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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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nicht ebenso betroffen hätte, wenn sie immer unabhängig ge-
blieben wären.

Welches sind die Ursachen der Fieber, die einen großen
Teil des Jahres hindurch in den Dörfern Atures und May-
pures an den zwei großen Katarakten des Orinoko herrschen
und die Gegend für den europäischen Reisenden so gefährlich
machen? Die große Hitze im Verein mit der außerordentlich
starken Feuchtigkeit der Luft, die schlechte Nahrung und, wenn
man den Eingeborenen glaubt, giftige Dünste, die sich aus
den kahlen Felsen der Raudales entwickeln. Diese Orinoko-
fieber kommen, wie es uns schien, vollkommen mit denen
überein, die alle Jahre in der Nähe des Meeres zwischen
Nueva Barcelona, Guayra und Porto Cabello auftreten und
oft in adynamische Fieber ausarten. "Ich habe mein kleines
Fieber (mi calenturita) erst seit acht Monaten," sagte der
gute Missionär von Atures, der uns an den Rio Negro be-
gleitete; er sprach davon wie von einem gewohnten, wohl zu
ertragenden Leiden. Die Anfälle waren heftig, aber von
kurzer Dauer; bald traten sie ein, wenn er in der Piroge
auf einem Gitter von Baumzweigen lag, bald wenn er auf
offenem Ufer der heißen Sonne ausgesetzt war. Diese drei-
tägigen Fieber sind mit bedeutender Schwächung des Muskel-
systems verbunden; indessen sieht man am Orinoko arme
Ordensgeistliche sich jahrelang mit diesen Calenturitas und
Tercianas schleppen; die Wirkungen sind nicht so tief greifend
und gefährlich als bei kürzer dauernden Fiebern in gemäßigten
Himmelsstrichen.

Ich erwähnte eben, daß die Eingeborenen und sogar die
Missionäre den kahlen Felsen einen nachteiligen Einfluß auf
die Salubrität der Luft zuschreiben. Dieser Glaube verdient
um so mehr Beachtung, da er mit einer physikalischen Er-
scheinung zusammenhängt, die kürzlich in verschiedenen Land-
strichen beobachtet worden und noch nicht gehörig erklärt ist.
In den Katarakten und überall, wo der Orinoko zwischen den
Missionen Carichana und Santa Barbara periodisch das
Granitgestein bespült, ist dieses glatt, dunkelfarbig, wie mit
Wasserblei überzogen. Die färbende Substanz dringt nicht in
den Stein ein, der ein grobkörniger Granit ist, welcher hie
und da Hornblendekristalle enthält. Der schwarze Ueberzug
ist 0,6 mm dick und findet sich vorzüglich auf den quarzigen
Stellen; die Feldspatkristalle haben zuweilen äußerlich ihre
rötlichweiße Farbe behalten und springen aus der schwarzen

nicht ebenſo betroffen hätte, wenn ſie immer unabhängig ge-
blieben wären.

Welches ſind die Urſachen der Fieber, die einen großen
Teil des Jahres hindurch in den Dörfern Atures und May-
pures an den zwei großen Katarakten des Orinoko herrſchen
und die Gegend für den europäiſchen Reiſenden ſo gefährlich
machen? Die große Hitze im Verein mit der außerordentlich
ſtarken Feuchtigkeit der Luft, die ſchlechte Nahrung und, wenn
man den Eingeborenen glaubt, giftige Dünſte, die ſich aus
den kahlen Felſen der Raudales entwickeln. Dieſe Orinoko-
fieber kommen, wie es uns ſchien, vollkommen mit denen
überein, die alle Jahre in der Nähe des Meeres zwiſchen
Nueva Barcelona, Guayra und Porto Cabello auftreten und
oft in adynamiſche Fieber ausarten. „Ich habe mein kleines
Fieber (mi calenturita) erſt ſeit acht Monaten,“ ſagte der
gute Miſſionär von Atures, der uns an den Rio Negro be-
gleitete; er ſprach davon wie von einem gewohnten, wohl zu
ertragenden Leiden. Die Anfälle waren heftig, aber von
kurzer Dauer; bald traten ſie ein, wenn er in der Piroge
auf einem Gitter von Baumzweigen lag, bald wenn er auf
offenem Ufer der heißen Sonne ausgeſetzt war. Dieſe drei-
tägigen Fieber ſind mit bedeutender Schwächung des Muskel-
ſyſtems verbunden; indeſſen ſieht man am Orinoko arme
Ordensgeiſtliche ſich jahrelang mit dieſen Calenturitas und
Tercianas ſchleppen; die Wirkungen ſind nicht ſo tief greifend
und gefährlich als bei kürzer dauernden Fiebern in gemäßigten
Himmelsſtrichen.

