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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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beständig herumwirbelt und diese dadurch nach allen Durch-
messern erweitert. Die Pongos des Amazonenstromes sind
leicht zerstörlich, da die Felsdämme nicht aus Granit bestehen,
sondern aus Konglomerat, aus rotem, grobkörnigem Sand-
stein. Der Pongo von Rentama stürzte vor 80 Jahren teil-
weise ein, und da sich das Wasser hinter einem neugebildeten
Damme staute, so lag das Flußbett ein paar Stunden trocken
zur großen Verwunderung der Einwohner des Dorfes Puyaya,
31 km unter dem eingestürzten Pongo. Die Indianer in
Atures versichern (und diese Aussage widerspricht der Ansicht
des Paters Caulin), die Felsen im Raudal haben immer das-
selbe Aussehen, aber die einzelnen Strömungen, in die der
große Strom zerschlagen wird, ändern beim Durchgang durch
die aufgehäuften Granitblöcke ihre Richtung und werfen bald
mehr, bald weniger Wasser gegen das eine oder das andere
Ufer. Die Ursachen dieses Wechsels können den Katarakten
sehr ferne liegen; denn in den Flüssen, die auf der Erd-
oberfläche Leben verbreiten, wie die Adern in den organi-
schen Körpern, pflanzen sich alle Bewegungen weithin fort.
Schwingungen, die anfangs ganz lokal scheinen, wirken auf
die ganze flüssige Masse im Stamme und den vielen Ver-
zweigungen desselben.

Ich weiß wohl, daß, vergleicht man den heutigen Zu-
stand der Stromschnellen bei Syene, deren einzelne Staffeln
kaum 15 cm hoch sind,1 mit den großartigen Beschreibungen
der Alten, man leicht geneigt ist, im Nilbett die Wirkungen
der Auswaschungen, überhaupt die gewaltigen Einflüsse des
strömenden Wassers zu erblicken, aus denen man in der Geo-
logie lange die Bildung der Thäler und die Zerrissenheit des
Bodens in den Kordilleren befriedigend erklären zu können
meinte. Diese Ansicht wird durch den Augenschein keineswegs
unterstützt. Wir stellen nicht in Abrede, daß die Ströme,
überhaupt fließende Wasser, wo sie in zerreibliches Gestein,
in sekundäre Gebirgsformationen einschneiden, bedeutende
Wirkungen ausüben. Aber die Granitfelsen bei Elephantine
haben wahrscheinlich seit Tausenden von Jahren an absoluter
Höhe so wenig abgenommen als der Gipfel des Montblanc
und des Canigou. Hat man die großen Naturßenerieen in

1 Der Chellal zwischen Philä und Syene hat zehn Staffeln,
die zusammen einen 1,6 bis 2,3 m hohen Fall bilden, je nach dem
tiefen oder hohen Wasserstand des Nil. Der Fall ist 970 m lang.

beſtändig herumwirbelt und dieſe dadurch nach allen Durch-
meſſern erweitert. Die Pongos des Amazonenſtromes ſind
leicht zerſtörlich, da die Felsdämme nicht aus Granit beſtehen,
ſondern aus Konglomerat, aus rotem, grobkörnigem Sand-
ſtein. Der Pongo von Rentama ſtürzte vor 80 Jahren teil-
weiſe ein, und da ſich das Waſſer hinter einem neugebildeten
Damme ſtaute, ſo lag das Flußbett ein paar Stunden trocken
zur großen Verwunderung der Einwohner des Dorfes Puyaya,
31 km unter dem eingeſtürzten Pongo. Die Indianer in
Atures verſichern (und dieſe Ausſage widerſpricht der Anſicht
des Paters Caulin), die Felſen im Raudal haben immer das-
ſelbe Ausſehen, aber die einzelnen Strömungen, in die der
große Strom zerſchlagen wird, ändern beim Durchgang durch
die aufgehäuften Granitblöcke ihre Richtung und werfen bald
mehr, bald weniger Waſſer gegen das eine oder das andere
Ufer. Die Urſachen dieſes Wechſels können den Katarakten
ſehr ferne liegen; denn in den Flüſſen, die auf der Erd-
oberfläche Leben verbreiten, wie die Adern in den organi-
ſchen Körpern, pflanzen ſich alle Bewegungen weithin fort.
Schwingungen, die anfangs ganz lokal ſcheinen, wirken auf
die ganze flüſſige Maſſe im Stamme und den vielen Ver-
zweigungen desſelben.

