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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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der Völker beziehen. Auf der Nordwestküste Amerikas sind
bis auf diesen Tag keine festen Niederlassungen außer den
russischen und den spanischen Kolonieen. Noch ehe die Be-
völkerung der Vereinigten Staaten auf ihrem Zuge von Ost
nach West den Küstenstrich erreicht hatte, der zwischen dem
41. bis 50. Breitengrad lange die kastilianischen Mönche und
die sibirischen Jäger1 getrennt, ließen sich letztere südlich vom
Rio Colombia nieder. So waren denn in Neukalifornien die
Missionäre vom Orden des heil. Franz, deren Lebenswandel
und deren Eifer für den Ackerbau alle Achtung verdienen,
nicht wenig erstaunt, als sie hörten, in ihrer Nachbarschaft
seien griechische Priester eingetroffen, so daß die beiden Völker,
welche das Ost- und das Westende von Europa bewohnen,
auf den Küsten Amerikas, China gegenüber, Nachbarn ge-
worden waren. Anders wiederum gestalteten sich die Ver-
hältnisse in Guyana. Hier fanden die Spanier an ihren
Grenzen dieselben Portugiesen wieder, die mit ihnen durch
Sprache und Gemeindeverfassung einen der edelsten Reste des
römischen Europa bilden, die aber durch das Mißtrauen, wie
es aus Ungleichheit der Kräfte und allzu naher Berührung
geflossen, zu einer nicht selten feindseligen, immer aber eifer-
süchtigen Macht geworden waren. Geht man von der Küste
von Venezuela (wo, wie in der Havana und auf den Antillen
überhaupt, die europäische Handelspolitik der tägliche Gegen-
stand des Interesses ist) nach Süd, so fühlt man sich mit
jedem Tage mehr und mit wachsender Geschwindigkeit allem
entrückt, was mit dem Mutterlande zusammenhängt. Mitten
in den Steppen oder Lanos, in den mit Ochsenhäuten ge-
deckten Hütten inmitten wilder Herden unterhält man sich
von nichts als von der Pflege des Viehes, von der Trocken-
heit des Landes, die den Weiden Eintrag thut, vom Schaden,
den die Fledermäuse an Färsen und Füllen angerichtet. Kommt
man auf dem Orinoko in die Missionen in den Wäldern, so
findet man die Einwohnerschaft wieder mit anderen Dingen
beschäftigt, mit der Unzuverlässigkeit der Indianer, die aus

1 Diese Jäger gehören zu Militärposten und hängen von der
russischen Gesellschaft ab, deren Hauptaktionäre in Irkutsk sind.
Im Jahre 1804 war die kleine Festung (Krepost) in der Bucht von
Jakutal noch 2700 km von den nördlichsten mexikanischen Besitzungen
entfernt.

der Völker beziehen. Auf der Nordweſtküſte Amerikas ſind
bis auf dieſen Tag keine feſten Niederlaſſungen außer den
ruſſiſchen und den ſpaniſchen Kolonieen. Noch ehe die Be-
völkerung der Vereinigten Staaten auf ihrem Zuge von Oſt
nach Weſt den Küſtenſtrich erreicht hatte, der zwiſchen dem
41. bis 50. Breitengrad lange die kaſtilianiſchen Mönche und
die ſibiriſchen Jäger1 getrennt, ließen ſich letztere ſüdlich vom
Rio Colombia nieder. So waren denn in Neukalifornien die
Miſſionäre vom Orden des heil. Franz, deren Lebenswandel
und deren Eifer für den Ackerbau alle Achtung verdienen,
nicht wenig erſtaunt, als ſie hörten, in ihrer Nachbarſchaft
ſeien griechiſche Prieſter eingetroffen, ſo daß die beiden Völker,
welche das Oſt- und das Weſtende von Europa bewohnen,
auf den Küſten Amerikas, China gegenüber, Nachbarn ge-
worden waren. Anders wiederum geſtalteten ſich die Ver-
hältniſſe in Guyana. Hier fanden die Spanier an ihren
Grenzen dieſelben Portugieſen wieder, die mit ihnen durch
Sprache und Gemeindeverfaſſung einen der edelſten Reſte des
römiſchen Europa bilden, die aber durch das Mißtrauen, wie
es aus Ungleichheit der Kräfte und allzu naher Berührung
gefloſſen, zu einer nicht ſelten feindſeligen, immer aber eifer-
ſüchtigen Macht geworden waren. Geht man von der Küſte
von Venezuela (wo, wie in der Havana und auf den Antillen
überhaupt, die europäiſche Handelspolitik der tägliche Gegen-
ſtand des Intereſſes iſt) nach Süd, ſo fühlt man ſich mit
jedem Tage mehr und mit wachſender Geſchwindigkeit allem
entrückt, was mit dem Mutterlande zuſammenhängt. Mitten
in den Steppen oder Lanos, in den mit Ochſenhäuten ge-
deckten Hütten inmitten wilder Herden unterhält man ſich
von nichts als von der Pflege des Viehes, von der Trocken-
heit des Landes, die den Weiden Eintrag thut, vom Schaden,
den die Fledermäuſe an Färſen und Füllen angerichtet. Kommt
man auf dem Orinoko in die Miſſionen in den Wäldern, ſo
findet man die Einwohnerſchaft wieder mit anderen Dingen
beſchäftigt, mit der Unzuverläſſigkeit der Indianer, die aus

