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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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schien mir das Gefühl von gesteigerter Muskelkraft und von
Wohlbehagen, das beim Eintritt in kühlere Luftschichten über
einen kommt, nicht so stark als umgekehrt die lästige Mattig-
keit und Erschlaffung, die einen befällt, wenn man in die
heißen Küstenebenen hinuntergeht. Der Mensch ist einmal
so geschaffen, daß der Genuß, wenn uns irgendwie leichter
wird, nicht so lebhaft ist als der Eindruck eines neuen Un-
gemaches, und in der moralischen Welt ist es ja ebenso.

Von Curucuti zum Salto ist der Weg etwas weniger
steil; durch die Windungen, die er macht, wird die Steigung
geringer, wie auf der alten Straße über den Mont Cenis.
Der Salto, "der Sprung", ist eine Spalte, über die eine
Zugbrücke führt. Auf der Höhe des Berges sind förmliche
Werke angelegt. Bei der Venta stand der Thermometer um
Mittag auf 19,3°, in Guayra zur selben Zeit auf 26,2°.
Da, seit die Neutralen von Zeit zu Zeit in den spanischen
Häfen zugelassen wurden, Fremde häufiger nach Caracas gehen
durften als nach Mexiko, so ist die Venta in Europa und in
den Vereinigten Staaten bereits wegen ihrer schönen Lage
berühmt. Und allerdings hat man hier bei unbewölktem
Himmel eine prachtvolle Aussicht über die See und die nahen
Küsten. Man hat einen Horizont von mehr als 100 km
Halbmesser vor sich; man wird geblendet von der Masse Licht,
die der weiße, dürre Strand zurückwirft; zu den Füßen liegen
Cabo Blanco, das Dorf Maiquetia mit seinen Kokospalmen,
Guayra und die Schiffe, die in den Hafen einlaufen. Ich
fand diesen Anblick noch weit überraschender, wenn der Himmel
nicht ganz rein ist und Wolkenstreifen, die oben stark beleuchtet
sind, gleich schwimmenden Eilanden sich von der unermeßlichen
Meeresfläche abheben. Nebelschichten in verschiedenen Höhen
bilden Mittelgründe zwischen dem Auge des Beobachters und
den Niederungen, und durch eine leicht erklärliche Täuschung
wird dadurch die Szenerie großartiger, imposanter. Von Zeit
zu Zeit kommen in den Rissen der vom Winde gejagten und
sich ballenden Wolken Bäume und Wohnungen zum Vorschein,
und die Gegenstände scheinen dann ungleich tiefer unten zu
liegen als bei reiner, nach allen Seiten durchsichtiger Luft.
Wenn man sich am Abhange der mexikanischen Gebirge (zwischen
Las Trancas und Xalapa) in derselben Höhe befindet, ist man
noch 54 km von der See entfernt; man sieht die Küste nur
undeutlich, während man auf dem Wege von Guayra nach
Caracas das Tiefland (die Tierra caliente) wie auf einem

ſchien mir das Gefühl von geſteigerter Muskelkraft und von
Wohlbehagen, das beim Eintritt in kühlere Luftſchichten über
einen kommt, nicht ſo ſtark als umgekehrt die läſtige Mattig-
keit und Erſchlaffung, die einen befällt, wenn man in die
heißen Küſtenebenen hinuntergeht. Der Menſch iſt einmal
ſo geſchaffen, daß der Genuß, wenn uns irgendwie leichter
wird, nicht ſo lebhaft iſt als der Eindruck eines neuen Un-
gemaches, und in der moraliſchen Welt iſt es ja ebenſo.