Ich weiß wohl, daß, vergleicht man den heutigen Zu-
ſtand der Stromſchnellen bei Syene, deren einzelne Staffeln
kaum 15 cm hoch ſind,1 mit den großartigen Beſchreibungen
der Alten, man leicht geneigt iſt, im Nilbett die Wirkungen
der Auswaſchungen, überhaupt die gewaltigen Einflüſſe des
ſtrömenden Waſſers zu erblicken, aus denen man in der Geo-
logie lange die Bildung der Thäler und die Zerriſſenheit des
Bodens in den Kordilleren befriedigend erklären zu können
meinte. Dieſe Anſicht wird durch den Augenſchein keineswegs
unterſtützt. Wir ſtellen nicht in Abrede, daß die Ströme,
überhaupt fließende Waſſer, wo ſie in zerreibliches Geſtein,
in ſekundäre Gebirgsformationen einſchneiden, bedeutende
Wirkungen ausüben. Aber die Granitfelſen bei Elephantine
haben wahrſcheinlich ſeit Tauſenden von Jahren an abſoluter
Höhe ſo wenig abgenommen als der Gipfel des Montblanc
und des Canigou. Hat man die großen Naturſzenerieen in

1 Der Chellal zwiſchen Philä und Syene hat zehn Staffeln,
die zuſammen einen 1,6 bis 2,3 m hohen Fall bilden, je nach dem
tiefen oder hohen Waſſerſtand des Nil. Der Fall iſt 970 m lang.
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[131/0139] beſtändig herumwirbelt und dieſe dadurch nach allen Durch- meſſern erweitert. Die Pongos des Amazonenſtromes ſind leicht zerſtörlich, da die Felsdämme nicht aus Granit beſtehen, ſondern aus Konglomerat, aus rotem, grobkörnigem Sand- ſtein. Der Pongo von Rentama ſtürzte vor 80 Jahren teil- weiſe ein, und da ſich das Waſſer hinter einem neugebildeten Damme ſtaute, ſo lag das Flußbett ein paar Stunden trocken zur großen Verwunderung der Einwohner des Dorfes Puyaya, 31 km unter dem eingeſtürzten Pongo. Die Indianer in Atures verſichern (und dieſe Ausſage widerſpricht der Anſicht des Paters Caulin), die Felſen im Raudal haben immer das- ſelbe Ausſehen, aber die einzelnen Strömungen, in die der große Strom zerſchlagen wird, ändern beim Durchgang durch die aufgehäuften Granitblöcke ihre Richtung und werfen bald mehr, bald weniger Waſſer gegen das eine oder das andere Ufer. Die Urſachen dieſes Wechſels können den Katarakten ſehr ferne liegen; denn in den Flüſſen, die auf der Erd- oberfläche Leben verbreiten, wie die Adern in den organi- ſchen Körpern, pflanzen ſich alle Bewegungen weithin fort. Schwingungen, die anfangs ganz lokal ſcheinen, wirken auf die ganze flüſſige Maſſe im Stamme und den vielen Ver- zweigungen desſelben. Ich weiß wohl, daß, vergleicht man den heutigen Zu- ſtand der Stromſchnellen bei Syene, deren einzelne Staffeln kaum 15 cm hoch ſind, 1 mit den großartigen Beſchreibungen der Alten, man leicht geneigt iſt, im Nilbett die Wirkungen der Auswaſchungen, überhaupt die gewaltigen Einflüſſe des ſtrömenden Waſſers zu erblicken, aus denen man in der Geo- logie lange die Bildung der Thäler und die Zerriſſenheit des Bodens in den Kordilleren befriedigend erklären zu können meinte. Dieſe Anſicht wird durch den Augenſchein keineswegs unterſtützt. Wir ſtellen nicht in Abrede, daß die Ströme, überhaupt fließende Waſſer, wo ſie in zerreibliches Geſtein, in ſekundäre Gebirgsformationen einſchneiden, bedeutende Wirkungen ausüben. Aber die Granitfelſen bei Elephantine haben wahrſcheinlich ſeit Tauſenden von Jahren an abſoluter Höhe ſo wenig abgenommen als der Gipfel des Montblanc und des Canigou. Hat man die großen Naturſzenerieen in 1 Der Chellal zwiſchen Philä und Syene hat zehn Staffeln, die zuſammen einen 1,6 bis 2,3 m hohen Fall bilden, je nach dem tiefen oder hohen Waſſerſtand des Nil. Der Fall iſt 970 m lang.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/139>, abgerufen am 19.04.2024.