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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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die Gehirnfunktionen ungemein, besonders zu einer Zeit, wo
das gelbe Fieber sich zu zeigen anfängt. Ich stand eines
Tages auf dem Dache unseres Hauses, um den Mittagspunkt
und den Unterschied zwischen dem Thermometerstande in der
Sonne und im Schatten zu beobachten, da kam hinter mir
ein Mann gelaufen und wollte mir einen Trank aufdrängen,
den er fertig in der Hand trug. Es war ein Arzt, der mich
von seinem Fenster aus seit einer halben Stunde in bloßem
Kopf hatte in der Sonne stehen sehen. Er versicherte mich,
da ich ein hoher Nordländer sei, müsse ich nach der Unvor-
sichtigkeit, die ich eben begangen, unfehlbar noch diesen Abend
einen Anfall vom gelben Fieber bekommen, wenn ich kein
Präservativ nehme. Diese Prophezeiung, so ernstlich sie ge-
meint war, beunruhigte mich nicht, da ich mich längst für
akklimatisiert hielt; wie konnte ich aber eine Zumutung ab-
lehnen, die aus so herzlicher Teilnahme entsprang? Ich ver-
schluckte den Trank, und der Arzt mag mich zu den Kranken
geschrieben haben, denen er im Laufe des Jahres das Leben
gerettet.

Nachdem wir Lage und Luftbeschaffenheit von Guayra
beschrieben, verlassen wir die Küste des Antillischen Meeres,
um sie bis zu unserer Rückkehr von den Missionen am Orinoko
so gut wie nicht wieder zu sehen. Der Weg aus dem
Hafen nach Caracas, der Hauptstadt einer Statthalterei von
900000 Einwohnern, gleicht, wie schon oben bemerkt, den
Pässen in den Alpen, dem Wege über den St. Gotthard oder
den Großen St. Bernhard. Vor meiner Ankunft in der Pro-
vinz Venezuela war derselbe nie vermessen worden, und man
hatte nicht einmal eine bestimmte Vorstellung davon, wie hoch
das Thal von Caracas liegen möge. Man hatte längst be-
merkt, daß es von der Cumbre und Las Vueltas, dem höchsten
Punkte der Straße nach Pastora am Eingange des Thales von
Caracas nicht so weit hinab geht, als zum Hafen von Guayra;
da aber der Avila eine bedeutende Gebirgsmasse ist, so sieht
man die zu vergleichenden Punkte nicht zumal. Auch nach
dem Klima des Thales von Caracas kann man sich von der
Höhe desselben unmöglich einen richtigen Begriff machen.
Die Luft daselbst wird durch niedergehende Luftströme ab-
gekühlt, sowie einen großen Teil des Jahres hindurch durch
die Nebel, welche den hohen Gipfel der Silla einhüllen. Ich
habe den Weg von Guayra nach Caracas mehreremal zu
Fuße gemacht und nach zwölf Punkten, deren Höhe mit dem

die Gehirnfunktionen ungemein, beſonders zu einer Zeit, wo
das gelbe Fieber ſich zu zeigen anfängt. Ich ſtand eines
Tages auf dem Dache unſeres Hauſes, um den Mittagspunkt
und den Unterſchied zwiſchen dem Thermometerſtande in der
Sonne und im Schatten zu beobachten, da kam hinter mir
ein Mann gelaufen und wollte mir einen Trank aufdrängen,
den er fertig in der Hand trug. Es war ein Arzt, der mich
von ſeinem Fenſter aus ſeit einer halben Stunde in bloßem
Kopf hatte in der Sonne ſtehen ſehen. Er verſicherte mich,
da ich ein hoher Nordländer ſei, müſſe ich nach der Unvor-
ſichtigkeit, die ich eben begangen, unfehlbar noch dieſen Abend
einen Anfall vom gelben Fieber bekommen, wenn ich kein
Präſervativ nehme. Dieſe Prophezeiung, ſo ernſtlich ſie ge-
meint war, beunruhigte mich nicht, da ich mich längſt für
akklimatiſiert hielt; wie konnte ich aber eine Zumutung ab-
lehnen, die aus ſo herzlicher Teilnahme entſprang? Ich ver-
ſchluckte den Trank, und der Arzt mag mich zu den Kranken
geſchrieben haben, denen er im Laufe des Jahres das Leben
gerettet.