Ich erwähnte eben, daß die Eingeborenen und ſogar die
Miſſionäre den kahlen Felſen einen nachteiligen Einfluß auf
die Salubrität der Luft zuſchreiben. Dieſer Glaube verdient
um ſo mehr Beachtung, da er mit einer phyſikaliſchen Er-
ſcheinung zuſammenhängt, die kürzlich in verſchiedenen Land-
ſtrichen beobachtet worden und noch nicht gehörig erklärt iſt.
In den Katarakten und überall, wo der Orinoko zwiſchen den
Miſſionen Carichana und Santa Barbara periodiſch das
Granitgeſtein beſpült, iſt dieſes glatt, dunkelfarbig, wie mit
Waſſerblei überzogen. Die färbende Subſtanz dringt nicht in
den Stein ein, der ein grobkörniger Granit iſt, welcher hie
und da Hornblendekriſtalle enthält. Der ſchwarze Ueberzug
iſt 0,6 mm dick und findet ſich vorzüglich auf den quarzigen
Stellen; die Feldſpatkriſtalle haben zuweilen äußerlich ihre
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[108/0116] nicht ebenſo betroffen hätte, wenn ſie immer unabhängig ge- blieben wären. Welches ſind die Urſachen der Fieber, die einen großen Teil des Jahres hindurch in den Dörfern Atures und May- pures an den zwei großen Katarakten des Orinoko herrſchen und die Gegend für den europäiſchen Reiſenden ſo gefährlich machen? Die große Hitze im Verein mit der außerordentlich ſtarken Feuchtigkeit der Luft, die ſchlechte Nahrung und, wenn man den Eingeborenen glaubt, giftige Dünſte, die ſich aus den kahlen Felſen der Raudales entwickeln. Dieſe Orinoko- fieber kommen, wie es uns ſchien, vollkommen mit denen überein, die alle Jahre in der Nähe des Meeres zwiſchen Nueva Barcelona, Guayra und Porto Cabello auftreten und oft in adynamiſche Fieber ausarten. „Ich habe mein kleines Fieber (mi calenturita) erſt ſeit acht Monaten,“ ſagte der gute Miſſionär von Atures, der uns an den Rio Negro be- gleitete; er ſprach davon wie von einem gewohnten, wohl zu ertragenden Leiden. Die Anfälle waren heftig, aber von kurzer Dauer; bald traten ſie ein, wenn er in der Piroge auf einem Gitter von Baumzweigen lag, bald wenn er auf offenem Ufer der heißen Sonne ausgeſetzt war. Dieſe drei- tägigen Fieber ſind mit bedeutender Schwächung des Muskel- ſyſtems verbunden; indeſſen ſieht man am Orinoko arme Ordensgeiſtliche ſich jahrelang mit dieſen Calenturitas und Tercianas ſchleppen; die Wirkungen ſind nicht ſo tief greifend und gefährlich als bei kürzer dauernden Fiebern in gemäßigten Himmelsſtrichen. Ich erwähnte eben, daß die Eingeborenen und ſogar die Miſſionäre den kahlen Felſen einen nachteiligen Einfluß auf die Salubrität der Luft zuſchreiben. Dieſer Glaube verdient um ſo mehr Beachtung, da er mit einer phyſikaliſchen Er- ſcheinung zuſammenhängt, die kürzlich in verſchiedenen Land- ſtrichen beobachtet worden und noch nicht gehörig erklärt iſt. In den Katarakten und überall, wo der Orinoko zwiſchen den Miſſionen Carichana und Santa Barbara periodiſch das Granitgeſtein beſpült, iſt dieſes glatt, dunkelfarbig, wie mit Waſſerblei überzogen. Die färbende Subſtanz dringt nicht in den Stein ein, der ein grobkörniger Granit iſt, welcher hie und da Hornblendekriſtalle enthält. Der ſchwarze Ueberzug iſt 0,6 mm dick und findet ſich vorzüglich auf den quarzigen Stellen; die Feldſpatkriſtalle haben zuweilen äußerlich ihre rötlichweiße Farbe behalten und ſpringen aus der ſchwarzen

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/116>, abgerufen am 28.03.2024.