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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Kanälen, durch die das Wasser von einer Staffel zur anderen
sich Bahn bricht. Von zwei gleich breiten Flüssen kann der
eine Fälle haben, die nicht so hoch sind als die des anderen,
und doch weit gefährlicher und tobender.

Meine obige Angabe über die senkrechte Höhe der Rau-
dales des Orinoko lautet nicht ganz bestimmt, und ich habe
damit auch nur eine Grenzzahl gegeben. Ich brachte den
Barometer auf die kleine Ebene bei der Mission Atures und
den Katarakten, ich konnte aber keine konstanten Unterschiede
beobachten. Bekanntlich wird die barometrische Messung sehr
schwierig, wenn es sich von ganz unbedeutenden Höhenunter-
schieden handelt. Durch kleine Unregelmäßigkeiten in der stünd-
lichen Schwankung (Unregelmäßigkeiten, die sich mehr auf das
Maß der Schwankung als auf den Zeitpunkt beziehen) wird
das Ergebnis zweifelhaft, wenn man nicht an jedem der beiden
Standpunkte einen Barometer hat, und wenn man Unterschiede
im Luftdruck von 1 mm auffassen soll.

Wahrscheinlich wird die Wassermasse des Stromes durch
die Katarakte geringer, nicht allein weil durch das Zerschlagen
des Wassers in Tropfen die Verdunstung gesteigert wird,
sondern auch, und hauptsächlich, weil viel Wasser in unter-
irdische Höhlen versinkt. Dieser Verlust ist übrigens nicht sehr
auffallend, wenn man die Wassermasse da, wo sie in die Rau-
dales eintritt, mit der vergleicht, welche beim Einflusse des
Rio Anaveni davon wegzieht. Durch eine solche Vergleichung
hat man gefunden, daß unter den Yellala oder Raudales
des Kongoflusses unterirdische Höhlungen liegen müssen. Im
Pongo von Manseriche, der viel mehr eine Stromenge als ein
Wasserfall heißen sollte, verschwindet auf eine noch nicht ge-
hörig ermittelte Weise das Wasser des oberen Amazonenstromes
zum Teil mit all seinem Treibholz.

Sitzt man am Ufer des Orinoko und betrachtet die Fels-
dämme, an denen sich der Strom donnernd bricht, so fragt
man sich, ob die Fälle im Laufe der Jahrhunderte nach Ge-
staltung und Höhe sich verändern werden. Ich bin nicht sehr
geneigt, dem Stoße des Wassers gegen Granitblöcke und dem
Zerfressen kieselhaltigen Gesteines solche Wirkungen zuzu-
schreiben. Die nach unten sich verengenden Löcher, die Trichter,
wie man sie in den Raudales und bei so vielen Wasserfällen
in Europa antrifft, entstehen nur durch die Reibung des Sandes
und das Rollen der Quarzgeschiebe. Wir haben solche Ge-
schiebe gesehen, welche die Strömung am Boden der Trichter

Kanälen, durch die das Waſſer von einer Staffel zur anderen
ſich Bahn bricht. Von zwei gleich breiten Flüſſen kann der
eine Fälle haben, die nicht ſo hoch ſind als die des anderen,
und doch weit gefährlicher und tobender.

Meine obige Angabe über die ſenkrechte Höhe der Rau-
dales des Orinoko lautet nicht ganz beſtimmt, und ich habe
damit auch nur eine Grenzzahl gegeben. Ich brachte den
Barometer auf die kleine Ebene bei der Miſſion Atures und
den Katarakten, ich konnte aber keine konſtanten Unterſchiede
beobachten. Bekanntlich wird die barometriſche Meſſung ſehr
ſchwierig, wenn es ſich von ganz unbedeutenden Höhenunter-
ſchieden handelt. Durch kleine Unregelmäßigkeiten in der ſtünd-
lichen Schwankung (Unregelmäßigkeiten, die ſich mehr auf das
Maß der Schwankung als auf den Zeitpunkt beziehen) wird
das Ergebnis zweifelhaft, wenn man nicht an jedem der beiden
Standpunkte einen Barometer hat, und wenn man Unterſchiede
im Luftdruck von 1 mm auffaſſen ſoll.

