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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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die Trockenheit der Luft erscheinen als Ursachen, welche die
Abnahme des Sees von Valencia zur Genüge erklären. Ich
teile nicht die Ansicht eines Reisenden, der nach mir diese
Länder besucht hat, 1 derzufolge man "zur Befriedigung der
Vernunft und zu Ehren der Physik" einen unterirdischen Ab-
fluß soll annehmen müssen. Fällt man die Bäume, welche
Gipfel und Abhänge der Gebirge bedecken, so schafft man
kommenden Geschlechtern ein zweifaches Ungemach, Mangel
an Brennholz und Wassermangel. Die Bäume sind vermöge
des Wesens ihrer Ausdünstung und der Strahlung ihrer
Blätter gegen einen wolkenlosen Himmel fortwährend mit
einer kühlen, dunstigen Lufthülle umgeben; sie äußern wesent-
lichen Einfluß auf die Fülle der Quellen, nicht weil sie, wie
man so lange geglaubt hat, die in der Luft verbreiteten
Wasserdünste anziehen, sondern weil sie den Boden gegen die
unmittelbare Wirkung der Sonnenstrahlen schützen und damit
die Verdunstung des Regenwassers verringern. Zerstört man die
Wälder, wie die europäischen Ansiedler allerorten in Amerika
mit unvorsichtiger Hast thun, so versiegen die Quellen oder
nehmen doch stark ab. Die Flußbetten liegen einen Teil des
Jahres über trocken und werden zu reißenden Strömen, so
oft im Gebirge starker Regen fällt. Da mit dem Holzwuchs
auch Rasen und Moos auf den Bergkuppen verschwinden,
wird das Regenwasser im Ablaufen nicht mehr aufgehalten;
statt langsam durch allmähliche Sickerung die Bäche zu schwellen,
furcht es in der Jahreszeit der starken Regenniederschläge die
Bergseiten, schwemmt das losgerissene Erdreich fort und ver-
ursacht plötzliches Austreten der Gewässer, welche nun die
Felder verwüsten. Daraus geht hervor, daß das Verheeren
der Wälder, der Mangel an fortwährend fließenden Quellen
und die Wildwasser drei Erscheinungen sind, die in ursächlichem
Zusammenhange stehen. Länder in entgegengesetzten Hemi-
sphären, die Lombardei am Fuße der Alpenkette und Nieder-
peru zwischen dem Stillen Meere und den Kordilleren der

1 Depons, in seiner "Reise nach Terra Firma": "Bei der
unbedeutenden Oberfläche des Sees (er mißt übrigens 4037 ha) läßt
sich unmöglich annehmen, daß die Verdunstung allein, so stark sie
auch unter den Tropen sein mag, so viel Wasser wegschaffen kann,
als die Flüsse hereinbringen." In der Folge scheint aber der Ver-
fasser selbst wieder "diese geheime Ursache, die Hypothese von einem
Abzugsloch" aufzugeben.

die Trockenheit der Luft erſcheinen als Urſachen, welche die
Abnahme des Sees von Valencia zur Genüge erklären. Ich
teile nicht die Anſicht eines Reiſenden, der nach mir dieſe
Länder beſucht hat, 1 derzufolge man „zur Befriedigung der
Vernunft und zu Ehren der Phyſik“ einen unterirdiſchen Ab-
fluß ſoll annehmen müſſen. Fällt man die Bäume, welche
Gipfel und Abhänge der Gebirge bedecken, ſo ſchafft man
kommenden Geſchlechtern ein zweifaches Ungemach, Mangel
an Brennholz und Waſſermangel. Die Bäume ſind vermöge
des Weſens ihrer Ausdünſtung und der Strahlung ihrer
Blätter gegen einen wolkenloſen Himmel fortwährend mit
einer kühlen, dunſtigen Lufthülle umgeben; ſie äußern weſent-
lichen Einfluß auf die Fülle der Quellen, nicht weil ſie, wie
man ſo lange geglaubt hat, die in der Luft verbreiteten
Waſſerdünſte anziehen, ſondern weil ſie den Boden gegen die
unmittelbare Wirkung der Sonnenſtrahlen ſchützen und damit
die Verdunſtung des Regenwaſſers verringern. Zerſtört man die
Wälder, wie die europäiſchen Anſiedler allerorten in Amerika
mit unvorſichtiger Haſt thun, ſo verſiegen die Quellen oder
nehmen doch ſtark ab. Die Flußbetten liegen einen Teil des
Jahres über trocken und werden zu reißenden Strömen, ſo
oft im Gebirge ſtarker Regen fällt. Da mit dem Holzwuchs
auch Raſen und Moos auf den Bergkuppen verſchwinden,
wird das Regenwaſſer im Ablaufen nicht mehr aufgehalten;
ſtatt langſam durch allmähliche Sickerung die Bäche zu ſchwellen,
furcht es in der Jahreszeit der ſtarken Regenniederſchläge die
Bergſeiten, ſchwemmt das losgeriſſene Erdreich fort und ver-
urſacht plötzliches Austreten der Gewäſſer, welche nun die
Felder verwüſten. Daraus geht hervor, daß das Verheeren
der Wälder, der Mangel an fortwährend fließenden Quellen
und die Wildwaſſer drei Erſcheinungen ſind, die in urſächlichem
Zuſammenhange ſtehen. Länder in entgegengeſetzten Hemi-
ſphären, die Lombardei am Fuße der Alpenkette und Nieder-
peru zwiſchen dem Stillen Meere und den Kordilleren der

