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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Freigelassene, zum Teil Sklaven. Nirgends ist der Mensch so
anhaltend dem sengenden Strahl der tropischen Sonne aus-
gesetzt. Sie nähren sich von luftdürrem, schwach gesalzenem
Fleisch; selbst ihre Pferde fressen es zuweilen. Sie sind be-
ständig im Sattel und meinen nicht, den unbedeutendsten Gang
zu Fuß machen zu können. Wir trafen im Hof einen alten
Negersklaven, der in der Abwesenheit des Herrn das Regiment
führte. Herden von mehreren tausend Kühen sollten in der
Steppe weiden; trotzdem baten wir vergeblich um einen Topf
Milch. Man reichte uns in Tutumofrüchten gelbes, schlam-
miges, stinkendes Wasser: es war aus einem Sumpf in der
Nähe geschöpft. Die Bewohner der Llanos sind so träg, daß
sie gar keine Brunnen graben, obgleich man wohl weiß, daß
sich fast allenthalben in 3 m Tiefe gute Quellen in einer
Schicht von Konglomerat oder rotem Sandstein finden. Nach-
dem man die eine Hälfte des Jahres durch die Ueberschwem-
mungen gelitten, erträgt man in der anderen geduldig den
peinlichsten Wassermangel. Der alte Neger riet uns, das
Gefäß mit einem Stück Leinwand zu bedecken und so gleich-
sam durch ein Filtrum zu trinken, damit uns der üble Geruch
nicht belästigte und wir vom feinen, gelblichen Thon, der im
Wasser suspendiert ist, nicht so viel zu verschlucken hätten.
Wir ahnten nicht, daß wir von nun an monatelang auf dieses
Hilfsmittel angewiesen sein würden. Auch das Wasser des
Orinoko hat sehr viele erdige Bestandteile; es ist sogar
stinkend, wo in Flußschlingen tote Krokodile auf den Sand-
bänken liegen oder halb im Schlamm stecken.

Kaum war abgepackt und unsere Instrumente aufgestellt,
so ließ man unsere Maultiere laufen und, wie es dort heißt,
"Wasser in der Savanne suchen". Rings um den Hof sind
kleine Teiche; die Tiere finden sie, geleitet von ihrem Instinkt,
von den Mauritiagebüschen, die hie und da zu sehen sind,
und von der feuchten Kühlung, die ihnen in einer Atmosphäre,
die uns ganz still und regungslos erscheint, von kleinen Luft-
strömen zugeführt wird. Sind die Wasserlachen zu weit ent-
fernt und die Knechte im Hof zu faul, um die Tiere zu diesen
natürlichen Tränken zu führen, so sperrt man sie 5, 6 Stun-
den lang in einen recht heißen Stall, bevor man sie laufen
läßt. Der heftige Durst steigert dann ihren Scharfsinn, in-
dem er gleichsam ihre Sinne und ihren Instinkt schärft. So-
wie man den Stall öffnet, sieht man Pferde und Maultiere,
die letzteren besonders, vor deren Spürkraft die Intelligenz

Freigelaſſene, zum Teil Sklaven. Nirgends iſt der Menſch ſo
anhaltend dem ſengenden Strahl der tropiſchen Sonne aus-
geſetzt. Sie nähren ſich von luftdürrem, ſchwach geſalzenem
Fleiſch; ſelbſt ihre Pferde freſſen es zuweilen. Sie ſind be-
ſtändig im Sattel und meinen nicht, den unbedeutendſten Gang
zu Fuß machen zu können. Wir trafen im Hof einen alten
Negerſklaven, der in der Abweſenheit des Herrn das Regiment
führte. Herden von mehreren tauſend Kühen ſollten in der
Steppe weiden; trotzdem baten wir vergeblich um einen Topf
Milch. Man reichte uns in Tutumofrüchten gelbes, ſchlam-
miges, ſtinkendes Waſſer: es war aus einem Sumpf in der
Nähe geſchöpft. Die Bewohner der Llanos ſind ſo träg, daß
ſie gar keine Brunnen graben, obgleich man wohl weiß, daß
ſich faſt allenthalben in 3 m Tiefe gute Quellen in einer
Schicht von Konglomerat oder rotem Sandſtein finden. Nach-
dem man die eine Hälfte des Jahres durch die Ueberſchwem-
mungen gelitten, erträgt man in der anderen geduldig den
peinlichſten Waſſermangel. Der alte Neger riet uns, das
Gefäß mit einem Stück Leinwand zu bedecken und ſo gleich-
ſam durch ein Filtrum zu trinken, damit uns der üble Geruch
nicht beläſtigte und wir vom feinen, gelblichen Thon, der im
Waſſer ſuſpendiert iſt, nicht ſo viel zu verſchlucken hätten.
Wir ahnten nicht, daß wir von nun an monatelang auf dieſes
Hilfsmittel angewieſen ſein würden. Auch das Waſſer des
Orinoko hat ſehr viele erdige Beſtandteile; es iſt ſogar
ſtinkend, wo in Flußſchlingen tote Krokodile auf den Sand-
bänken liegen oder halb im Schlamm ſtecken.