Wahrſcheinlich wird die Waſſermaſſe des Stromes durch
die Katarakte geringer, nicht allein weil durch das Zerſchlagen
des Waſſers in Tropfen die Verdunſtung geſteigert wird,
ſondern auch, und hauptſächlich, weil viel Waſſer in unter-
irdiſche Höhlen verſinkt. Dieſer Verluſt iſt übrigens nicht ſehr
auffallend, wenn man die Waſſermaſſe da, wo ſie in die Rau-
dales eintritt, mit der vergleicht, welche beim Einfluſſe des
Rio Anaveni davon wegzieht. Durch eine ſolche Vergleichung
hat man gefunden, daß unter den Yellala oder Raudales
des Kongofluſſes unterirdiſche Höhlungen liegen müſſen. Im
Pongo von Manſeriche, der viel mehr eine Stromenge als ein
Waſſerfall heißen ſollte, verſchwindet auf eine noch nicht ge-
hörig ermittelte Weiſe das Waſſer des oberen Amazonenſtromes
zum Teil mit all ſeinem Treibholz.

Sitzt man am Ufer des Orinoko und betrachtet die Fels-
dämme, an denen ſich der Strom donnernd bricht, ſo fragt
man ſich, ob die Fälle im Laufe der Jahrhunderte nach Ge-
ſtaltung und Höhe ſich verändern werden. Ich bin nicht ſehr
geneigt, dem Stoße des Waſſers gegen Granitblöcke und dem
Zerfreſſen kieſelhaltigen Geſteines ſolche Wirkungen zuzu-
ſchreiben. Die nach unten ſich verengenden Löcher, die Trichter,
wie man ſie in den Raudales und bei ſo vielen Waſſerfällen
in Europa antrifft, entſtehen nur durch die Reibung des Sandes
und das Rollen der Quarzgeſchiebe. Wir haben ſolche Ge-
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[130/0138] Kanälen, durch die das Waſſer von einer Staffel zur anderen ſich Bahn bricht. Von zwei gleich breiten Flüſſen kann der eine Fälle haben, die nicht ſo hoch ſind als die des anderen, und doch weit gefährlicher und tobender. Meine obige Angabe über die ſenkrechte Höhe der Rau- dales des Orinoko lautet nicht ganz beſtimmt, und ich habe damit auch nur eine Grenzzahl gegeben. Ich brachte den Barometer auf die kleine Ebene bei der Miſſion Atures und den Katarakten, ich konnte aber keine konſtanten Unterſchiede beobachten. Bekanntlich wird die barometriſche Meſſung ſehr ſchwierig, wenn es ſich von ganz unbedeutenden Höhenunter- ſchieden handelt. Durch kleine Unregelmäßigkeiten in der ſtünd- lichen Schwankung (Unregelmäßigkeiten, die ſich mehr auf das Maß der Schwankung als auf den Zeitpunkt beziehen) wird das Ergebnis zweifelhaft, wenn man nicht an jedem der beiden Standpunkte einen Barometer hat, und wenn man Unterſchiede im Luftdruck von 1 mm auffaſſen ſoll. Wahrſcheinlich wird die Waſſermaſſe des Stromes durch die Katarakte geringer, nicht allein weil durch das Zerſchlagen des Waſſers in Tropfen die Verdunſtung geſteigert wird, ſondern auch, und hauptſächlich, weil viel Waſſer in unter- irdiſche Höhlen verſinkt. Dieſer Verluſt iſt übrigens nicht ſehr auffallend, wenn man die Waſſermaſſe da, wo ſie in die Rau- dales eintritt, mit der vergleicht, welche beim Einfluſſe des Rio Anaveni davon wegzieht. Durch eine ſolche Vergleichung hat man gefunden, daß unter den Yellala oder Raudales des Kongofluſſes unterirdiſche Höhlungen liegen müſſen. Im Pongo von Manſeriche, der viel mehr eine Stromenge als ein Waſſerfall heißen ſollte, verſchwindet auf eine noch nicht ge- hörig ermittelte Weiſe das Waſſer des oberen Amazonenſtromes zum Teil mit all ſeinem Treibholz. Sitzt man am Ufer des Orinoko und betrachtet die Fels- dämme, an denen ſich der Strom donnernd bricht, ſo fragt man ſich, ob die Fälle im Laufe der Jahrhunderte nach Ge- ſtaltung und Höhe ſich verändern werden. Ich bin nicht ſehr geneigt, dem Stoße des Waſſers gegen Granitblöcke und dem Zerfreſſen kieſelhaltigen Geſteines ſolche Wirkungen zuzu- ſchreiben. Die nach unten ſich verengenden Löcher, die Trichter, wie man ſie in den Raudales und bei ſo vielen Waſſerfällen in Europa antrifft, entſtehen nur durch die Reibung des Sandes und das Rollen der Quarzgeſchiebe. Wir haben ſolche Ge- ſchiebe geſehen, welche die Strömung am Boden der Trichter

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/138>, abgerufen am 29.03.2024.