1 Depons, in ſeiner „Reiſe nach Terra Firma“: „Bei der
unbedeutenden Oberfläche des Sees (er mißt übrigens 4037 ha) läßt
ſich unmöglich annehmen, daß die Verdunſtung allein, ſo ſtark ſie
auch unter den Tropen ſein mag, ſo viel Waſſer wegſchaffen kann,
als die Flüſſe hereinbringen.“ In der Folge ſcheint aber der Ver-
faſſer ſelbſt wieder „dieſe geheime Urſache, die Hypotheſe von einem
Abzugsloch“ aufzugeben.
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[207/0215] die Trockenheit der Luft erſcheinen als Urſachen, welche die Abnahme des Sees von Valencia zur Genüge erklären. Ich teile nicht die Anſicht eines Reiſenden, der nach mir dieſe Länder beſucht hat, 1 derzufolge man „zur Befriedigung der Vernunft und zu Ehren der Phyſik“ einen unterirdiſchen Ab- fluß ſoll annehmen müſſen. Fällt man die Bäume, welche Gipfel und Abhänge der Gebirge bedecken, ſo ſchafft man kommenden Geſchlechtern ein zweifaches Ungemach, Mangel an Brennholz und Waſſermangel. Die Bäume ſind vermöge des Weſens ihrer Ausdünſtung und der Strahlung ihrer Blätter gegen einen wolkenloſen Himmel fortwährend mit einer kühlen, dunſtigen Lufthülle umgeben; ſie äußern weſent- lichen Einfluß auf die Fülle der Quellen, nicht weil ſie, wie man ſo lange geglaubt hat, die in der Luft verbreiteten Waſſerdünſte anziehen, ſondern weil ſie den Boden gegen die unmittelbare Wirkung der Sonnenſtrahlen ſchützen und damit die Verdunſtung des Regenwaſſers verringern. Zerſtört man die Wälder, wie die europäiſchen Anſiedler allerorten in Amerika mit unvorſichtiger Haſt thun, ſo verſiegen die Quellen oder nehmen doch ſtark ab. Die Flußbetten liegen einen Teil des Jahres über trocken und werden zu reißenden Strömen, ſo oft im Gebirge ſtarker Regen fällt. Da mit dem Holzwuchs auch Raſen und Moos auf den Bergkuppen verſchwinden, wird das Regenwaſſer im Ablaufen nicht mehr aufgehalten; ſtatt langſam durch allmähliche Sickerung die Bäche zu ſchwellen, furcht es in der Jahreszeit der ſtarken Regenniederſchläge die Bergſeiten, ſchwemmt das losgeriſſene Erdreich fort und ver- urſacht plötzliches Austreten der Gewäſſer, welche nun die Felder verwüſten. Daraus geht hervor, daß das Verheeren der Wälder, der Mangel an fortwährend fließenden Quellen und die Wildwaſſer drei Erſcheinungen ſind, die in urſächlichem Zuſammenhange ſtehen. Länder in entgegengeſetzten Hemi- ſphären, die Lombardei am Fuße der Alpenkette und Nieder- peru zwiſchen dem Stillen Meere und den Kordilleren der 1 Depons, in ſeiner „Reiſe nach Terra Firma“: „Bei der unbedeutenden Oberfläche des Sees (er mißt übrigens 4037 ha) läßt ſich unmöglich annehmen, daß die Verdunſtung allein, ſo ſtark ſie auch unter den Tropen ſein mag, ſo viel Waſſer wegſchaffen kann, als die Flüſſe hereinbringen.“ In der Folge ſcheint aber der Ver- faſſer ſelbſt wieder „dieſe geheime Urſache, die Hypotheſe von einem Abzugsloch“ aufzugeben.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/215>, abgerufen am 06.05.2024.