Ost, wo der Seewind auf den neuen Kontinent trifft, erhebt sich das Gestade kaum ein paar Fuß über den Spiegel des atlantischen Meeres. Der obere Orinoko läuft anfangs von Ost nach West, und dann von Nord nach Süd. Da wo sein Lauf dem des Amazonenstromes ziemlich parallel ist, liegt zwischen ihm und dem Atlantischen Meere ein sehr gebirgiges Land, der Gebirgsstock der Parime und des holländischen und französischen Guyana, und läßt den Rotationswind nicht nach Esmeralda kommen; erst vom Einfluß des Apure an, von wo der untere Orinoko von West nach Ost über eine weite, dem Atlantischen Meer zu offene Ebene läuft, fängt der Wind an kräftig aufzutreten; dieses Stromstück ist daher auch nicht so ungesund als der obere Orinoko.
Als dritten Vergleichungspunkt führe ich das Thal des Magdalenenstromes an. Derselbe behält, wie der Amazonen- strom, immer dieselbe Richtung, aber sie ist ungünstig, weil sie nicht mit der des Seewindes zusammenfällt, sondern von Süd nach Nord geht. Obgleich im Striche der Passatwinde gelegen, hat der Magdalenenstrom eine so stockende Luft wie der obere Orinoko. Vom Kanal Mahates bis Honda, namentlich südlich von der Stadt Mompox, spürten wir niemals etwas von Wind, außer beim Anzug nächtlicher Gewitter. Kommt man dagegen auf dem Fluß über Honda hinauf, so findet man die Luft ziemlich oft in Bewegung. Die sehr starken Winde, die sich im Thale des Neiva verfangen, sind als un- gemein heiß weit berufen. Man mag es anfangs auffallend finden, daß die Windstille aufhört, wenn man im oberen Stromlauf dem Gebirge näher kommt, aber es erscheint er- klärlich, wenn man bedenkt, daß die trockenen, heißen Winde in den Llanos am Neiva von niedergehenden Luftströmungen herrühren. Kalte Luftsäulen stürzen von den Nevadas von Quindiu und Guanacas in das Thal nieder und jagen die unteren Luftschichten vor sich her. Ueberall unter den Tropen, wie in der gemäßigten Zone, entstehen durch die ungleiche Erwärmung des Bodens und durch die Nähe schneebedeckter Gebirge örtliche Luftströmungen. Jene sehr starken Winde am Neiva kommen nicht daher, daß die Passatwinde zurück- geworfen würden; sie entstehen vielmehr da, wohin der See- wind nicht gelangen kann, und wenn die meist ganz mit Bäumen bewachsenen Berge am oberen Orinoko höher wären, so würden sie in der Luft dieselben raschen Gleichgewichts- störungen hervorbringen, wie wir sie in den Gebirgen von
Oſt, wo der Seewind auf den neuen Kontinent trifft, erhebt ſich das Geſtade kaum ein paar Fuß über den Spiegel des atlantiſchen Meeres. Der obere Orinoko läuft anfangs von Oſt nach Weſt, und dann von Nord nach Süd. Da wo ſein Lauf dem des Amazonenſtromes ziemlich parallel iſt, liegt zwiſchen ihm und dem Atlantiſchen Meere ein ſehr gebirgiges Land, der Gebirgsſtock der Parime und des holländiſchen und franzöſiſchen Guyana, und läßt den Rotationswind nicht nach Esmeralda kommen; erſt vom Einfluß des Apure an, von wo der untere Orinoko von Weſt nach Oſt über eine weite, dem Atlantiſchen Meer zu offene Ebene läuft, fängt der Wind an kräftig aufzutreten; dieſes Stromſtück iſt daher auch nicht ſo ungeſund als der obere Orinoko.
