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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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der Pongo von Manseriche im oberen Amazonenstrome, den
La Condamine für weit gefährlicher gehalten hat, als er in
Wahrheit ist, und den der Pfarrer von San Borja hinauf
muß, so oft er im Dorfe San Jago eine Amtsverrichtung hat.

Der Orinoko, der Rio Negro und fast alle Nebenflüsse
des Amazonenstromes oder Marannon haben Fälle oder Strom-
schnellen entweder in der Nähe ihres Ursprunges durch Berge
laufen, oder weil sie auf der mittleren Strecke ihres Laufes
auf andere Berge stoßen. Wenn, wie oben bemerkt, Wasser
des Amazonenstromes vom Pongo von Manseriche bis zu seiner
Mündung, mehr als 3375 km weit, nirgends heftig aufgeregt
sind, so verdankt er diesen ungemein großen Vorteil dem Um-
stande, daß er immer die gleiche Richtung einhält. Er fließt
von Ost nach West über eine weite Ebene, die gleichsam ein
Längenthal zwischen der Bergkette der Parime und dem großen
brasilianischen Gebirgsstocke bildet.

Zu meiner Ueberraschung ersah ich aus unmittelbarer
Messung, daß die Stromschnellen des Orinoko, deren Donner
man über 4,5 km weit hört, und die durch die mannigfaltige
Verteilung von Wasser, Palmbäumen und Felsen so aus-
nehmend malerisch sind, in ihrer ganzen Länge schwerlich mehr
als 9,1 m senkrechte Höhe haben. Bei näherer Ueberlegung
zeigt es sich, daß dies für Stromschnellen viel ist, während
es für einen einzelnen Wasserfall sehr wenig wäre. Bei den
Yellala im Kongofluß, in der Einschnürung seines Bettes
zwischen Banza Noki und Banza Inga, ist der Höhenunter-
schied zwischen den oberen und den unteren Staffeln weit
bedeutender; Barrow bemerkt aber, daß sich hier unter den
vielen Stromschnellen ein Fall findet, der allein 9,75 m hoch
ist. Andererseits haben die vielberufenen Pongos im Ama-
zonenstrome, wo die Bergfahrt so gefährlich ist, die Fälle von
Rentama, Escurrebragas und Mayasi, auch nur ein paar Fuß
senkrechte Höhe. Wer sich mit Wasserbauten abgibt, weiß,
welche Wirkung in einem großen Flusse eine Schwellung von
48 bis 53 cm hat. Das Toben des Wassers und die Wirbel
werden überall keineswegs allein von der Höhe der einzelnen
Fälle bedingt, sondern vielmehr davon, wie nahe die Fälle
hintereinander liegen, ferner vom Neigungswinkel der Felsen-
dämme, von den sogenannten Lames de reflexion, die in-
einander stoßen und übereinander weggehen, von der Gestalt
der Inseln und Klippen, von der Richtung der Gegenströ-
mungen, von den Krümmungen und engen Stellen in den

A. v. Humboldt, Reise. III. 9

der Pongo von Manſeriche im oberen Amazonenſtrome, den
La Condamine für weit gefährlicher gehalten hat, als er in
Wahrheit iſt, und den der Pfarrer von San Borja hinauf
muß, ſo oft er im Dorfe San Jago eine Amtsverrichtung hat.

Der Orinoko, der Rio Negro und faſt alle Nebenflüſſe
des Amazonenſtromes oder Marañon haben Fälle oder Strom-
ſchnellen entweder in der Nähe ihres Urſprunges durch Berge
laufen, oder weil ſie auf der mittleren Strecke ihres Laufes
auf andere Berge ſtoßen. Wenn, wie oben bemerkt, Waſſer
des Amazonenſtromes vom Pongo von Manſeriche bis zu ſeiner
Mündung, mehr als 3375 km weit, nirgends heftig aufgeregt
ſind, ſo verdankt er dieſen ungemein großen Vorteil dem Um-
ſtande, daß er immer die gleiche Richtung einhält. Er fließt
von Oſt nach Weſt über eine weite Ebene, die gleichſam ein
Längenthal zwiſchen der Bergkette der Parime und dem großen
braſilianiſchen Gebirgsſtocke bildet.