Kaum war abgepackt und unſere Inſtrumente aufgeſtellt,
ſo ließ man unſere Maultiere laufen und, wie es dort heißt,
„Waſſer in der Savanne ſuchen“. Rings um den Hof ſind
kleine Teiche; die Tiere finden ſie, geleitet von ihrem Inſtinkt,
von den Mauritiagebüſchen, die hie und da zu ſehen ſind,
und von der feuchten Kühlung, die ihnen in einer Atmoſphäre,
die uns ganz ſtill und regungslos erſcheint, von kleinen Luft-
ſtrömen zugeführt wird. Sind die Waſſerlachen zu weit ent-
fernt und die Knechte im Hof zu faul, um die Tiere zu dieſen
natürlichen Tränken zu führen, ſo ſperrt man ſie 5, 6 Stun-
den lang in einen recht heißen Stall, bevor man ſie laufen
läßt. Der heftige Durſt ſteigert dann ihren Scharfſinn, in-
dem er gleichſam ihre Sinne und ihren Inſtinkt ſchärft. So-
wie man den Stall öffnet, ſieht man Pferde und Maultiere,
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[281/0289] Freigelaſſene, zum Teil Sklaven. Nirgends iſt der Menſch ſo anhaltend dem ſengenden Strahl der tropiſchen Sonne aus- geſetzt. Sie nähren ſich von luftdürrem, ſchwach geſalzenem Fleiſch; ſelbſt ihre Pferde freſſen es zuweilen. Sie ſind be- ſtändig im Sattel und meinen nicht, den unbedeutendſten Gang zu Fuß machen zu können. Wir trafen im Hof einen alten Negerſklaven, der in der Abweſenheit des Herrn das Regiment führte. Herden von mehreren tauſend Kühen ſollten in der Steppe weiden; trotzdem baten wir vergeblich um einen Topf Milch. Man reichte uns in Tutumofrüchten gelbes, ſchlam- miges, ſtinkendes Waſſer: es war aus einem Sumpf in der Nähe geſchöpft. Die Bewohner der Llanos ſind ſo träg, daß ſie gar keine Brunnen graben, obgleich man wohl weiß, daß ſich faſt allenthalben in 3 m Tiefe gute Quellen in einer Schicht von Konglomerat oder rotem Sandſtein finden. Nach- dem man die eine Hälfte des Jahres durch die Ueberſchwem- mungen gelitten, erträgt man in der anderen geduldig den peinlichſten Waſſermangel. Der alte Neger riet uns, das Gefäß mit einem Stück Leinwand zu bedecken und ſo gleich- ſam durch ein Filtrum zu trinken, damit uns der üble Geruch nicht beläſtigte und wir vom feinen, gelblichen Thon, der im Waſſer ſuſpendiert iſt, nicht ſo viel zu verſchlucken hätten. Wir ahnten nicht, daß wir von nun an monatelang auf dieſes Hilfsmittel angewieſen ſein würden. Auch das Waſſer des Orinoko hat ſehr viele erdige Beſtandteile; es iſt ſogar ſtinkend, wo in Flußſchlingen tote Krokodile auf den Sand- bänken liegen oder halb im Schlamm ſtecken. Kaum war abgepackt und unſere Inſtrumente aufgeſtellt, ſo ließ man unſere Maultiere laufen und, wie es dort heißt, „Waſſer in der Savanne ſuchen“. Rings um den Hof ſind kleine Teiche; die Tiere finden ſie, geleitet von ihrem Inſtinkt, von den Mauritiagebüſchen, die hie und da zu ſehen ſind, und von der feuchten Kühlung, die ihnen in einer Atmoſphäre, die uns ganz ſtill und regungslos erſcheint, von kleinen Luft- ſtrömen zugeführt wird. Sind die Waſſerlachen zu weit ent- fernt und die Knechte im Hof zu faul, um die Tiere zu dieſen natürlichen Tränken zu führen, ſo ſperrt man ſie 5, 6 Stun- den lang in einen recht heißen Stall, bevor man ſie laufen läßt. Der heftige Durſt ſteigert dann ihren Scharfſinn, in- dem er gleichſam ihre Sinne und ihren Inſtinkt ſchärft. So- wie man den Stall öffnet, ſieht man Pferde und Maultiere, die letzteren beſonders, vor deren Spürkraft die Intelligenz

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/289>, abgerufen am 27.04.2024.