Als dritten Vergleichungspunkt führe ich das Thal des Magdalenenſtromes an. Derſelbe behält, wie der Amazonen- ſtrom, immer dieſelbe Richtung, aber ſie iſt ungünſtig, weil ſie nicht mit der des Seewindes zuſammenfällt, ſondern von Süd nach Nord geht. Obgleich im Striche der Paſſatwinde gelegen, hat der Magdalenenſtrom eine ſo ſtockende Luft wie der obere Orinoko. Vom Kanal Mahates bis Honda, namentlich ſüdlich von der Stadt Mompox, ſpürten wir niemals etwas von Wind, außer beim Anzug nächtlicher Gewitter. Kommt man dagegen auf dem Fluß über Honda hinauf, ſo findet man die Luft ziemlich oft in Bewegung. Die ſehr ſtarken Winde, die ſich im Thale des Neiva verfangen, ſind als un- gemein heiß weit berufen. Man mag es anfangs auffallend finden, daß die Windſtille aufhört, wenn man im oberen Stromlauf dem Gebirge näher kommt, aber es erſcheint er- klärlich, wenn man bedenkt, daß die trockenen, heißen Winde in den Llanos am Neiva von niedergehenden Luftſtrömungen herrühren. Kalte Luftſäulen ſtürzen von den Nevadas von Quindiu und Guanacas in das Thal nieder und jagen die unteren Luftſchichten vor ſich her. Ueberall unter den Tropen, wie in der gemäßigten Zone, entſtehen durch die ungleiche Erwärmung des Bodens und durch die Nähe ſchneebedeckter Gebirge örtliche Luftſtrömungen. Jene ſehr ſtarken Winde am Neiva kommen nicht daher, daß die Paſſatwinde zurück- geworfen würden; ſie entſtehen vielmehr da, wohin der See- wind nicht gelangen kann, und wenn die meiſt ganz mit Bäumen bewachſenen Berge am oberen Orinoko höher wären, ſo würden ſie in der Luft dieſelben raſchen Gleichgewichts- ſtörungen hervorbringen, wie wir ſie in den Gebirgen von
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Oſt, wo der Seewind auf den neuen Kontinent trifft, erhebt
ſich das Geſtade kaum ein paar Fuß über den Spiegel des
atlantiſchen Meeres. Der obere Orinoko läuft anfangs von
Oſt nach Weſt, und dann von Nord nach Süd. Da wo ſein
Lauf dem des Amazonenſtromes ziemlich parallel iſt, liegt
zwiſchen ihm und dem Atlantiſchen Meere ein ſehr gebirgiges
Land, der Gebirgsſtock der Parime und des holländiſchen und
franzöſiſchen Guyana, und läßt den Rotationswind nicht nach
Esmeralda kommen; erſt vom Einfluß des Apure an, von wo
der untere Orinoko von Weſt nach Oſt über eine weite, dem
Atlantiſchen Meer zu offene Ebene läuft, fängt der Wind an
kräftig aufzutreten; dieſes Stromſtück iſt daher auch nicht ſo
ungeſund als der obere Orinoko.
Als dritten Vergleichungspunkt führe ich das Thal des
Magdalenenſtromes an. Derſelbe behält, wie der Amazonen-
ſtrom, immer dieſelbe Richtung, aber ſie iſt ungünſtig, weil
ſie nicht mit der des Seewindes zuſammenfällt, ſondern von
Süd nach Nord geht. Obgleich im Striche der Paſſatwinde
gelegen, hat der Magdalenenſtrom eine ſo ſtockende Luft wie
der obere Orinoko. Vom Kanal Mahates bis Honda, namentlich
ſüdlich von der Stadt Mompox, ſpürten wir niemals etwas
von Wind, außer beim Anzug nächtlicher Gewitter. Kommt
man dagegen auf dem Fluß über Honda hinauf, ſo findet
man die Luft ziemlich oft in Bewegung. Die ſehr ſtarken
Winde, die ſich im Thale des Neiva verfangen, ſind als un-
gemein heiß weit berufen. Man mag es anfangs auffallend
finden, daß die Windſtille aufhört, wenn man im oberen
Stromlauf dem Gebirge näher kommt, aber es erſcheint er-
klärlich, wenn man bedenkt, daß die trockenen, heißen Winde
in den Llanos am Neiva von niedergehenden Luftſtrömungen
herrühren. Kalte Luftſäulen ſtürzen von den Nevadas von
Quindiu und Guanacas in das Thal nieder und jagen die
unteren Luftſchichten vor ſich her. Ueberall unter den Tropen,
wie in der gemäßigten Zone, entſtehen durch die ungleiche
Erwärmung des Bodens und durch die Nähe ſchneebedeckter
Gebirge örtliche Luftſtrömungen. Jene ſehr ſtarken Winde
am Neiva kommen nicht daher, daß die Paſſatwinde zurück-
geworfen würden; ſie entſtehen vielmehr da, wohin der See-
wind nicht gelangen kann, und wenn die meiſt ganz mit
Bäumen bewachſenen Berge am oberen Orinoko höher wären,
ſo würden ſie in der Luft dieſelben raſchen Gleichgewichts-
ſtörungen hervorbringen, wie wir ſie in den Gebirgen von
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/193>, abgerufen am 20.07.2024.
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