Zu meiner Ueberraſchung erſah ich aus unmittelbarer
Meſſung, daß die Stromſchnellen des Orinoko, deren Donner
man über 4,5 km weit hört, und die durch die mannigfaltige
Verteilung von Waſſer, Palmbäumen und Felſen ſo aus-
nehmend maleriſch ſind, in ihrer ganzen Länge ſchwerlich mehr
als 9,1 m ſenkrechte Höhe haben. Bei näherer Ueberlegung
zeigt es ſich, daß dies für Stromſchnellen viel iſt, während
es für einen einzelnen Waſſerfall ſehr wenig wäre. Bei den
Yellala im Kongofluß, in der Einſchnürung ſeines Bettes
zwiſchen Banza Noki und Banza Inga, iſt der Höhenunter-
ſchied zwiſchen den oberen und den unteren Staffeln weit
bedeutender; Barrow bemerkt aber, daß ſich hier unter den
vielen Stromſchnellen ein Fall findet, der allein 9,75 m hoch
iſt. Andererſeits haben die vielberufenen Pongos im Ama-
zonenſtrome, wo die Bergfahrt ſo gefährlich iſt, die Fälle von
Rentama, Escurrebragas und Mayaſi, auch nur ein paar Fuß
ſenkrechte Höhe. Wer ſich mit Waſſerbauten abgibt, weiß,
welche Wirkung in einem großen Fluſſe eine Schwellung von
48 bis 53 cm hat. Das Toben des Waſſers und die Wirbel
werden überall keineswegs allein von der Höhe der einzelnen
Fälle bedingt, ſondern vielmehr davon, wie nahe die Fälle
hintereinander liegen, ferner vom Neigungswinkel der Felſen-
dämme, von den ſogenannten Lames de réflexion, die in-
einander ſtoßen und übereinander weggehen, von der Geſtalt
der Inſeln und Klippen, von der Richtung der Gegenſtrö-
mungen, von den Krümmungen und engen Stellen in den

A. v. Humboldt, Reiſe. III. 9
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[129/0137] der Pongo von Manſeriche im oberen Amazonenſtrome, den La Condamine für weit gefährlicher gehalten hat, als er in Wahrheit iſt, und den der Pfarrer von San Borja hinauf muß, ſo oft er im Dorfe San Jago eine Amtsverrichtung hat. Der Orinoko, der Rio Negro und faſt alle Nebenflüſſe des Amazonenſtromes oder Marañon haben Fälle oder Strom- ſchnellen entweder in der Nähe ihres Urſprunges durch Berge laufen, oder weil ſie auf der mittleren Strecke ihres Laufes auf andere Berge ſtoßen. Wenn, wie oben bemerkt, Waſſer des Amazonenſtromes vom Pongo von Manſeriche bis zu ſeiner Mündung, mehr als 3375 km weit, nirgends heftig aufgeregt ſind, ſo verdankt er dieſen ungemein großen Vorteil dem Um- ſtande, daß er immer die gleiche Richtung einhält. Er fließt von Oſt nach Weſt über eine weite Ebene, die gleichſam ein Längenthal zwiſchen der Bergkette der Parime und dem großen braſilianiſchen Gebirgsſtocke bildet. Zu meiner Ueberraſchung erſah ich aus unmittelbarer Meſſung, daß die Stromſchnellen des Orinoko, deren Donner man über 4,5 km weit hört, und die durch die mannigfaltige Verteilung von Waſſer, Palmbäumen und Felſen ſo aus- nehmend maleriſch ſind, in ihrer ganzen Länge ſchwerlich mehr als 9,1 m ſenkrechte Höhe haben. Bei näherer Ueberlegung zeigt es ſich, daß dies für Stromſchnellen viel iſt, während es für einen einzelnen Waſſerfall ſehr wenig wäre. Bei den Yellala im Kongofluß, in der Einſchnürung ſeines Bettes zwiſchen Banza Noki und Banza Inga, iſt der Höhenunter- ſchied zwiſchen den oberen und den unteren Staffeln weit bedeutender; Barrow bemerkt aber, daß ſich hier unter den vielen Stromſchnellen ein Fall findet, der allein 9,75 m hoch iſt. Andererſeits haben die vielberufenen Pongos im Ama- zonenſtrome, wo die Bergfahrt ſo gefährlich iſt, die Fälle von Rentama, Escurrebragas und Mayaſi, auch nur ein paar Fuß ſenkrechte Höhe. Wer ſich mit Waſſerbauten abgibt, weiß, welche Wirkung in einem großen Fluſſe eine Schwellung von 48 bis 53 cm hat. Das Toben des Waſſers und die Wirbel werden überall keineswegs allein von der Höhe der einzelnen Fälle bedingt, ſondern vielmehr davon, wie nahe die Fälle hintereinander liegen, ferner vom Neigungswinkel der Felſen- dämme, von den ſogenannten Lames de réflexion, die in- einander ſtoßen und übereinander weggehen, von der Geſtalt der Inſeln und Klippen, von der Richtung der Gegenſtrö- mungen, von den Krümmungen und engen Stellen in den A. v. Humboldt, Reiſe. III. 9

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/137>, abgerufen am 28.03.2024.