Nachdem wir Lage und Luftbeſchaffenheit von Guayra
beſchrieben, verlaſſen wir die Küſte des Antilliſchen Meeres,
um ſie bis zu unſerer Rückkehr von den Miſſionen am Orinoko
ſo gut wie nicht wieder zu ſehen. Der Weg aus dem
Hafen nach Caracas, der Hauptſtadt einer Statthalterei von
900000 Einwohnern, gleicht, wie ſchon oben bemerkt, den
Päſſen in den Alpen, dem Wege über den St. Gotthard oder
den Großen St. Bernhard. Vor meiner Ankunft in der Pro-
vinz Venezuela war derſelbe nie vermeſſen worden, und man
hatte nicht einmal eine beſtimmte Vorſtellung davon, wie hoch
das Thal von Caracas liegen möge. Man hatte längſt be-
merkt, daß es von der Cumbre und Las Vueltas, dem höchſten
Punkte der Straße nach Paſtora am Eingange des Thales von
Caracas nicht ſo weit hinab geht, als zum Hafen von Guayra;
da aber der Avila eine bedeutende Gebirgsmaſſe iſt, ſo ſieht
man die zu vergleichenden Punkte nicht zumal. Auch nach
dem Klima des Thales von Caracas kann man ſich von der
Höhe desſelben unmöglich einen richtigen Begriff machen.
Die Luft daſelbſt wird durch niedergehende Luftſtröme ab-
gekühlt, ſowie einen großen Teil des Jahres hindurch durch
die Nebel, welche den hohen Gipfel der Silla einhüllen. Ich
habe den Weg von Guayra nach Caracas mehreremal zu
Fuße gemacht und nach zwölf Punkten, deren Höhe mit dem

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[88/0096] die Gehirnfunktionen ungemein, beſonders zu einer Zeit, wo das gelbe Fieber ſich zu zeigen anfängt. Ich ſtand eines Tages auf dem Dache unſeres Hauſes, um den Mittagspunkt und den Unterſchied zwiſchen dem Thermometerſtande in der Sonne und im Schatten zu beobachten, da kam hinter mir ein Mann gelaufen und wollte mir einen Trank aufdrängen, den er fertig in der Hand trug. Es war ein Arzt, der mich von ſeinem Fenſter aus ſeit einer halben Stunde in bloßem Kopf hatte in der Sonne ſtehen ſehen. Er verſicherte mich, da ich ein hoher Nordländer ſei, müſſe ich nach der Unvor- ſichtigkeit, die ich eben begangen, unfehlbar noch dieſen Abend einen Anfall vom gelben Fieber bekommen, wenn ich kein Präſervativ nehme. Dieſe Prophezeiung, ſo ernſtlich ſie ge- meint war, beunruhigte mich nicht, da ich mich längſt für akklimatiſiert hielt; wie konnte ich aber eine Zumutung ab- lehnen, die aus ſo herzlicher Teilnahme entſprang? Ich ver- ſchluckte den Trank, und der Arzt mag mich zu den Kranken geſchrieben haben, denen er im Laufe des Jahres das Leben gerettet. Nachdem wir Lage und Luftbeſchaffenheit von Guayra beſchrieben, verlaſſen wir die Küſte des Antilliſchen Meeres, um ſie bis zu unſerer Rückkehr von den Miſſionen am Orinoko ſo gut wie nicht wieder zu ſehen. Der Weg aus dem Hafen nach Caracas, der Hauptſtadt einer Statthalterei von 900000 Einwohnern, gleicht, wie ſchon oben bemerkt, den Päſſen in den Alpen, dem Wege über den St. Gotthard oder den Großen St. Bernhard. Vor meiner Ankunft in der Pro- vinz Venezuela war derſelbe nie vermeſſen worden, und man hatte nicht einmal eine beſtimmte Vorſtellung davon, wie hoch das Thal von Caracas liegen möge. Man hatte längſt be- merkt, daß es von der Cumbre und Las Vueltas, dem höchſten Punkte der Straße nach Paſtora am Eingange des Thales von Caracas nicht ſo weit hinab geht, als zum Hafen von Guayra; da aber der Avila eine bedeutende Gebirgsmaſſe iſt, ſo ſieht man die zu vergleichenden Punkte nicht zumal. Auch nach dem Klima des Thales von Caracas kann man ſich von der Höhe desſelben unmöglich einen richtigen Begriff machen. Die Luft daſelbſt wird durch niedergehende Luftſtröme ab- gekühlt, ſowie einen großen Teil des Jahres hindurch durch die Nebel, welche den hohen Gipfel der Silla einhüllen. Ich habe den Weg von Guayra nach Caracas mehreremal zu Fuße gemacht und nach zwölf Punkten, deren Höhe mit dem

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/96>, abgerufen am 24.11.2024.