Von Curucuti zum Salto iſt der Weg etwas weniger
ſteil; durch die Windungen, die er macht, wird die Steigung
geringer, wie auf der alten Straße über den Mont Cenis.
Der Salto, „der Sprung“, iſt eine Spalte, über die eine
Zugbrücke führt. Auf der Höhe des Berges ſind förmliche
Werke angelegt. Bei der Venta ſtand der Thermometer um
Mittag auf 19,3°, in Guayra zur ſelben Zeit auf 26,2°.
Da, ſeit die Neutralen von Zeit zu Zeit in den ſpaniſchen
Häfen zugelaſſen wurden, Fremde häufiger nach Caracas gehen
durften als nach Mexiko, ſo iſt die Venta in Europa und in
den Vereinigten Staaten bereits wegen ihrer ſchönen Lage
berühmt. Und allerdings hat man hier bei unbewölktem
Himmel eine prachtvolle Ausſicht über die See und die nahen
Küſten. Man hat einen Horizont von mehr als 100 km
Halbmeſſer vor ſich; man wird geblendet von der Maſſe Licht,
die der weiße, dürre Strand zurückwirft; zu den Füßen liegen
Cabo Blanco, das Dorf Maiquetia mit ſeinen Kokospalmen,
Guayra und die Schiffe, die in den Hafen einlaufen. Ich
fand dieſen Anblick noch weit überraſchender, wenn der Himmel
nicht ganz rein iſt und Wolkenſtreifen, die oben ſtark beleuchtet
ſind, gleich ſchwimmenden Eilanden ſich von der unermeßlichen
Meeresfläche abheben. Nebelſchichten in verſchiedenen Höhen
bilden Mittelgründe zwiſchen dem Auge des Beobachters und
den Niederungen, und durch eine leicht erklärliche Täuſchung
wird dadurch die Szenerie großartiger, impoſanter. Von Zeit
zu Zeit kommen in den Riſſen der vom Winde gejagten und
ſich ballenden Wolken Bäume und Wohnungen zum Vorſchein,
und die Gegenſtände ſcheinen dann ungleich tiefer unten zu
liegen als bei reiner, nach allen Seiten durchſichtiger Luft.
Wenn man ſich am Abhange der mexikaniſchen Gebirge (zwiſchen
Las Trancas und Xalapa) in derſelben Höhe befindet, iſt man
noch 54 km von der See entfernt; man ſieht die Küſte nur
undeutlich, während man auf dem Wege von Guayra nach
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[90/0098] ſchien mir das Gefühl von geſteigerter Muskelkraft und von Wohlbehagen, das beim Eintritt in kühlere Luftſchichten über einen kommt, nicht ſo ſtark als umgekehrt die läſtige Mattig- keit und Erſchlaffung, die einen befällt, wenn man in die heißen Küſtenebenen hinuntergeht. Der Menſch iſt einmal ſo geſchaffen, daß der Genuß, wenn uns irgendwie leichter wird, nicht ſo lebhaft iſt als der Eindruck eines neuen Un- gemaches, und in der moraliſchen Welt iſt es ja ebenſo. Von Curucuti zum Salto iſt der Weg etwas weniger ſteil; durch die Windungen, die er macht, wird die Steigung geringer, wie auf der alten Straße über den Mont Cenis. Der Salto, „der Sprung“, iſt eine Spalte, über die eine Zugbrücke führt. Auf der Höhe des Berges ſind förmliche Werke angelegt. Bei der Venta ſtand der Thermometer um Mittag auf 19,3°, in Guayra zur ſelben Zeit auf 26,2°. Da, ſeit die Neutralen von Zeit zu Zeit in den ſpaniſchen Häfen zugelaſſen wurden, Fremde häufiger nach Caracas gehen durften als nach Mexiko, ſo iſt die Venta in Europa und in den Vereinigten Staaten bereits wegen ihrer ſchönen Lage berühmt. Und allerdings hat man hier bei unbewölktem Himmel eine prachtvolle Ausſicht über die See und die nahen Küſten. Man hat einen Horizont von mehr als 100 km Halbmeſſer vor ſich; man wird geblendet von der Maſſe Licht, die der weiße, dürre Strand zurückwirft; zu den Füßen liegen Cabo Blanco, das Dorf Maiquetia mit ſeinen Kokospalmen, Guayra und die Schiffe, die in den Hafen einlaufen. Ich fand dieſen Anblick noch weit überraſchender, wenn der Himmel nicht ganz rein iſt und Wolkenſtreifen, die oben ſtark beleuchtet ſind, gleich ſchwimmenden Eilanden ſich von der unermeßlichen Meeresfläche abheben. Nebelſchichten in verſchiedenen Höhen bilden Mittelgründe zwiſchen dem Auge des Beobachters und den Niederungen, und durch eine leicht erklärliche Täuſchung wird dadurch die Szenerie großartiger, impoſanter. Von Zeit zu Zeit kommen in den Riſſen der vom Winde gejagten und ſich ballenden Wolken Bäume und Wohnungen zum Vorſchein, und die Gegenſtände ſcheinen dann ungleich tiefer unten zu liegen als bei reiner, nach allen Seiten durchſichtiger Luft. Wenn man ſich am Abhange der mexikaniſchen Gebirge (zwiſchen Las Trancas und Xalapa) in derſelben Höhe befindet, iſt man noch 54 km von der See entfernt; man ſieht die Küſte nur undeutlich, während man auf dem Wege von Guayra nach Caracas das Tiefland (die Tierra caliente) wie auf einem

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/98>, abgerufen am 24.11.2024.