lb/> eines alten, aus den Bergen von Bierzo gebürtigen Kom-<lb/> mandanten von Vieja Guyana angerichtet hatten. Der alte<lb/> Kriegsmann beſchwerte ſich, daß er zur See habe an den<lb/> Orinoko kommen müſſen. „Iſt es wahr,“ ſprach er, „wie<lb/> ich hier höre, daß ſpaniſch Guyana, dieſe große Provinz, ſich<lb/> bis nach Portugal erſtreckt (zu <hi rendition="#aq">los Portugueses</hi>), ſo möchte<lb/> ich wiſſen, warum der Hof mich in Cadiz ſich hat einſchiffen<lb/> laſſen? Ich hätte gerne ein paar Meilen weiter zu Lande<lb/> gemacht.“ Dieſe Aeußerung von naiver Unwiſſenheit erinnert<lb/> an eine verwunderliche Meinung des Kardinals Lorenzana.<lb/> Dieſer Prälat, der übrigens in der Geſchichte ganz zu Hauſe<lb/> iſt, ſagt in einem in neuerer Zeit in Mexiko gedruckten Buche,<lb/> die Beſitzungen des Königs von Spanien in Neukalifornien<lb/> und Neumexiko (ihr nördliches Ende liegt unter 37° 48′ der<lb/> Breite) „hängen über Land mit Sibirien zuſammen“.</p><lb/> <p>Wenn zwei Völker, die in Europa nebeneinander wohnen,<lb/> Spanier und Portugieſen, auch auf dem neuen Kontinent<lb/> Nachbarn geworden ſind, ſo verdanken ſie dieſes Verhältnis,<lb/> um nicht zu ſagen dieſen Uebelſtand, dem Unternehmungs-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [250/0258]
den Dörfern fortlaufen, mit der mehr oder minder reichen
Ernte der Schildkröteneier, mit den Beſchwerden eines heißen,
ungeſunden Klimas. Kommen die Mönche über der Plage
der Moskiten noch zu einem anderen Gedanken, ſo beklagt
man ſich leiſe über den Präſidenten der Miſſionen, ſo ſeufzt
man über die Verblendung der Leute, die im nächſten Kapitel
den Guardian des Kloſters in Nueva Barcelona wieder wäh-
len wollen. Alles hat hier ein rein örtliches Intereſſe, und
zwar beſchränkt ſich dasſelbe auf die Angelegenheiten des
Ordens, „auf dieſe Wälder, wie die Mönche ſagen, estas
selvas, die Gott uns zum Wohnſitz angewieſen“. Dieſer
etwas enge, aber ziemlich trübſelige Ideenkreis erweitert ſich,
wenn man vom oberen Orinoko an den Rio Negro kommt
und ſich der Grenze Braſiliens nähert. Hier ſcheinen alle
Köpfe vom Dämon europäiſcher Politik beſeſſen. Das Nach-
barland jenſeits des Amazonenſtromes heißt in der Sprache
der ſpaniſchen Miſſionen weder Braſilien noch Capitania
general von Gran-Para, ſondern Portugal; die kupfer-
farbigen Indianer, die halbſchwarzen Mulatten, die ich von
Barcelos zur ſpaniſchen Schanze San Carlos heraufkommen
ſah, ſind Portugieſen. Dieſe Namen ſind im Munde des
Volkes bis an die Küſte von Cumana, und mit Behagen er-
zählt man den Reiſenden, welche Verwirrung ſie im Kopfe
eines alten, aus den Bergen von Bierzo gebürtigen Kom-
mandanten von Vieja Guyana angerichtet hatten. Der alte
Kriegsmann beſchwerte ſich, daß er zur See habe an den
Orinoko kommen müſſen. „Iſt es wahr,“ ſprach er, „wie
ich hier höre, daß ſpaniſch Guyana, dieſe große Provinz, ſich
bis nach Portugal erſtreckt (zu los Portugueses), ſo möchte
ich wiſſen, warum der Hof mich in Cadiz ſich hat einſchiffen
laſſen? Ich hätte gerne ein paar Meilen weiter zu Lande
gemacht.“ Dieſe Aeußerung von naiver Unwiſſenheit erinnert
an eine verwunderliche Meinung des Kardinals Lorenzana.
Dieſer Prälat, der übrigens in der Geſchichte ganz zu Hauſe
iſt, ſagt in einem in neuerer Zeit in Mexiko gedruckten Buche,
die Beſitzungen des Königs von Spanien in Neukalifornien
und Neumexiko (ihr nördliches Ende liegt unter 37° 48′ der
Breite) „hängen über Land mit Sibirien zuſammen“.
Wenn zwei Völker, die in Europa nebeneinander wohnen,
Spanier und Portugieſen, auch auf dem neuen Kontinent
Nachbarn geworden ſind, ſo verdanken ſie dieſes Verhältnis,
um nicht zu ſagen dieſen Uebelſtand, dem Unternehmungs-
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