1 Dieſe Jäger gehören zu Militärpoſten und hängen von der
ruſſiſchen Geſellſchaft ab, deren Hauptaktionäre in Irkutsk ſind.
Im Jahre 1804 war die kleine Feſtung (Krepoſt) in der Bucht von
Jakutal noch 2700 km von den nördlichſten mexikaniſchen Beſitzungen
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[249/0257] der Völker beziehen. Auf der Nordweſtküſte Amerikas ſind bis auf dieſen Tag keine feſten Niederlaſſungen außer den ruſſiſchen und den ſpaniſchen Kolonieen. Noch ehe die Be- völkerung der Vereinigten Staaten auf ihrem Zuge von Oſt nach Weſt den Küſtenſtrich erreicht hatte, der zwiſchen dem 41. bis 50. Breitengrad lange die kaſtilianiſchen Mönche und die ſibiriſchen Jäger 1 getrennt, ließen ſich letztere ſüdlich vom Rio Colombia nieder. So waren denn in Neukalifornien die Miſſionäre vom Orden des heil. Franz, deren Lebenswandel und deren Eifer für den Ackerbau alle Achtung verdienen, nicht wenig erſtaunt, als ſie hörten, in ihrer Nachbarſchaft ſeien griechiſche Prieſter eingetroffen, ſo daß die beiden Völker, welche das Oſt- und das Weſtende von Europa bewohnen, auf den Küſten Amerikas, China gegenüber, Nachbarn ge- worden waren. Anders wiederum geſtalteten ſich die Ver- hältniſſe in Guyana. Hier fanden die Spanier an ihren Grenzen dieſelben Portugieſen wieder, die mit ihnen durch Sprache und Gemeindeverfaſſung einen der edelſten Reſte des römiſchen Europa bilden, die aber durch das Mißtrauen, wie es aus Ungleichheit der Kräfte und allzu naher Berührung gefloſſen, zu einer nicht ſelten feindſeligen, immer aber eifer- ſüchtigen Macht geworden waren. Geht man von der Küſte von Venezuela (wo, wie in der Havana und auf den Antillen überhaupt, die europäiſche Handelspolitik der tägliche Gegen- ſtand des Intereſſes iſt) nach Süd, ſo fühlt man ſich mit jedem Tage mehr und mit wachſender Geſchwindigkeit allem entrückt, was mit dem Mutterlande zuſammenhängt. Mitten in den Steppen oder Lanos, in den mit Ochſenhäuten ge- deckten Hütten inmitten wilder Herden unterhält man ſich von nichts als von der Pflege des Viehes, von der Trocken- heit des Landes, die den Weiden Eintrag thut, vom Schaden, den die Fledermäuſe an Färſen und Füllen angerichtet. Kommt man auf dem Orinoko in die Miſſionen in den Wäldern, ſo findet man die Einwohnerſchaft wieder mit anderen Dingen beſchäftigt, mit der Unzuverläſſigkeit der Indianer, die aus 1 Dieſe Jäger gehören zu Militärpoſten und hängen von der ruſſiſchen Geſellſchaft ab, deren Hauptaktionäre in Irkutsk ſind. Im Jahre 1804 war die kleine Feſtung (Krepoſt) in der Bucht von Jakutal noch 2700 km von den nördlichſten mexikaniſchen Beſitzungen entfernt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/257>, abgerufen am 22.11.2024.